Polen stellt neue paramilitärische Armee auf

Strzelec-Mitlieder bei einer Übung
Strzelec-Mitlieder bei einer ÜbungREUTERS
  • Drucken

Ab Herbst wird eine 35.000 Mann starke "Territorialarmee" aus Freiwilligen aufgebaut. Sie soll als leichte Infanterie und Guerilla dienen und möglichen Gefahren aus dem Osten, vor allem einem "Einsickern", entgegenwirken.

Polen wird ab September die ersten Freiwilligen in eine neue, letztlich rund 35.000 Mann starke paramilitärische Truppe zur Landesverteidigung eingliedern. Das gab Verteidigungsminister Antoni Macierewicz am Donnerstag bekannt. Bei den Freiwilligen soll es sich um Zivilisten handeln, die eine militärische Ausbildung erhalten und der Truppe, deren Name grob als "Territorialheer" firmiert, mehr oder weniger permanent zur Verfügung stehen. Zumindest müssen sie 30 Tage im Jahr an militärischen Ausbildungen und Manövern teilnehmen.

Die Entscheidungen über Gliederung, Kommandostruktur und die Verbindungen mit den regulären Streitkräften seien schon im April gefallen, meldete die Nachrichtenagentur PAP. Der Minister äußerte sich auf einem Kongress paramilitärischer Gruppen in der nordpolnischen Stadt Ostroda, dem auch Paramilitärs aus dem Baltikum beiwohnten. Der Verantwortliche für den Aufbau der Truppe, Grzegorz Kwasniak, erklärte, sie sei die Antwort auf die von Russland ausgehende Gefahr eines "hybriden Krieges", nämlich das Einsickern von Militärs auf polnisches Territorium nach dem Vorbild der Krim und der Ostukraine.

Polens Schützen-Tradition

15 der 16 Woiwodschaften (in etwa Landkreise) sollen über je eine Brigade dieser Truppe verfügen, die größte und am dichtesten besiedelte Woiwodschaft Masowien im Zentrum Polens zwei Brigaden. Umgerechnet auf eine Stärke von im Mittel jeweils etwa 2050 Mann entsprechen diese Brigaden eher Regimentern. Vorrangig soll der Aufbau des Territorialheers in den östlichen Woiwodschaften Podlachien, Lublin und Podkarpackie (Vorkarpatenland) betrieben werden. Sie gelten als die russischem Druck besonders ausgesetzten Regionen. Drei Brigaden sollen bis Anfang 2017 stehen, die übrigen bis 2019.

MG-Schütze von Strzelec
MG-Schütze von Strzelec(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)

Tatsächlich spielen und spielten paramilitärische Einheiten in Polen seit langem eine große Rolle. 1910 entstanden im auf Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn aufgeteilten Polen aus Bürgerwehren die "Zwiqzki Strzeleckie" (Schützenvereinigungen), eine der mit Abstand wichtigsten davon wurde "Strzelec" (der Schütze). In Deutsch- und Russisch-Polen waren diese Vereine verboten, im österreich-ungarischen Teil (Galizien) hingegen wurden sie offiziell gefördert, weil man sie im Falle eines Krieges mit Russland als Mitkämpfer nutzen wollte. Viele Mitglieder solcher Schützenvereine wurden später hochrangige Herrschaften in Politik und Militär, etwa Marschall und Militärchef Edward Rydz-Śmigły (1886-1941) und Władysław Sikorski (1881-1943), Chef der polnischen Exilregierung 1939-43.

Träger des Warschauer Aufstands 1944

Die Stärke dieser Verbände ist schwer zu schätzen, 1912 soll Strzelec allein etwa 8000 Mann gezählt haben, in der Zwischenkriegszeit sollen alle Verbände zusammen bis zu 500.000 Mitglieder gehabt haben, verteilt auf 3000 lokale Einheiten. In der Zeit der deutschen und zeitweise sowjetischen Besatzung 1939-45 rekrutierten sich daraus das Gros des Widerstands sowie die "Heimatarmee", die im Sommer 1944 mit rund 45.000 Kämpfern den (letztlich niedergeschlagenen) Warschauer Aufstand lostrat und auch in anderen Landesteilen gegen deutsche Truppen kämpfte.

Junge Kämpfer der Polnischen Heimatarmee während des Warschauer Aufstandes 1944
Junge Kämpfer der Polnischen Heimatarmee während des Warschauer Aufstandes 1944Wikipedia/AK

Strzelec wurde 1991 wieder gegründet, 2009 traten er sowie der Verband "Związek Strzelecki" in Kooperation und gründeten eine gemeinsame Zentrale in Warschau - und zwar in einem jener wenigen Hochhäuser, die den Zweiten Weltkrieg überstanden und das im August 1944 bis zuletzt von der Heimatarmee gehalten worden war.

Insgesamt wird die Zahl der Schützenvereinigungen heute auf etwa 120 geschätzt, bei einer Mitgliederzahl von bis zu 45.000 und mehr Männern und Frauen (es kursieren Zahlen bis fast 74.000). Strzelec soll 5000 aktive Mitglieder haben, die Zahl dürfte untertrieben sein. Die meisten derartigen Gruppen stehen laut Beobachtern konservativen bis rechtsnationalistischen Parteien nahe. Während zu ihren Aufgaben in Friedenszeiten etwa Kultur- und Brauchtumspflege, Sportbewerbe, militärische Ertüchtigung, Wachdienste, Rettungseinsätze und Katastrophenschutz zählen, sollen sie im Kriegsfall als leichte Infanterie, Aufklärer und zur Guerillakriegsführung dienen - primär in ihren jeweiligen Heimatgegenden, wo sie sich gut auskennen und einem Gegner besonders zähen Widerstand leisten können.

Polen rüstet mächtig auf

Bereits 2014 hatte Polens Verteidigungsministerium begonnen, die Schützenvereinigungen, die im übrigen von den regulären Streitkräften mit Bekleidung, Waffen und anderem Material gesponsert werden, im Rahmen einer Gesamtstrategie mit diesen zu verknüpfen und zu koordinieren. Die regulären Streitkräfte Polens sind im Frieden etwa 100.000 Mann stark, zuzüglich einer Viertelmillion Reservisten. Polen besitzt unter anderem etwa 1000 Kampfpanzer, mehr als 100 Kampfflugzeuge und fünf U-Boote.

Kampfpanzer PT-91 "Twardy"
Kampfpanzer PT-91 "Twardy"Polish Army (Wojska Lądowe)

Die regulären Truppen werden seit Jahren vermehrt im Osten des Landes konzentriert, vor allem betreibt Polen von allen Ländern der Nato eines der aktivsten Aufrüstungsprogramme, das in etwa 30 Milliarden Dollar über zehn Jahre an Investitionen vorsieht, etwa in Luft- und Raketenabwehr, Panzer, Schützenpanzer, Artillerie und Kriegsschiffe. Die Verteidigungsausgaben erreichen zwei Prozent des BIP.

Kontakte zu ukrainischen Nationalisten

Das Territorialheer soll im Vergleich zu den Schützenvereinigungen besser ausgerüstet sein und vor allem in die politisch-militärische Befehlskette integriert werden. Es ist daher auf Kommando mobilisierbar.

Weibliche Kadetten der Organisation "FIA" (Fideles et Instructi Armis)
Weibliche Kadetten der Organisation "FIA" (Fideles et Instructi Armis)FIA/Piotr Malecki

Seit Beginn der Ukraine-Krise haben Bürgerwehren und paramilitärische Trupps in Polen, aber auch in den baltischen Republiken regen Zulauf. Manche unterhalten Beziehungen zu rechtsnationalistischen Milizen in der Ukraine. Von 7. bis 17. Juni sollen paramilitärische polnische Gruppen sogar erstmals an einem großen Nato-Manöver - "Anaconda" - in Polen teilnehmen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.