Syrische Armee stieß erstmals seit 2014 in "IS-Provinz" Raqqa vor

Armee in Raqqa
Armee in RaqqaReuters
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Der "Islamische Staat" (IS) gerät angesichts mehrerer gegen ihn gerichteter Offensiven zusehends in Bedrängnis.

Die syrische Armee ist am Wochenende erstmals seit fast zwei Jahren in die Provinz Raqqa vorgestoßen. Die Regierungstruppen hätten bei ihrem Vormarsch Unterstützung durch russische Luftangriffe sowie von durch Russland ausgebildeten Milizen erhalten, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Samstag mit. Die Provinzhauptstadt Raqqa ist die Hochburg des IS in Syrien.

Es sei seit August 2014 das erste Mal, dass die Armee in der Provinz Raqqa im Norden des Landes stehe, erklärte die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle, die in Syrien breit vernetzt ist. Der "Islamische Staat" (IS) gerät angesichts mehrerer gegen ihn gerichteter Offensiven zusehends in Bedrängnis. Raqqa wollen auch die von der internationalen Anti-IS-Koalition unterstützten kurdisch-arabischen Einheiten erobern. Deren Offensive hatte Ende Mai begonnen.

Syrische Rebellengruppen entrissen dem IS nach US-Angaben in den vergangenen Tagen die Kontrolle über rund hundert Quadratkilometer im Westen des Euphrat. An der Offensive auf Minbaj seien rund 3000 arabische und 500 kurdische Kämpfer beteiligt, sagte ein Sprecher des US-Regionalkommandos Centcom. Die Rebellengruppen seien bis auf fünf Kilometer an Minbaj herangerückt, teilte die Beobachtungsstelle am Sonntag mit. Minbaj liegt an der Verbindungsstraße zwischen Raqqa und der türkischen Grenze.

Die IS-Miliz hatte weite Landesteile in Syrien sowie im Irak erobert und in den von ihr gehaltenen Gebieten einen islamischen Gottesstaat ausgerufen. Die USA fliegen seit dem Sommer 2014 gemeinsam mit Verbündeten Luftangriffe auf IS-Stellungen. Bei den jüngsten Kämpfen wurden mindestens 26 IS-Kämpfer und mindestens neun Soldaten der syrischen Regierungstruppen getötet. Die Offensive der Regierungstruppen näherte sich von Südwesten her bis auf 40 Kilometer der Stadt Tabqa, wo am Euphrat der größte Staudamm Syriens liegt.

Bei den gegen den IS gerichteten Offensiven "scheint es eine nicht deklarierte Koordination zwischen Washington und Moskau" zu geben, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdulrahman. Reguläre syrische Armee-Einheiten würden von Milizionären unterstützt, die kürzlich von Russland ausgebildet worden seien.

IS "ganz deutlich auf dem Rückzug"

In der Stadt Aleppo im Norden Syriens wurden bei neuen Luftangriffen auf Rebellenviertel nach Angaben der Beobachtungsstelle neun Menschen getötet. Bereits am Freitag waren in Aleppo fast 60 Menschen durch Luftangriffe getötet worden. Die syrischen Staatsmedien berichteten, sieben Zivilisten seien getötet worden, als Aufständische Raketen abfeuerten. Insgesamt sind im syrischen Bürgerkrieg seit März 2011 mehr als 280.000 Menschen getötet worden.

Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sagte angesichts der jüngsten militärischen Erfolge, der IS werde militärisch "unterliegen". Der "Islamische Staat" sei bereits "ganz deutlich auf dem Rückzug", sagte Le Drian dem TV-Sender Public Senat. Wenn der IS seine Hochburg Mossul im Irak einbüße, werde dies "der Anfang vom Ende" der Jihadistenorganisation sein.

Auch aus dem Irak wurden militärische Erfolge der Regierungstruppen gegen den IS gemeldet. Kämpfer der Armee, der Polizei und einer Schiiten-Miliz seien in das Zentrum der Stadt Saqlawiya vorgedrungen, die zehn Kilometer nordwestlich von Falluja liegt, hieß es am Wochenende aus Sicherheitskreisen. Falluja, 50 Kilometer westlich der irakischen Hauptstadt Bagdad, wird seit 2014 vom IS kontrolliert.

Nach Einschätzung des Chefs der britischen Streitkräfte wird im Kampf gegen den IS die militärische Komponente aber überbewertet. "Die Gefahr ist die Militarisierung eines ideologischen Problems", meinte Nicholas Houghton bei der Sicherheitskonferenz Shangri-La-Dialog am Samstag in Singapur. Er nutzte den arabischen Namen der Miliz, "Daesh". "Daesh ist eine Ideologie, die in sozialen Medien existiert. Deshalb liegt das grundsätzliche Schlachtfeld in der virtuellen Welt", sagte Houghton. Regierungen seien abgelenkt, weil sie sich mit den Symptomen der Ideologie beschäftigten, etwa mit Flüchtlingsströmen und Terroranschlägen. Politiker kümmerten sich nicht mit genügend Nachdruck um politische Stabilität in Ländern wie dem Irak, Syrien und Libyen.

(APA/AFP/dpa)

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