Wie Frankreichs Terrorabwehr versagt

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Eine Kommission zu den Attentaten von Paris kam zu dem vernichtenden Urteil: Rivalitäten zwischen Anti-Terror-Einheiten behindern die Terrorbekämpfung.

Nach dem jüngsten Terroranschlag in Nizza, der Attacke auf die Charlie-Hebdo-Redaktion im Jänner 2015 und die Anschlagsserie von Paris vom 13. November stellt sich ein weiteres Mal die Frage: Ist Frankreich ausreichend gewappnet gegen terroristische Angriffe?

Erst vergangenen Dienstag kam eine parlamentarische Kommission in Paris zu einem drastischen Urteil: Der Mangel an Koordination zwischen den diversen Dienststellen, die mit der Überwachung im In- und Ausland, mit der Prävention und Bekämpfung des Terrorismus beauftragt waren, ist geradezu grotesk. Die seit Langem bekannten Rivalitäten, namentlich zwischen der Polizei und der Gendarmerie, wurden noch verschlimmert durch unklare Zuständigkeiten oder Führungsstrukturen ohne eigentliche Befehlsgewalt.

300 Seiten stark ist der Bericht mit seinen 39 Vorschläge an die Exekutive. Die Mitglieder der Kommission hatten vier Minister und die Direktoren der diversen Nachrichtendienste befragt. Sie ließen sich bei Augenscheinen an den Tatorten nicht nur den Ablauf der Anschläge, sondern auch das Vorgehen der Polizei und der Rettungsmannschaften bis die Details erklären.

Zu welchen absurden Situationen die Rivalität und der Koordinationsmangel führen konnte, hat der Abgeordnete Georges Fenech, der die Kommission präsidiert, am Beispiel des Massakers vom 13. November beschrieben: Die Beamten der Kriminalpolizei, die am 13. November als Erste beim Bataclan eintrafen, wollten, dass ihnen die (im Quartier patrouillierenden) Soldaten der Operation Sentinelle ihre Famas-Gewehre ausleihen, denn die Militärs waren nicht befugt, selber zu schießen. Diese haben es aber (gestützt auf ihre Befehle) abgelehnt, den Polizisten ihre Waffen zu geben.

Ärzte durften Verletzte nicht versorgen

Eine andere Dienstordnung hatte zur Folge, dass die vor Ort eintreffenden Ärzte sich nicht um die Verletzten kümmern durften, solange die Polizeiaktion nicht abgeschlossen war. Im Übrigen wurde der Einsatz im Bataclan, wo 90 Menschen von drei Attentätern getötet und Dutzende verletzt wurden, nicht etwa von der existierenden nationalen Sondereinheit geleitet, sondern von der Pariser Kriminalpolizei. Auch das war ein Folge der eifersüchtig verteidigten territorialen Zuständigkeiten.

Die Kommission schlug daher eine Vereinheitlichung der diversen Nachrichtendienste unter der Leitung einer nationalen Antiterror-Agentur nach amerikanischem Vorbild vor. Diese soll direkt dem Regierungschef unterstellt werden, um die Konkurrenz zwischen den bisher entweder dem Innen- oder Verteidigungsministerium untergeordneten Stellen zu vermeiden. Ebenfalls zusammengelegt werden sollen die Datenbanken der wegen Radikalisierung oder terroristischen Sympathien registrierten Personen. Eine Datenbank existiert zwar mit angeblich 13.000 Namen, doch sie war nur intern für das Innenministerium verfügbar. Schließlich müsse auch die Aufgabe der zur Sicherheit der Bevölkerung in den Strassen patrouillierenden Militärs neu definiert werden.

Viele der Empfehlungen sind aufgrund der tragischen Vorkommnisse evident. Weniger unterstrichen wird in diesem Bericht, dass auch unter dem seit November geltenden Notstand die Bürgerrechte und demokratischen Freiheiten nicht einer falsch verstandenen Effizienz des Antiterrorismus geopfert werden dürfen.

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