Türkei/USA: Vom Verbündeten zum Sorgenkind

Ein Flugzeug der US-Luftwaffe nach dem Start von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik. Für Washington wird der langjährige Partner Ankara zunehmend unberechenbar.
Ein Flugzeug der US-Luftwaffe nach dem Start von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik. Für Washington wird der langjährige Partner Ankara zunehmend unberechenbar. (c) REUTERS
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Das Vorgehen gegen die Erdoğan-Gegner nach dem Putschversuch löst in den USA den Ruf nach Neuorientierung in Nahost aus.

Washington. Wer die Haltung von Recep Tayyip Erdoğan nach dem versuchten Putsch kritisiert, der wird vom türkischen Staatspräsidenten schnell zum Unterstützer der Umstürzler gestempelt. Auch einem ranghohen US-General kann das passieren. Als Joseph Votel, Chef des US-Zentralkommandos, kürzlich die Inhaftierung vieler seiner Gesprächspartner auf türkischer Seite beklagte, reagierte Erdoğan sofort. Votel habe sich als Parteigänger der Putschisten geoutet, schimpfte der Präsident, der damit erneut zeigte, wie sehr er den Amerikanern misstraut. Erdoğans Kurs und der Streit zwischen den beiden Nato-Partnern lässt in den USA den Ruf nach einer Neuorientierung in Nahost laut werden: Es geht auch ohne Türkei, lautet der Rat mehrerer Experten an die Regierung in Washington.

Seit Jahrzehnten gilt die Türkei aus amerikanischer Sicht als Stabilitätsanker und Vorposten des Westens im Nahen Osten. Kampfflugzeuge der USA nutzen türkische Luftwaffenstützpunkte, um den sogenannten Islamischen Staat (IS) hinter der nahen Grenze in Syrien anzugreifen. Auch als Bollwerk gegen den Machtanspruch des Iran in der Region ist die Türkei für Washington wichtig. Lange Zeit wurde die Türkei zudem als vorbildliche Verbindung von Demokratie und Marktwirtschaft in der islamischen Welt präsentiert.

Doch es knirscht hörbar im Gebälk der türkisch-amerikanischen Partnerschaft. US-Politiker sehen mit Unbehagen, dass sich die polizeiliche und juristische Aufarbeitung des Putschversuches zu einem Generalangriff auf alle Erdoğan-Gegner entwickelt. Umgekehrt kritisiert die Türkei die Weigerung der Obama-Regierung, den angeblichen Drahtzieher des gescheiterten Putsches vom 15. Juli, den in den USA lebenden Anführer der türkisch-islamischen Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, festzunehmen und dann auszuliefern.

„Putschist, hau ab!“

Einige Politiker und Medien in der Türkei werfen den USA offen eine Verwicklung in den Umsturzversuch vor. Ismail Hakki Pekin, ehemaliger Chef der Geheimdienstabteilung beim türkischen Generalstab, sagte der regierungsfreundlichen türkischen Zeitung „Daily Sabah“, der Putsch sei von einer Gruppe US-Geheimdienstler geplant worden. US-Generalstabschef Joseph Dunford, der am Montag als erster hochrangiger US-Vertreter seit dem Putschversuch die Türkei besuchte, wurde von Demonstranten empfangen, die Schilder mit der Aufschrift „Putschist, hau ab!“ trugen. Nach Erdoğans Worten über Votel zu urteilen, könnte der türkische Präsident ebenfalls dieser Meinung sein. Votel hatte angesichts der Inhaftierung vieler Offiziere und Beamter im Sicherheitsapparat gesagt, die Entwicklung sei „sehr, sehr“ beunruhigend.

US-Geheimdienstkoordinator James Clapper warnte unterdessen, Festnahmen und Entlassungen bei Militärs und türkischen Geheimdiensten könnten den gemeinsamen Kampf gegen den IS gefährden. „Viele unserer Gesprächspartner wurden geschasst oder verhaftet“, sagte Clapper. „Es steht außer Frage, dass dies ein Rückschlag ist und die Zusammenarbeit mit den Türken erschwert.“

Schon seit einiger Zeit gibt es zwischen Türkei und USA auch Streit über den Syrien-Konflikt. Die US-Regierung kritisiert immer wieder die nach ihrer Meinung ungenügenden Versuche der Türken, die Grenze zu Syrien zu schließen, um den Nachschub für den IS zu kappen. Im Gegenzug wirft die Türkei den Amerikanern vor, mit der Unterstützung für kurdische Kämpfer in Syrien indirekt den Separatisten der PKK-Guerilla zu helfen.

Einige Beobachter in Washington sind der Meinung, dass die Zäsur des Putschversuches und der Hexenjagd auf Erdoğan-Kritiker eine Gelegenheit bieten, grundsätzlich über das Verhältnis zu Ankara nachzudenken. Ein völliges Ende der Zusammenarbeit mit der Türkei kommt jedoch auch für Kritiker nicht infrage. Ihnen geht es darum, dass sich die USA in der Region nicht von einem zunehmend unberechenbaren Land mit einem autoritären Regime abhängig machen sollten.

Wie sich diese Unberechenbarkeit auswirken kann, bekamen die US-Militärs in den Tagen nach dem Putschversuch zu spüren: Die türkischen Behörden schlossen den Luftwaffenstützpunkt Incirlik, auf dem US-Jets für den Kampf gegen den IS stationiert sind, weil dort Anführer des Umsturzes vermutet wurden. Auch die Stromversorgung für die Basis wurde gekappt – weshalb die US–Soldaten auf eigene Generatoren zurückgreifen mussten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2016)

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