Großbritannien im Wandel: Europas neuer Spaltpilz

(c) AP (Fiona Hanson)
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Kommt in London eine Tory-Regierung an die Macht, könnte die EU in eine neue Krise stürzen. Blockiert Großbritannien Entscheidungen in Brüssel, würde es am Ende isoliert.

ALPBACH. Sie haben bereits die stärkste Fraktion im Europaparlament gespalten, künftig bedrohen sie die gesamte Union. Gewinnen die EU-skeptischen Tories die 2010 anstehende britische Unterhauswahl, dürfte dies auch Auswirkungen auf die Arbeit aller anderen EU-Institutionen haben. Unter Europaabgeordneten wie unter EU-Diplomaten wächst die Furcht, eine Tory-Regierung könnte die Europäische Union sogar in eine neue Krise führen. „Die britische Regierung war schon bisher unberechenbar“, so der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas. Nun könnten wichtige Reformschritte, neue EU-Regeln blockiert werden. Karas hofft, dass die anderen EU-Regierungschefs den britischen Tory-Vorsitzenden David Cameron rechtzeitig in die Schranken weisen.

Europakritische EU-Fraktion

Kurz nach der Europawahl im Juni hatten die Tories im EU-Parlament eine neue, europakritische Fraktion aus der Taufe gehoben. Sie kündigten die Zusammenarbeit mit der Europäischen Volkspartei (EVP) auf, weil sie für Parteichef Cameron zu integrationsfreundlich geworden war. Gemeinsam mit der tschechischen Demokratischen Bürgerpartei ODS, der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit sowie EU-Kritikern aus Belgien, Finnland, Ungarn, Lettland und den Niederlanden versuchen sie nun, eine weitere Stärkung der Europäischen Union zu behindern. Im EU-Parlament ist die neue Fraktion die viertstärkste Kraft.

Die Tories haben die politische Balance im Europaparlament aus dem Gleichgewicht gebracht. Nach der britischen Neuwahl 2010 werden sie aller Voraussicht nach die britische Regierung stellen. Dann dürfte auch im EU-Rat ein neuer Wind wehen. David Cameron hat bereits die Linie vorgegeben. Und die zielt auf eine Schwächung der Europäischen Union ab. Cameron selbst formulierte das Ziel als „Stärkung der Nationen“. War es für die EU-Partner zuletzt mit der Labour-Regierung unter Gordon Brown bereits schwierig gewesen, Kompromisse zu vereinbaren, so erscheint dies mit den Tories fast unmöglich. Exkommissar Mario Monti warnte in Alpbach vor einer neuen Ära in der EU, in der die Kompromissfähigkeit unter den großen Mitgliedstaaten verloren gehe. Er bezog dabei aber auch Deutschland und Frankreich ein, wo er ebenfalls Tendenzen einer Renationalisierung erkennt.

EU-Finanzaufsicht chancenlos

Was mit Labour schwierig erschien, dürfte laut EU-Diplomaten mit den Tories überhaupt nicht mehr gehen: etwa die Schaffung einer effizienten Aufsicht der Finanzmärkte. Die Tories lehnen jede übernationale Regelung ab. Ein hoher EU-Diplomat erwartet deshalb auch mittelfristig eine Isolierung der Briten. Denn vor allem die 16 Euroländer könnten sich dann enger koordinieren. „Letztlich werden die Briten keine vollständigen Mitglieder mehr sein“, so seine Einschätzung. Sie würden in der EU lediglich in der Sicherheitspolitik ernst genommen. „Denn dort geht ohne sie nichts.“

Vorerst müssen die Regierungen in den EU-Hauptstädten aber bangen, dass sie nicht selbst von den britischen Tories in die Schranken gewiesen werden. Denn Parteichef David Cameron hat angekündigt, dass er umgehend ein Referendum über den Lissabon-Vertrag abhalten würde, sollte die Labor-Regierung vorzeitig abtreten. Aus vielen EU-Hauptstädten kamen deshalb Appelle an Gordon Brown, ja nicht zu früh das Handtuch zu werfen. Denn ist der neue EU-Vertrag nach einem Irland-Referendum im Oktober einmal in allen Mitgliedstaaten ratifiziert, gibt es auch für die neue britische Regierung kein Zurück mehr. Der Vertrag wäre dann rechtskräftig.

Achse nach Tschechien

Freilich besteht noch die Möglichkeit, dass die Tories ihre engen Kontakte zur tschechischen ODS für ein taktisches Manöver nutzen. Wenn es ihnen gelingt, den tschechischen Präsidenten Václav Klaus zu überreden, als Einziger in der Europäischen Union die Unterschrift unter dem Lissabon-Vertrag bis zum nächsten Jahr zu verweigern, könnte sich doch noch ein Zeitfenster für ein britisches Referendum ergeben. Und das wäre der endgültige Tod für den neuen Vertrag.

Gegenüber den EU-Partnern käme dies freilich einer Kampfansage gleich. Eine Tory-Regierung würde auf verbrannter Erde ihre Kooperation mit den künftigen europäischen Partnern beginnen. „Das werden sie längerfristig nicht aushalten“, ist der Europaabgeordnete Karas überzeugt.

AUF EINEN BLICK

In Großbritannien wird
spätestens 2010 neu gewählt.
Dann stellen voraussichtlich die Tories die Regierung. Parteichef Cameron hat bereits Widerstand gegen neue EU-Projekte signalisiert, er will die Nationen stärken. Im EU-Parlament zählen die Tories bereits zu einer neuen, europakritischen Fraktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2009)

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