Schlacht um Mossul: Bis zu eine Million Flüchtlinge befürchtet

Irakische Polizisten mit Gasmasken.
Irakische Polizisten mit Gasmasken.APA/AFP/AHMAD AL-RUBAYE
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Iraks Armee startet eine Offensive auf die letzte Bastion des IS im Irak. Menschenrechtler sehen 1,2 Millionen Zivilisten in Gefahr.

Im Schutze der Nacht haben die irakischen Sicherheitskräfte ihre lang erwartete Militäroffensive zur Rückeroberung der IS-Hochburg Mossul begonnen. Das verkündete Ministerpräsident Haider al-Abadi im Staatsfernsehen. Sollte die Millionenmetropole tatsächlich befreit werden, wäre der IS im Irak militärisch weitestgehend besiegt.

"Die Stunde des Sieges hat geschlagen. Die Operation zur Befreiung Mossuls hat begonnen", sagte al-Abadi in der Nacht zum Montag im irakischen Staatsfernsehen. Er richtete sich direkt an die Bürger von Mossul und rief sie dazu auf, mit den irakischen Streitkräften zu kooperieren. "Sehr bald werden wir unter Euch sein, um die irakische Flagge zu hissen." 2016 werde als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem der Terrorismus und der IS besiegt wurden. Angeführt werde die Offensive von der Armee und der Polizei des Landes.

Mossul ist die letzte Bastion der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak. Die nördlich gelegene Millionenstadt unweit der Grenze zur Türkei steht seit Juni 2014 unter Kontrolle der Extremisten. Von Mossul aus überrannte der IS weite Teile des Landes. Inzwischen hat er viele dieser Gebiete wieder eingebüßt. Im Nachbarland Syrien beherrscht die sunnitische Terrormiliz allerdings noch immer große Landstriche.

Sichere Fluchtrouten höchste Priorität

Die Hilfsorganisationen Norwegian Refugee Council (NRC) sieht rund 1,2 Millionen Zivilisten in Gefahr. "Wir befürchten, dass die humanitären Konsequenzen dieser Operation massiv sein werden", sagte der NRC-Direktor im Irak, Wolfgang Gressmann, am Montag. Die Hilfsorganisation UNHCR rechnet mit bis zu einer Million Flüchtlingen aus Mossul, von denen bis zu 700.000 humanitäre Hilfe benötigen könnten. In der Stadt sollen noch rund 1,5 Millionen Menschen leben.

Die Einrichtung von sicheren Fluchtrouten für Zivilisten muss nach Ansicht von Gressmann höchste Priorität haben. Ansonsten hätten diese nur die düstere Wahl, ob sie zurückbleiben und durch Angriffe bedroht werden oder ob sie ihr Leben auf der Flucht riskieren. Nach Einschätzung des NRC könnten allein in den ersten Tagen bis zu 200.000 Menschen fliehen. Hilfsorganisationen hatten vor Beginn der Offensive geklagt, es seien nicht genug Lager errichtet worden, um die Vertriebenen versorgen zu können.

"Entscheidender Moment" im Kampf gegen IS

Kräfte der irakischen Armee und Polizei hatten in den vergangenen Wochen und Tagen im Umland von Mossul Stellung bezogen. Unterstützt werden sie bei der Offensive von kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die aber nicht in die Stadt eindringen sollen. Auch lokale sunnitische Milizen sollen an dem Angriff beteiligt werden. Die von den USA geführte internationale Koalition fliegt Luftangriffe gegen den IS.

US-Verteidigungsminister Ashton Carter sprach von einem "entscheidenden Moment" im Kampf gegen die Terrormiliz. Er erklärte nach Beginn der Offensive: "Die Vereinigten Staaten und der Rest des internationalen Bündnisses stehen bereit, um die irakischen Sicherheitskräfte, Peschmerga-Kämpfer und das irakische Volk in dem schwierigen Kampf zu unterstützen, der ihnen bevorsteht." Ziel sei es, den IS dauerhaft zu besiegen und sowohl Mossul als auch den Rest des Iraks "vom Hass und der Brutalität" der Extremisten zu befreien.

Der US-Sonderbeauftragte für die IS-Bekämpfung, Brett McGurk, schickte via Twitter eine Solidaritätsadresse an die Verbündeten: "Wir sind stolz, bei dieser historischen Operation an Eurer Seite zu stehen", schrieb er in dem Kurznachrichtendienst.

Noch 4500 IS-Kämpfer in Mossul

In Mossul und im Umland sollen sich rund 4000 IS-Kämpfer aufhalten. Diese haben nach verschiedenen Berichten in der Stadt tiefe Gräben und ein Tunnelsystem ausgehoben, um sich zu verteidigen. Außerdem ist damit zu rechnen, dass Straßen und Gebäude mit zahlreichen Sprengfallen versehen sind, was einen Vormarsch auf die Stadt erschweren könnte.

Umstritten ist der Einsatz schiitischer Milizen bei der Offensive. Diese hatten angekündigt, sich an der Militäroperation zu beteiligen. Die Sunniten lehnen das jedoch ab, weil sie befürchten, dass die schiitischen Milizen ihren Einfluss im Land noch weiter ausbauen könnten. Mossul ist die wichtigste sunnitische Stadt im Irak. Viele Sunniten fühlen sich von der Mehrheit der Schiiten im Land und von der schiitisch dominierten Zentralregierung diskriminiert.

In den vergangenen Tagen war zudem der Konflikt zwischen der irakischen Regierung und der Türkei erneut eskaliert. Bagdad fordert den Abzug türkischer Truppen, die nordöstlich von Mossul stationiert sind und dort unter anderem sunnitische Milizen ausbilden. Die Türkei lehnt jedoch einen Abzug ihrer Einheiten ab.

Der IS hatte in den vergangenen Monaten bereits wichtige Gebiete im Irak und auch in Syrien verloren. So konnten irakische Streitkräfte im Sommer die IS-Hochburg Falluja im Osten des Landes befreien. Auch in Syrien steht der IS unter Druck. Erst am Sonntag hatten von der Türkei unterstützte Rebellen den symbolisch wichtigen Ort Dabik im Norden des Landes vom IS eingenommen.

Wer kämpft in Mossul gegen den IS?

Peschmerga: Die Kämpfer der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak kontrollieren große Teile des Umlands von Mosul. Sie sollen die Operation nach einer Absprache mit der Zentralregierung unterstützen, aber nicht in die Stadt selbst einrücken. Dafür dürften sie mehrere Orte im Umland von Mossul unter ihre Kontrolle bringen.

Irakische Armee: Das von den USA mit ausgebildete Militär soll die Offensive anführen und auch in die Stadt einrücken, vorneweg Spezialeinheiten, die schon andernorts gegen den IS gekämpft haben. An der Seite der Armee sollen auch Einheiten der Polizei kämpfen.

INTERNATIONALE KOALITION: Die Flugzeuge des von den USA geführten Bündnisses sind bereits seit mehr als seit zwei Jahren im Irak im Einsatz. Sie unterstützen die Mossul-Kampagne mit Luftangriffen.

Lokale Milizen: An der Seite der Armee kämpfen mehrere Tausend Mitglieder lokaler sunnitischer Milizen sowie von Stammeseinheiten. Sie sind unter anderem vom türkischen Militär ausgebildet worden.

Schiitische Milizen: Auch diese berüchtigten Milizen erklärten im Vorfeld, sie würden an dem Feldzug teilnehmen. Allerdings ist ihr Einsatz hochbrisant. Mosul ist im Irak die größte Hochburg der Sunniten. Diese lehnen einen Einsatz schiitischer Milizen ab. Sollte es dazu kommen, befürchten Beobachter einen Zerfall des Bündnisses.

Türkei: Das türkische Militär hat unweit von Mosul Soldaten stationiert, die sunnitische Milizen und Peschmerga ausbilden. Der Irak fordert den Abzug der Einheiten, was Ankara jedoch ablehnt.

PKK: Nordwestlich von Mosul sind auch Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK stationiert, die von der Türkei bekämpft wird. Sie könnten auf den Plan gerufen werden, wenn auch die türkischen Soldaten in die Operation eingreifen sollten.

(APA/dpa)

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