Timoschenko: Abgang der letzten orangen Heldin

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Timoschenko(c) EPA (SERGEY DOLZHENKO)
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Nach Janukowitschs Inauguration liefen genügend Abgeordnete aus ihrer eigenen Koalition über, um sie zum Rücktritt zu zwingen. Damit sind endgültig alle Vertreter der Orangen Revolution von den Machthebeln entfernt.

Kiew/Moskau. Julia Timoschenko kam vorsorglich im grauen Kostüm. Die Zeit, in der sie ganz in Weiß die ukrainische Präsidentenwahl verloren hat, ist ohnehin schon einen Monat vorbei. Und weil sie ahnte, dass sie auch keine Chance mehr hat, auf dem Premierposten zu verbleiben, verzichtete sie gestern gänzlich auf Farben. Die einstige Ikone der Orangen Revolution hat am Mittwoch die Vertrauensabstimmung im Parlament verloren. 243 der 450 Abgeordneten stimmten gegen die 49-Jährige, die gut zwei Jahre im Amt war. Schon am Vortag war die Koalition zwischen ihrer Partei BJuT und „Unsere Ukraine“ rund um den abgewählten Präsidenten Viktor Juschtschenko zerfallen.

Einen Monat lang hatte „Lady Ju“, wie sie in Anlehnung an die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher genannt wird, mit dem Schicksal gehadert. Zum einen wollte sie die Niederlage bei der Präsidentenwahl gegen den nunmehrigen Staatschef aus dem russischsprachigen Osten des Landes, Viktor Janukowitsch, als Wahlfälschung anfechten. Zum anderen Zeit gewinnen, um ihren Koalitionspartner zu halten. Beides ist nicht gelungen. Nach Janukowitschs Inauguration liefen genügend Abgeordnete aus ihrer eigenen Koalition über, um sie zum Rücktritt zu zwingen.

Neue Bündelung der Kräfte

Timoschenko verließ sofort den Parlamentssaal. Sie werde das Amt auch interimistisch nicht fortführen und mit ihrer zweitgrößten Parlamentsfraktion in Opposition gehen, ließ sie wissen. Damit sind endgültig alle Vertreter der Orangen Revolution von den Machthebeln entfernt, und doch bleibt Timoschenko kämpferisch: Bereits für nächste Woche hat sie die Bündelung der national-demokratischen Kräfte aus Juschtschenkos Partei avisiert. Wieweit das gelingt, ist fraglich. Chancen bestehen. Schließlich haben nur 15 der 71 Abgeordneten aus Juschtschenkos Partei für ihren Rücktritt gestimmt.Diese Partei bleibt auch weiter der Schlüssel zur Formierung einer Koalition. Das Kunststück liegt jetzt bei Janukowitsch: Seine Partei der Regionen, mit 171 Abgeordneten stärkste Fraktion, muss binnen 30 Tagen ein neues Bündnis aufstellen. Innerhalb von 60 Tagen muss eine Regierung stehen. Gelingt das nicht, sind vorzeitige Parlamentswahlen anzusetzen. Dass dafür die Mittel fehlen, hat Janukowitsch jüngst eingestanden.

Auch wenn Timoschenko betonte, das Land vor dem Bankrott bewahrt und soziale Mindeststandards aufrechterhalten zu haben, übernimmt Janukowitsch doch einen Staat, der nur mit Radikalmaßnahmen und neuen Krediten des IWF auf die Beine kommen kann. Mit knapp 15 Prozent Rezession gehört die Ukraine zu jenen Staaten, die am stärksten von der Wirtschaftskrise getroffen wurden.

Beobachter gehen davon aus, dass Janukowitsch wie auch Juschtschenkos „Unsere Ukraine“ vorgezogene Wahlen vermeiden wollen und sich bald auf eine Koalition einigen. Es wird kolportiert, dass hinter den Kulissen über Juschtschenko als Premierminister verhandelt wird. Janukowitsch hat schon vor Tagen drei andere Kandidaten genannt – darunter den Überraschungsdritten der Präsidentenwahl und Ex-Wirtschaftsminister, Sergej Tigipko.

Kommt „Lady Ju“ erst in Fahrt?

Mit der neuen Koalition könnte zumindest die bisherige Konfrontation zwischen Premier und Präsident überwunden werden. Weil die rhetorisch und populistisch brillante Timoschenko freilich in der Oppositionsrolle gewöhnlich zu noch größerer Form aufläuft, steht Janukowitschs Präsidentschaft schon jetzt unter Druck.

Auch außenpolitisch baut sich solcher auf. Russland ist verschnupft, dass Janukowitsch trotz aller russenfreundlicher Etikettierung seinen ersten Auslandsbesuch in Brüssel absolviert hat. Die Angst des Westens vor Ukraines Schwenk nach Moskau scheint also überzogen. Morgen tritt Janukowitsch seinen Antrittsbesuch in Moskau an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2010)

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