Erfolg für Erdogan: Türkei stimmt für neue Verfassung

Erfolg fuer Erdogan Tuerkei
Erfolg fuer Erdogan Tuerkei(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Die türkischen Wähler sagten mehrheitlich Ja zur Verfassungsreform-Vorlage der gemäßigt-islamistischen Regierung. Regierungschef Erdogan jubelt über einen "Wendepunkt für die türkische Demokratie".

Istanbul. Recep Tayyip Erdogan bleibt auf der Siegerstraße: Die Umfragen vor dem Verfassungsreferendum am Sonntag hatten noch ein knappes Ergebnis erwarten lassen, doch mit 58 Prozent Zustimmung für die Vorlage der Regierung kann Erdogan einen großen Triumph einfahren und gelassen auf die Wahlen 2011 warten. „Dies ist ein Wendepunkt für die türkische Demokratie“, sagte der Premier bei der Stimmabgabe.

In diesem Punkt dürfte ihm selbst die Opposition Recht geben, die gewarnt hatte, mit einer Annahme des Referendums bekomme die Regierung auf dem Umweg der Erhöhung der Zahl der Verfassungsrichter zu großen Einfluss auf die Justiz.

Die Kemalisten hatten das Referendum zu einer Abstimmung über Erdogan und seine islamisch-konservative AKP stilisiert – und bei den Bewohnern von Ankaras wohlhabendem Cankaya-Viertel fiel dieser Ansatz offenbar auf fruchtbaren Boden: „Das ist kein Verfassungsreferendum, sondern eines über Erdogan und den Lebensstil, den er will. Ich möchte aber in keinem religiös geprägten Land leben, deshalb habe ich mit Nein gestimmt“, sagte ein etwa 50-jähriger Mann.

Angst vor Islamisierung


Immer wieder ist es die Angst vor einer Islamisierung, die als Begründung für „Nein“-Stimmen genannt wird: „Ich möchte nicht leben wie in Saudarabien, sondern in einer Demokratie“, sagt etwa Herr Özdemir. Doch nicht nur das „Nein-Lager“ sieht sich als Verteidiger der Demokratie, das nehmen auch die Befürworter für sich in Anspruch, allen voran der Premier selbst. Die Gegner hat er pauschal der Sympathie für die Putsch-Generäle und ihre Verfassung von 1982 verdächtigt, die in vielen Artikeln aber fortbestehen wird.

Der Student Semih glaubt, dass die Reform tatsächlich eine weitere Demokratisierung der Türkei bedeutet. Dass ein islamischer Staat drohe, diese seit Erdogans Regierungsübernahme 2002 von den Kemalisten genährte Furcht, kostet ihn nur ein müdes Lächeln: „Diese Gefahr sehe ich nicht. Das würde nicht zu uns passen, und die Leute würden das auch gar nicht zulassen“, meint er.

In Mittelanatolien, Ankara, der Schwarzmeerregion und zum größeren Teil auch Istanbul stimmten die Bürger für die Vorlage. Diese Verteilung ist auffallend, denn damit haben fast nur die Gegenden mit Nein gestimmt, in denen die CHP, die Hauptbannerträgerin des türkischen Laizismus, stark ist.

Hohe Wahlbeteiligung


Die Wahlbeteiligung war insgesamt hoch. Dies gilt jedoch nicht für den kurdischen Osten, wo die prokurdische Partei für Frieden und Demokratie zum Boykott aufgerufen hatte. In Diyarbakir ging nur jeder dritte Wähler zur Urne, in der Gebirgsprovinz Hakkari gab es einen völligen Boykott der Wahl. In den letzten Tagen hatte es in Hakkari schwere Zusammenstöße zwischen kurdischen Demonstranten und der Polizei gegeben. Der beeindruckende Boykott zeigt einmal mehr, dass die Kurdenproblematik noch lange nicht gelöst ist.

Kein großer Wurf


Die Wahl verlief insgesamt weitgehend ruhig. Nur im Osten wurden ein Soldat durch eine von der kurdischen PKK gelegte Mine getötet und zwei Milizionäre durch eine weitere Mine verletzt. Außerdem explodierte am frühen Morgen eine Bombe unter dem geparkten Auto eines Bürgermeisters ohne viel Schaden anzurichten. Ein direkter Zusammenhang mit der Wahl war nicht zu erkennen.

Eine Reihe der neuen Regelungen, wie die Einschränkung der Militärgerichtsbarkeit, liegen auf dem Weg zu einer demokratischeren Türkei. Einen großen Wurf in Richtung Demokratisierung kann man die Änderungen allerdings kaum nennen. Erdogan selbst hatte versprochen, die Änderungen würden eine spätere umfassende Reform der vom Militär eingeführten Verfassung erleichtern. Damit steht er nun im Wort.

("Die Presse" Printausgabe vom 13. September 2010)

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