Geografie des Wandels: Von Tunis bis Manama

Geografie Wandels Tunis Manama
Geografie Wandels Tunis Manama(c) AP (Lefteris Pitarakis)
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Region im Umbruch. Das tunesische Beispiel hat rasch Schule gemacht. Doch danach gelang nur noch in Ägypten der Sturz des Regimes. In Libyen und Syrien klammern sich die Herrschenden mit Gewalt an die Macht.

Ägypten – wo alles beginnt“, lautet ein Werbeslogan. Und hätte man Nahost-Experten vor einem Jahr gefragt, in welchem arabischen Land der soziale Sprengstoff das Potenzial für eine Protest-Eruption berge, viele hätten mit Sicherheit das Land am Nil genannt.

Doch der „Arabische Frühling“ begann in Tunesien. Als sich dort am 17. Dezember 2010 im Provinznest Sidi Bouzid ein 26-jähriger Gemüsehändler mit Uni-Abschluss aus Frust über Behördenwillkür und mangelnde Perspektiven selbst anzündete, wäre für verrückt erklärt worden, wer die Folgen prognostiziert hätte. Heute ist die arabische Welt kaum wiederzuerkennen. In vielen Ländern versuchten die Menschen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – mit wechselndem Erfolg.

Tunesien: Die Pioniere

Es war nur eine kleine Meldung über soziale Unruhen in der tunesischen Provinz, die kurz vor Weihnachten über den Ticker lief: Zwei Tage, nachdem der erwähnte Gemüsehändler Mohammed Bouazizi seinen Selbstmordversuch unternommen hatte, gab es erste Proteste. Noch zeichnete sich keine größere Bewegung ab. Das änderte sich schlagartig, nachdem Bouazizi Anfang Jänner seinen schweren Verletzungen erlegen war. In Windeseile griffen die Unruhen auf andere Städte über. Die Sicherheitskräfte gingen, wie zu erwarten, mit großer Härte gegen die Demonstranten vor, die Zahl der Todesopfer stieg rasant.

Als die Unruhen die Hauptstadt Tunis erreichten, versuchte es der seit 1987 regierende Präsident Zine el-Abidine Ben Ali mit Zugeständnissen, um die Demonstranten zu beschwichtigen. Doch die wollten längst mehr: den Sturz des hoch korrupten Regimes. Die sozialen Unruhen hatten sich zum Volksaufstand ausgewachsen, der den Diktator und seine in der Bevölkerung besonders verhasste Frau Leila am 14. Jänner ins saudische Exil trieb. Entscheidend war das Verhalten der Armee: Diese beteiligte sich nicht an der Niederschlagung der Proteste, im Gegenteil – die Armeeführung überbrachte Ben Ali die unmissverständliche Botschaft: Es ist aus.

Die Regierungspartei wurde verboten, für Juli sind Wahlen angesetzt. Doch die Bevölkerung ist mit der Interimsregierung unzufrieden, die ihrerseits bereits Demonstrationen gewaltsam auflöst.

Ägypten: Sturz des Pharaos

Als am 25. Jänner erstmals tausende Menschen gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak demonstrierten, setzte diese auf Härte, Polizeigewalt und Massenfestnahmen. Der tunesische Funke fiel im Staat am Nil auf gut aufbereitetes Terrain, Facebook-Gruppen im Internet existierten bereits. Und auch der Umstand, dass Friedens-Nobelpreisträger Mohammed ElBaradei seit Monaten das Regime herausgefordert und faire Wahlen verlangt hatte, hatte bereits eine Dynamisierung gebracht, lange bevor Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz demonstrierten.

Mubaraks Strategie von Zuckerbrot und Peitsche ging nicht auf. Die Demonstranten harrten auf dem Tahrir-Platz aus, je brutaler das Regime zuschlug, desto stärker ihre Entschlossenheit. Lange war allerdings unklar, auf welche Seite sich das Militär – aus dessen Reihen Mubarak ja kam – schlagen würde. Letztlich waren es aber auch hier die Generäle, die den Diktator abservierten. Mittlerweile ist er – wie andere führende Köpfe des Regimes – in Haft.

Der Militärrat, der die Regierung übernahm, ließ die Verfassung ändern, um im Herbst freie Wahlen zu ermöglichen. Die einzige politische Kraft, die auf diese Wahlen organisatorisch gut vorbereitet ist, sind die Moslembrüder. Säkulare Kräfte sprechen sich daher für eine Verschiebung aus.

Jemen: Der Sesselkleber

Im Jemen begannen die Proteste nur wenige Tage nach dem Sturz Ben Alis in Tunesien. Präsident Ali Abdallah Saleh hält jedoch zäh und bisher erfolgreich an seiner Macht fest. Und das, obwohl seine Machtbasis ziemlich abgebröckelt ist: In den vergangenen Monaten kündigten ihm nicht nur zahlreiche Diplomaten, Regimepolitiker und hohe Militärs die Gefolgschaft, sondern auch mehrere Stämme, die in Jemens Gesellschaftsstruktur eine wichtige Rolle spielen. Der Golf-Kooperationsrat hat wieder und wieder Vermittlungsvorschläge unterbreitet, bisher ohne Erfolg. Besorgnis ruft die instabile Lage im Jemen im Westen vor allem wegen der Präsenz von al-Qaida hervor. Die „Filiale“ des Terrornetzwerks auf der Arabischen Halbinsel hat ihr Zentrum nämlich in den Jemen verlegt. Ein langes Sicherheitsvakuum könnte diesbezüglich fatale Folgen haben.

Libyen: Mit Waffengewalt

Mitte Februar kam es in der ostlibyschen Stadt Bengasi zu ersten Demonstrationen gegen das Regime von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Der Diktator zog offenbar den Schluss, dass Ben Ali und Mubarak zu wenig Härte zeigten. Es kam rasch zu blutigen Zusammenstößen, die Regimegegner griffen im Gegensatz zu Tunesien und Ägypten zu den Waffen. Diese bekamen sie nicht zuletzt auch von Überläufern aus den Sicherheitskräften. Fortan sprach man auch international von „Aufständischen“ oder „Rebellen“.

Mitte März rang sich der UN-Sicherheitsrat zu einer Resolution durch, die den Schutz der libyschen Zivilbevölkerung mit allen nötigen Mitteln außer Bodentruppen vorsieht. Wenig später begann eine von Frankreich, Großbritannien und den USA geschmiedete Koalition mit Luftschlägen auf Regimetreue. Auf dem Boden herrscht allerdings bis heute eine Pattsituation, und obwohl zahlreiche Diplomaten, Politiker und Militärs „desertiert“ sind, hält sich Gaddafi im Sattel. Freitagnachmittag behauptete Italiens Außenminister Franco Frattini allerdings, dass der Diktator bei den Angriffen möglicherweise Verletzungen davongetragen hatte.

Syrien: Mit aller Härte

Am 15. März ereignete sich in Syrien etwas, was man dort kaum je gesehen hatte: Proteste gegen das Regime. Auch wenn es zunächst nur einige Dutzend Menschen waren. Als die Sicherheitskräfte in der Stadt Deraa mehrere Schüler festnahmen, loderte der Volkszorn rasch hoch. Die Proteste griffen auf andere Städte über, und als Syriens Herrscher Bashir al-Assad sie nicht mehr mit „normalen“ polizeistaatlichen Mitteln eindämmen konnte, nahm er sich an Gaddafi ein Beispiel und setzte die Armee ein – im Wissen, dass er eine westliche Militärintervention nicht fürchten musste. Die Aufhebung des Ausnahmezustands am 21. April erwies sich als reine Kosmetik. Es besteht die Befürchtung, dass Assad in seinem Überlebenskampf die Lunte an das explosive ethnisch-religiöse Gemisch Syriens legen und das Land Richtung Bürgerkrieg treiben könnte.

Bahrain: Hilfe von außen

Aus Bahrain dringen die Nachrichten nur spärlich nach außen. Sicher ist freilich, dass es dem sunnitischen Königshaus gelang, die Mitte Februar ausgebrochenen Proteste weitgehend niederzuschlagen. Getragen wird die Bewegung von der schiitischen Mehrheit, die sich als Menschen zweiter Klasse sieht. Die Regierung erbat die Hilfe des Golf-Kooperationsrats, und Saudiarabien schickte nur allzu bereitwillig Truppen, fürchtet es doch selbst eine Erhebung der schiitischen Minderheit im Osten des eigenen Landes.

(c) Die Presse / GK

Trotz der brutalen Methoden des Regimes, das auch verwundete Oppositionelle aus Krankenhäusern verschleppt hat, brauchen Bahrains Herrscher kritische Töne aus Washington nicht zu fürchten: Der Inselstaat ist als Stützpunkt der fünften US-Flotte zu wichtig für Washington, um es sich mit dem Regime zu verscherzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2011)

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