Afghanistan: Wie geht es weiter nach 10 Jahren Krieg?

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Die Region rüstet sich für die post-amerikanische Ära in Afghanistan. Das große Spiel beginnt wieder. Wird das Land am Hindukusch zum Aufmarschgebiet im indisch-pakistanischen Konflikt?

Der Konflikt in Afghanistan ist der längste Krieg der US-Geschichte. In Vietnam verstrichen 103Monate zwischen der Golf-von-Tonkin-Resolution und dem Abzug der letzten amerikanischen Soldaten. Der Krieg am Hindukusch geht ins 120.Monat. Die krisengeschüttelten USA sind kriegsmüde, US-Präsident Barack Obama hat versprochen, die letzten US-Soldaten bis 2014 nach Hause zu holen.

Doch was dann?

Alle Seiten bereiten sich auf ein post-amerikanisches Afghanistan vor. Das „große Spiel“ – vom Romancier Rudyard Kipling in seinem Roman „Kim“ aus dem Jahr 1901 bekannt gemacht, kann wieder beginnen. „Kim“ spielt vor dem Hintergrund des Ringens um Einfluss in Zentralasien zwischen Russland und dem Britischen Imperium. Das „große Spiel“ geht weiter, die verfeindeten Erben des Raj, Indien und Pakistan, werden die Hauptakteure im post-amerikanischen Afghanistan sein, mit Russland, dem Iran und den USA als Nebendarstellern.

Indiens Mann in Kabul

Der afghanische Präsident Hamid Karzai hat in Islamabad wenig Freunde, er gilt als zu Indien-freundlich. Erst am Dienstag unterzeichnete Karzai bei seinem zweitägigen Besuch in Delhi gemeinsam mit dem indischen Premier ein Wirtschafts- und Sicherheitsabkommen, das in Islamabad zu höchster Beunruhigung führte.

Karzai musste Islamabad beruhigen: „Pakistan ist unser Zwillingsbruder, Indien ein großer Freund. Das Abkommen, das wir mit unserem Freund geschlossen haben, wird unsere Beziehung zu unserem Bruder nicht beeinträchtigen“, sagte Karzai.

Strategen in Islamabad spielen seit Längerem Zwei-Fronten-Krieg-Planspiele durch: Pakistan ist zwischen Afghanistan und Indien eingeklemmt, ein simultaner Schlag von beiden Ländern würde Pakistan militärisch in größte Kalamitäten bringen. Indien kultiviert seit Längerem seine Beziehungen mit Afghanistan und hatte auch vor der Machtübernahme durch die Taliban einen ausgezeichneten Draht in die afghanische Hauptstadt. Seit dem Sturz der Taliban hat Delhi rund zwei Milliarden Dollar in Hilfsprojekte und Straßenbauprojekte investiert. Mit seiner Afghanistan-Hilfe ist Indien die sechst-wichtigste Gebernation und hat sechsmal so viel Hilfsgelder überwiesen wie Pakistan, das im selben Zeitraum nur rund 330 Millionen Dollar an Afghanistan-Hilfe gegeben hat.

Neben dieser handfesten Hilfe kann Indien auch seine „Soft Power“ in Stellung bringen: Die liebste Freizeitbeschäftigung junger Afghanen sind Bollywood-Filmabende, die meisten von ihnen sind auch geradezu süchtig nach Hindi-Soaps. Dass Indien sein Konsulat-Netzwerk in Afghanistan ständig erweitert, stört Islamabad ebenfalls: Pakistan wirft Indien vor, dass die meisten Konsulatsbeamten Geheimdienstleute seien. Die Militärzusammenarbeit zwischen Indien und Afghanistan wird ständig erweitert. Was die Dinge zudem kompliziert: Je größer die Distanz zwischen den USA und Pakistan wird – das Erkalten der Allianz ist übrigens eine direkte Folge der US-Intervention in Afghanistan –, desto interessanter wird Indiens wichtigster Rivale China als neuer Verbündeter Islamabads.

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Schwindender Einfluss

Mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan wird der Einfluss der Amerikaner am Hindukusch zwar schwinden, Washington wird sich aber nicht völlig aus dieser wichtigen Region zurückziehen. Afghanistan ist ein Verkehrsknotenpunkt: Als Verbindung zwischen Zentralasien und dem Arabischen Meer auf der Nord-Süd-Achse und als Transitland für Gas und Öl aus Zentralasien und dem Iran Richtung Indien und China.

Russlands Sorge: Drogen

Russland hat weniger Sorge vor einer Talibanisierung Zentralasiens, sondern ist alarmiert über die riesigen Mengen an Heroin, die aus Afghanistan ins Land sickern: Laut Angaben der UNO ist Afghanistan mittlerweile für 90Prozent der weltweiten Heroinproduktion verantwortlich, in Russland sterben Jahr für Jahr rund 30.000Menschen am Missbrauch von Opiaten wie Heroin oder Morphin.

Chronologie

7. Oktober 2001. Als Antwort auf die Anschläge vom 11. September starten die USA ihren Feldzug gegen Osama bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida und Afghanistans Taliban-Regime.

13. November 2001. Die mit den USA verbündete Nordallianz nimmt die Hauptstadt Kabul ein.

11. Juni 2002. Afghanistans „Große Ratsversammlung“ bestätigt Hamid Karzai als Präsidenten. Karzai hat zuvor den Segen der USA und der Nato erhalten.

9. Oktober 2004. Karzai gewinnt die Präsidentenwahl.

Oktober 2006. Die Nato-geführte Truppe Isaf übernimmt im ganzen Land die Verantwortung für die Sicherheit. Zuvor haben die Taliban vor allem die Kontrolle über Südafghanistan zurückgewonnen.

Februar/März 2009. US-Präsident Barack Obama beordert als Teil einer neuen Strategie weitere 21.000 Soldaten nach Afghanistan.

20. August 2009. Präsidentenwahl in Afghanistan. Karzai erklärt sich zum Sieger, kämpft aber mit Vorwürfen von Wahlbetrug.

20. November 2010. Obama kündigt an, den US-Kampfeinsatz in Afghanistan bis 2014 zu beenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2011)

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