Die Polizei sei "ohne klares taktisches Schema" vorgegangen, sagt der Gründer der Gendarmerie-Eliteeinheit GIGN. Regierungschef Fillon verteidigt das Vorgehen der Sicherheitsbehörden.
Warum ist es der Eliteeinheit Raid, der "besten Einheit" der französischen Polizei, nicht gelungen, einen einzelnen Mann lebend zu fassen? Diese Frage stellte Christian Prouteau, der Gründer der Gendarmerie-Spezialeinheit GIGN, in der Zeitung "Ouest France" vom Freitag. Die Operation gegen Mohamed Merah sei "ohne klares taktisches Schema" ausgeführt worden, kritisierte Prouteau. Gegen den in einer Wohnung verbarrikadierten 23-Jährigen hätte Tränengas eingesetzt werden müssen. "Das hätte er keine fünf Minuten ausgehalten", so der GIGN-Gründer weiter. Die Spezialkräfte hätten Merah mit ihrem Vorgehen während der mehr als 30-stündigen Belagerung dagegen dazu "bewegt, seinen 'Krieg' fortzuführen".
Raid-Chef Amaury de Hauteclocque sagte der Zeitung "Le Monde", Merah habe die Polizisten mit einer "unerbitterlichen Entschlossenheit" erwartet. "Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich jemanden gesehen habe, der uns angreift, obwohl wir ihn gerade angreifen."
Im Zentrum der Kritik steht auch der Inlandsgeheimdienst DCRI und dessen Einbindung in die Ermittlungen von Toulouse. "Haben wir etwas verpasst? Waren wir schnell genug?" - Diese Fragen stellte Geheimdienstchef Bernard Squarcini und gab gleich selbst die Antwort. Er versicherte, Mohamed Merah hätte nicht früher aufgespürt werden können.
"Leben in einem Rechtsstaat"
Frankreichs Regierungschef Francois Fillon hat das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen den Serienattentäter von Toulouse verteidigt. Es habe keine Möglichkeit gegeben, den 23-Jährigen vor seinen Taten zu ergreifen, sagte Fillon am Freitag dem französischen Radiosender RTL. "In einem Land wie unserem haben wir nicht das Recht, jemanden ohne gerichtliche Anordnung ständig zu beobachten, der kein Verbrechen begangen hat", sagte Fillon. "Wir leben in einem Rechtsstaat."
"Er wurde befragt, überwacht, abgehört. Das ist ein Mann, der ein normales Leben führte", sagte Fillon. "Die Tatsache, einer salafistischen Organisation anzugehören, ist nicht an sich ein Delikt. Wir dürfen nicht religiösen Fundamentalismus und Terrorismus vermengen." Auch Merahs Reisen seien überwacht worden: "Mit Blick auf seine Reisen war er auch in Frankreich auf einer Liste." Wenn er an einem Airline-Schalter aufgetaucht wäre, wäre sofort der Inlandsgeheimdienst alarmiert worden.
Verdächtiger auf Flugverbotsliste der USA
Der algerischstämmige Franzose war bereits vor seinen Taten geheimdienstlich bekannt. Laut Ermittlern war er 2010 und 2011 in Afghanistan und Pakistan; gegenüber der Polizei hatte er angegeben, dem Terrornetzwerk al-Qaida anzugehören. Laut US-Geheimdienstkreisen stand Merah auf einer Flugverbotsliste der USA. Schon als Minderjähriger war er mehrfach wegen kleinerer Delikte aufgefallen und saß im Gefängnis. Eine Frau aus Toulouse hatte Merah zudem vor knapp zwei Jahren wegen al-Qaida-Videos angezeigt, die er ihrem Sohn gezeigt haben soll.
Nach Angaben aus US-Kreisen war Merah zudem für kurze Zeit von US-Sicherheitskräften in Afghanistan in Haft genommen worden. Es blieb zunächst offen, wann das war und was mit Mareh danach passierte. Die Behörden in den USA und Frankreich haben erklärt, Merah sei 2010 in Afghanistan gewesen, um an einem Training islamistischer Militanter teilzunehmen. Er habe an der afghanisch-pakistanischen Grenze einige Zeit mit Militanten verbracht, sei gefangen genommen worden und wieder nach Frankreich zurückgekehrt. Nach französischen Angaben war Merah auch danach noch in Afghanistan, kehrte aber selbstständig nach einer Hepatitis-Erkrankung wieder nach Frankreich zurück.
Die Staatsanwaltschaft verlängerte den Polizeigewahrsam für die Mutter von Mohamed Merah sowie seinen Bruder und dessen Frau. Der 29-jährige Bruder steht im Verdacht, muslimischen Extremisten nahezustehen.
(Ag.)