Serbien: Miloševićs einstiges "Sprachrohr" will an die Macht

(c) AP (Darko Vojinovic)
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Serbiens Sozialistenchef Dačić ist der Mann der Stunde. An ihm führt bei der Regierungsbildung kein Weg vorbei. Er kann seine Partei an den "Bestbieter" verkaufen - und auch die Präsidentenwahl entscheiden.

Belgrad. Es war ein Siegesfest mit Pauken und Trompeten, zur Feier eines politischen Paukenschlags: Weit nach Mitternacht zündeten Serbiens Sozialisten über ihrem Parteisitz auf dem Belgrader Studentenplatz ein rot-weißes Feuerwerk, während auf der Dachterrasse die Spitze der einst vom verstorbenen Autokraten Slobodan Milošević gegründeten Partei zu schrägen Klängen einer angeheuerten Roma-Kapelle ausgelassen ihre Wiederauferstehung feierte. „Wir sind stärker als das Schicksal“, stimmten die langjährigen Parias der serbischen Politik glückselig untergehakt einen populären Hit aus der Zeit der Nato-Bombardierung 1999 an.

Vor zwölf Jahren hatte ein Volksaufstand den abgewirtschafteten Kriegsfürsten Milošević aus dem Amt gejagt und die Partei in eine tiefe Existenzkrise gestürzt. Doch die Zeiten, als sie um ihr Überleben bangen musste, sind vorbei. „Wir sind die größten Gewinner dieser Wahl, Serbien wird nicht mehr sein, wie es war“, konstatierte Parteichef Ivica Dačić in der Wahlnacht triumphierend – und meldete mit funkelnden Augen seine Ansprüche auf den Platz auf der Kommandobrücke der nächsten Regierung an: „Vielleicht weiß man in Serbien noch nicht, wer der nächste Präsident wird. Aber man weiß sehr gut, wer der Regierungschef wird.“

„Lasse mich nicht erpressen“

Tatsächlich führt an dem stämmigen Sozialistenchef und Innenminister bei der Regierungsbildung kein Weg vorbei. Mit 14,7 Prozent konnte die Partei ihren Stimmenanteil nahezu verdoppeln. Ob er nun wie erwartet erneut mit den kräftig gerupften Demokraten (22,4 Prozent) von Präsident Boris Tadić oder der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (24 Prozent) von Oppositionschef Tomislav Nikolić ins Regierungsboot steigt: Das frühere „Sprachrohr“ Miloševićs teilt nicht nur im Koalitionspoker die Karten aus. Auch bei der bevorstehenden Stichwahl ums Präsidentenamt zwischen dem langjährigen Amtsinhaber Tadić und seinem Dauerrivalen Nikolić sieht sich der 46-Jährige als Zünglein an der Waage: „Wen wir in der zweiten Wahlrunde unterstützen, hängt davon ab, wer mit uns über ein umfassendes Abkommen sprechen wird.“ Er werde sich „nicht auf Erpressungen und Bedingungen“ einlassen, sagt Tadić.

Die meisten Analysten rechnen zwar mit einer Fortsetzung der bisherigen Koalition, die als zusätzlichen Partner die Liberaldemokraten oder die neue Partei von Ex-Wirtschaftsminister Mladjan Dinkić benötigen würde. Doch auch ein Frontenwechsel der SPS auf die Seite von Nikolić ist keineswegs auszuschließen: Kehrtwenden zeichneten schon bisher den Werdegang von Dačić aus.

Noch vor Jahren schien sich der in Prizren im Südkosovo geborene Milošević-Zögling vergeblich um eine Reanimation der überalterten Partei zu bemühen. Seine schlecht sitzenden Anzüge und sein merkwürdiger Haarschopf, der die Frisur des großen Vorbilds imitieren sollte, wirkten symptomatisch für den desolaten Zustand der Partei. Ausgerechnet die einstigen Erzfeinde von der DS halfen der Partei, deren Regime sie 2000 gestürzt hatten, nach der Wahl 2008 wieder in den Sattel. Der Koalitionseintritt als Juniorpartner machte die Sozialisten wieder salonfähig. An den Futtertrögen der Macht flossen ihnen bald neue Ressourcen – und Mitglieder – zu.

Taktische Verhaftungen

Die Kehrtwende vom nationalistischen EU-Gegner zum patriotischen Verstandeseuropäer nahmen ihm seine Anhänger nicht übel – schließlich vermochte er auf der Regierungsbank zahlreiche Ex-Funktionäre des Regimes wieder in einflussreiche Positionen zu schleusen. Mit neuem Kurzhaarschnitt und im Maßanzug gelang dem fülligen, aber runderneuerten Politiker auch selbst ein erstaunliches Comeback. Als Innenminister vermochte sich der schlagfertige Dačić mit Verhaftungen von Unterweltgrößen als Mann von „Law and Order“ zu profilieren.

„Klar, hart und entschlossen“ lautete denn auch sein Slogan im Wahlkampf, den er mit unzähligen Verhaftungen vermeintlicher „Terroristen“ albanischer Abstammung garnierte. „Wenn's schwer wird – Verhaftung“ umschreibt die Zeitung „Blic“ das Erfolgsrezept. „Andere machten Wahlkampf, ich meine Arbeit“, erklärt der ranghöchste Verbrecherjäger des Landes trocken. Grenzen scheint der Ehrgeiz des sangesfreudigen Aufsteigers nicht zu kennen. „Bei der nächsten Präsidentschaftswahl gewinne ich“, kündigt er schon einmal selbstbewusst an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2012)

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