Hearings im EU-Parlament. Kommissarskandidaten fielen durch Fähigkeit auf, den Abgeordneten nach dem Mund zu reden. Ungarns Kandidat Navracsics fiel am Montag aber trotzdem vorerst durch.
Brüssel. „Zahlreiche Aspekte dieses ursprünglichen Textes haben nicht meine Ansichten widergespiegelt“, teilte Ungarns Kandidat für die EU-Kommission, Tibor Navracsics, den EU-Abgeordneten mit. Um nach einem etwas verunglückten Hearing im Europaparlament seinen Kopf zu retten, ging Navracsics in nachgereichten Antworten auf Distanz zu den Entwürfen für ein ungarisches Mediengesetz. Einst hatte er diese als Justizminister selbst mitgestaltet. Auch die kritisierte Entscheidung der Orbán-Regierung, Stipendien an Studenten mit der Auflage zu verknüpfen, nachher in Ungarn arbeiten zu müssen, hält er jetzt nicht mehr für ideal.
Am Montagabend indes wurde bekanntgegeben, Navracsics sei dennoch vorerst „durchgefallen“. Der Kulturausschuss des EU-Parlaments habe ihn für die Funktion als Kommissar für Kultur, Bildung und Jugendfragen abgelehnt, teilten mehrere Abgeordnete mit. Ein anderer Posten in der Kommission sei für ihn allerdings denkbar. 14 Mitglieder des Kulturausschusses hätten demnach gegen den Ungarn gestimmt, zwölf für ihn.
Am Montag versicherte die slowenische Kandidatin Alenka Bratušek ganz im Sinne der anwesenden Abgeordneten, sie werde sich als Vizepräsidentin für hoch gesteckte Klimaschutzziele einsetzen. Gleichzeitig sagte der für das Ressort Währungsunion nominierte Valdis Dombrovskis: Die Troika, die bisher die Umsetzung der Sparprogramme in den Krisenländern kontrolliert hatte, sollte künftig demokratisch legitimiert sein. Eine Forderung, die das Europaparlament Anfang des Jahres erhoben hatte. Der französische Kandidat, Pierre Moscovici, der ebenso wie Navracsics noch eine Runde an Nachfragen bearbeiten musste, versicherte indessen sein Beharren auf strengen Haushaltsregeln, obwohl er selbst sie nicht eingehalten hatte.
Jean-Claude Juncker, der designierte neue Kommissionspräsident, hat seine Kommissarskandidaten dem Vernehmen nach gedrängt, den Abgeordneten zumindest atmosphärisch entgegenzukommen, um nicht die Wahl des gesamten Kollegiums zu gefährden. Zudem zeigt er sich selbst bereit, im Sinne der Abgeordneten kleine Änderungen an den Zuständigkeiten vorzunehmen. So musste der britische Kandidat für den Finanzmarkt-Kommissar, Jonathan Hill, darauf verzichten, für Bankerboni zuständig zu sein. Dieses Thema wurde Bratušek übertragen.
Die Slowenin musste sich gestern dem Vorwurf stellen, sie habe sich selbst für den Brüsseler Posten nominiert. Sie wies darauf hin, dass die Übergangsregierung in Zeitnot gewesen sei und deshalb einen Vorschlag für drei Personen an Juncker übermittelt habe. „Darunter war auch mein Name.“
Deal unter Fraktionen
Heute, Dienstag, wird in den zuständigen Ausschüssen die Entscheidung über zwei weitere umstrittene Kommissarskandidaten, Pierre Moscovici aus Frankreich und Miguel Arias Cañete aus Spanien, fallen. Dabei, so heißt es sowohl aus der Europäischen Volkspartei (EVP) als auch von den Sozialdemokraten (S&D), werde genau darauf geachtet, wie die jeweils andere große Parteienfamilie abstimme. Würde die EVP Moskovici ablehnen, würde die S&D gegen Cañete stimmen, und umgekehrt.
Selbst wenn die beiden großen Fraktionen im EU-Parlament den Burgfrieden erhalten, könnte sich der Widerstand des Parlaments noch immer auf einen Kandidaten aus einer kleinen Fraktion konzentrieren. Gefährdet ist hier die liberale tschechische Kandidatin für das Justiz- und Konsumentenschutz-Ressort, Veřa Jourová. Sie hatte in ihrem Hearing erhebliche Wissenslücken offenbart.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2014)