EU-Achse: Beziehungskrise mitten in der Krise

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Die deutsch-französische Freundschaft leidet unter dem Druck der Krise. Differenzen über die Sparpolitik und die EZB trennen die deutsche Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsidenten Sarkozy.

Paris. Merkel schmolle, sie gehe Sarkozy aus dem Weg, heißt es in Paris in Kommentaren zum geplatzten Treffen der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten an diesem Montag in Berlin. Dass die Gastgeberin den Termin so kurzfristig um eine Woche verschoben hat, sei in der Diplomatie so außergewöhnlich, dass man das schon fast als Unfreundlichkeit betrachten müsse.

Natürlich wird offiziell von beiden Seiten kategorisch dementiert, dass da auch ein Tropfen Tinte das Wässerchen der ewig beschworenen Partnerschaft trüben könne. Doch die Spannungen sind nicht mehr zu kaschieren.

Schon seit Langem ist durchgesickert, dass sich die beiden persönlich bei Weitem nicht so gut verstünden wie die früheren deutsch-französischen Doppelspänner Adenauer und de Gaulle, Schmidt und Giscard d'Estaing, Kohl und Mitterrand oder auch noch Chirac und Schröder. Merkel habe sich sogar über diplomatische Kanäle verbeten, von Sarkozy bei jeder Gelegenheit auf die Wange geküsst und beim Arm angefasst zu werden, wird kolportiert.

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise und der drohenden Staatspleite von Griechenland haben sich die Meinungsverschiedenheiten gehäuft. Der Argwohn, dass der jeweils wichtigste Partner eigentlich eigene nationale Interessen verfolge, hat sich eingenistet. In Frankreich mutmaßte man, Merkel sie habe aus schnöden wahltaktischen Überlegungen dringende Stützungsmaßnahmen für Athen so lange hinausgezögert, dass diese statt 15 am Ende 110 Milliarden kosten würden. Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde kritisierte offen die deutsche Wirtschaftspolitik, die auf Kosten der andern (sprich Frankreichs) die eigenen Exportinteressen verteidige. Auch Berlins einseitige Ankündigung eines Verbots von Leerverkäufen – ohne jede Absprache mit Paris – verschärfte den Unmut.

Doch es sind auch wirtschaftsideologische Differenzen, die sich am Umgang mit der Krise neu entzündet haben. Einen Tag, nachdem Berlin sein 80-Milliarden-Sparprogramm auf den Weg gebracht hatte, betonte Frankreichs Konjunkturminister Patrick Devedjian, dass es in seinem Land keine Notwendigkeit eines drastischen Sparprogramms gäbe. Es war eine Absage an die von Merkel für die ganze EU geforderte budgetäre Enthaltsamkeit.

Umgekehrt wächst in Berlin der Ärger über französische Pressionen.

„Der Verdacht“, so betitelte „Der Spiegel“ eine Anklageschrift, in der unverblümt die These aufgestellt wird, Sarkozy habe die Eurokrise benutzt, um seinen Einfluss auf die Europäische Zentralbank (EZB) auszuweiten und EZB-Chef Jean-Claude Trichet zu erpressen. Anders könne man sich nicht erklären, dass Trichet am 7. Mai ein Tabu brach und einem Aufkauf von Schuldtiteln aus Griechenland, Portugal und Spanien (für inzwischen bereits mehr als 40 Milliarden Euro) zustimmte, den er noch am Tag zuvor nicht in Betracht ziehen wollte.

Währungspolitik aufgeweicht

Die EZB habe dem massiven Druck von Staatspräsident Nicolas Sarkozy nachgegeben, der vor allem die Interessen der französischen Banken im Auge gehabt habe, die in Griechenland viel zu verlieren haben. Laut Agence France Presse haben französische Geldinstitute in der Tat rund 50 Milliarden Euro an Guthaben in Griechenland. Auch Frankreichs Rüstungsindustrie musste um die Zahlungsfähigkeit ihres griechischen Kunden bangen.

Der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit behauptete bei einer Pressekonferenz, Sarkozy habe schon beim letzten Nato-Gipfel Griechenlands Regierungschef Georgios Andrea Papandreou ins Ohr geflüstert, französische Hilfe gebe es nur, wenn Athen seine Rüstungsverträge aus der Zeit seines Vorgängers Kostas Karamanlis honoriere.

Jacques Attali, ein ehemaliger Präsidentenberater von François Mitterrand, klagt an: „Heute läuft alles so, als ob ganz Europa einem Diktat aus Deutschland gehorchen müsste. Deutschland entscheidet allein, was für Griechenland zu tun oder nicht zu tun sei, und beschließt Sparpläne für ganz Europa inklusive Verfassungsänderungen für andere.“

Diese „Arroganz“ sei aber letztlich nur das Spiegelbild der Unfähigkeit der EU-Staaten, eine gemeinsame Strategie zu finden. An Frankreich liege es, Vorschläge zu machen.

Und das Pariser Meinungsblatt „Le Monde“ ist der Ansicht, es sei nicht das Problem der Franzosen, wenn „die Deutschen sich in dieser EZB nicht mehr erkennen können“. Es scheint für den Moment vor allem die deutsch-französische Freundschaft zu sein, die unter dem Druck der Krise gelitten hat und dringender Stützungsmaßnahmen bedürfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)

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