Sarkozy und Merkel versuchten kurz vor dem EU-Gipfel, ihren Streit in der Krisenpolitik auszuräumen. Doch Frankreichs Wirtschaftsministerin Lagarde schüttete mit Forderungen neues Öl ins Feuer.
Sie backen am selben Kuchen, haben dieselben Ingredienzien zur Verfügung, streiten aber verbissen über das Rezept: Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel trafen sich am gestrigen Montag in Berlin, um erneut zu versuchen, ihre Differenzen in der europäischen Krisenpolitik auszuräumen. Schon vor dem Treffen war nur eine teilweise Annäherung erwartet worden. Denn Berlin und Paris wollen zwar beide eine rasche Beruhigung der Währungsturbulenzen. Sie verfolgen aber grundsätzlich unterschiedliche Lösungsansätze. Das betrifft sowohl die gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik wie auch die Reform des Euro-Stabilitätspakts. „Nie lagen die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident so weit auseinander“, schrieb dieser Tage die französische Tageszeitung „Le Figaro“.
Als vergangene Woche beiden Seiten klar wurde, dass so rasch keine Einigung gefunden würde, musste das gemeinsame Treffen kurzerhand auf Montag verschoben werden. Neue Lösungsansätze wurden vorbereitet. Die Kluft aber blieb. Merkel sieht weiterhin in der Sparpolitik die einzige Option, um die gemeinsame Währung stabil zu halten. Sie drängte zuletzt alle EU-Partner zu einem strengen Sparkurs. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, verordnete sie ihrem eigenen Land Kürzungen in der Höhe von 80 Milliarden Euro.
Sarkozys Regierung kündigte am vergangenen Wochenende zwar auch an, das französischen Haushaltsdefizit bis 2013 um 100 Milliarden Euro zu kürzen. Aber Paris will es dabei nicht bewenden lassen. Es will zudem eine lang gehegte Forderung durchsetzen: ein politisches Gegengewicht zur Unabhängigen Europäischen Zentralbank (EZB).
Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde machte in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ klar, was sie sich unter einer EU-Wirtschaftsregierung vorstellt. Für sie soll der Euro-Stabilitätspakt „weitere Kompetenzen“ erhalten, „allen voran die sorgfältige Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit jedes Mitgliedslandes sowie des Abstands der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern“, so Lagarde.
Neue Giftattacke gegen Berlin
Berlin konnte das nur als neue Giftattacke interpretieren. Ein Gift, das sich gegen den harten Euro und gegen die deutsche exportorientierte Wettbewerbsfähigkeit richtet. Lagarde hatte nämlich bereits im März den deutschen Außenhandelsüberschuss kritisiert. Das Land werde durch seine Billiglohnpolitik zum Problem für die Partner. Berlin reagierte damals verstimmt und stellte klar, dass es sich nicht wegen einer guten Wettbewerbsfähigkeit an den Pranger stellen lasse.
Hintergrund der Differenzen ist eine völlig andere wirtschaftspolitische Ausrichtung der beiden Länder. Während Frankreich auf Inlandskonsum setzt und versucht, seine eigene Wirtschaft protektionistisch gegen internationale Billigkonkurrenz abzusichern, will Deutschland mit der internationalen Konkurrenz mithalten und nimmt dafür Einbüßen beim eigenen Wohlstand in Kauf.
Beim EU-Gipfel diese Woche in Brüssel steht eine Reform des Stabilitätspakts auf der Tagesordnung. Die Debatte wird die Differenzen erneut ans Tageslicht bringen. Merkel wird auf härtere Sanktionen gegen Defizitsünder drängen, Sarkozy auf mehr politische Koordinierung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2010)