Landeshauptmannstellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ) nennt auf der Homepage des Landtags als „Lieblingsautor“ einen fast vergessenen Schriftsteller.
In freien Ländern darf man alles lesen. Wer will, kann sich durch Hitlers „Mein Kampf“ quälen oder durch Stalins mindestens so schlichte Schrift „Marxismus und nationale Frage“ oder durch das „Kleine Rote Buch“ Maos. Auch Massenmörder sondern Texte ab, ihr Wirken lässt nicht unmittelbar auf die literarische Qualität schließen. Allerdings kann man den Charakter eines Menschen erahnen, der seinen Lieblingsautor nennt.
Manfred Haimbuchner (FPÖ), eben erst mit Hilfe des Koalitionspartners ÖVP in Linz zum Vizelandeshauptmann gewählt, hat seine Lieblingslektüre publik gemacht. Auf der Homepage des OÖ-Landtages ist zu lesen, dass dieser rechte Politiker nicht nur Schweinsbraten, Oberösterreich, Leberkäse und Beethoven liebt, sondern auch das Werk des deutschen Schriftstellers Ernst von Salomon (1902–1972). Wer war dieser Mann aus der Welt von gestern, den der 37 Jahre alte Welser Jungpolitiker derart schätzt?
Der Sohn eines Offiziers und Polizisten absolvierte 1918 die preußische Hauptkadettenanstalt Lichterfelde und schloss sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges rechtsextremen Gruppen an. Mit dem Freikorps war er 1919 an der Niederschlagung des Spartakus-Aufstands beteiligt, er erwies sich auch nach offizieller Auflösung dieser paramilitärischen Truppe 1920 als fanatischer Gegner der Weimarer Republik. Von Salomon kämpfte im Baltikum gegen die Rote Armee, nahm 1920 am Kapp-Putsch teil und wurde Mitglied der radikalen Organisation Consul. Wiederholt war er in politische Verbrechen involviert, etwa dem Mord an Außenminister Walther Rathenau 1922, was er in seinem Roman „Freikorps: Die Geächteten“ neben weiteren zwischen 1918 und 1923 begangenen Untaten kalt und emotionslos beschrieb. Das Buch erschien 1930. Verleger Ernst Rowohlt hatte den Autor zu diesen „Erinnerungen“ ermuntert. Für Beihilfe zum Mord an Rathenau wurde der Antidemokrat von Salomon zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. 1927 erhielt er eine weitere Strafe wegen versuchten Feme-Mordes, Reichspräsident Paul von Hindenburg hat ihn jedoch bald begnadigt.
Von Salomon war ein National-Bolschewik, ein wegen seiner anarchistischen Attitüden schwer einzuordnender Terrorist, ein „Sonderfall“, wie Carl Zuckmayer in einem Geheim-Report für die USA schrieb. Zu den Nazis hielt von Salomon nach deren Machtergreifung 1933 Distanz, zumindest anfangs. Sie hielten ihn für einen Linken, ihm waren sie zu wenig elitär. Seine martialischen Bücher wurden im Dritten Reich dennoch Bestseller. 1936 stieg er ins Filmgeschäft ein, er beteiligte sich als Drehbuchschreiber an rassistischen und hetzerischen Filmen, zugleich half er Rowohlt wie auch einer jüdischen Geliebten gegen das System. Erst 1938 trat von Salomon in die NSDAP ein, was er später leugnete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er wegen seiner Untaten in der Republik und der Nähe zum NS-Regime interniert.
Die Entnazifizierung regte ihn zum Roman „Der Fragebogen“ (1951) an – seinem bekanntesten Werk, das frühe Verbrechen anekdotisch als Jugendsünden verharmlost, den Holocaust verdrängt, die Besatzer als Barbaren kritisiert – so wie auch die Nazis. Von Salomons Antworten auf die 131 Fragen, mit denen die US-Armee die Deutschen auf Nazi-Ideologie abklopften, stellen auch seinen Charakter bloß – ein nihilistischer Zyniker hat sie verfasst, dem Reue fremd blieb.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)