Flüchtlinge: Notverordnung wird die nächste Hürde

FLÜCHTLINGE - NEUE UNTERKUNFT FÜR 20 JUGENDLICHE IN WIEN-D�BLING
FLÜCHTLINGE - NEUE UNTERKUNFT FÜR 20 JUGENDLICHE IN WIEN-D�BLING(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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In diesem Jahr wurden rund 19.000 Asylverfahren begonnen. Damit ist die Obergrenze zur Hälfte erreicht. Minister Sobotka drängt darauf, die Notverordnung zu beschließen.

Wien. Jetzt also 18.950. So viele Asylverfahren wurden in diesem Jahr begonnen. Und so viele Verfahren sind auch für die Obergrenze in diesem Jahr relevant. Darauf hat sich die Regierung nun geeinigt. Oder, richtiger: Diese Zahlen hat das Innenministerium am Donnerstag präsentiert. Und im Bundeskanzleramt hat man keine Einwände dagegen. Damit ist die Obergrenze von 37.500 Asylverfahren im Jahr 2016 bereits zur Hälfte erreicht.

Bleibt die Frage: Wie kommt das Innenressort auf diese Zahl? Nach dem Trubel der vergangenen zwei Tage ist es im Nachhinein relativ leicht erklärbar: Gezählt werden nämlich nicht die Asylanträge, die Flüchtlinge in diesem Jahr stellen. Sondern die Verfahren, die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl 2016 begonnen hat.

Die genaue Berechnung ist etwas komplizierter: 22.300 Menschen stellten bisher in diesem Jahr einen Antrag auf Asyl. Etwas mehr als die Hälfte, also 12.261 Personen, wurden auch zum Asylverfahren zugelassen. Sie sind also für die Obergrenze relevant. Hinzu kommen noch 6689 Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr einen Asylantrag gestellt haben. Ihr Verfahren hat aber erst in diesem Jahr begonnen. Auch sie werden einberechnet. Macht in Summe also 18.950 Asylverfahren.

Dublin-Fälle ausgeklammert

Doch auch diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Denn was ist mit dem Rest? Rund 10.000 Menschen haben einen Asylantrag gestellt – zum Verfahren zugelassen sind sie aber nicht. Das kann sich allerdings noch ändern.

Denn der Großteil dieser Gruppe durchläuft derzeit ein sogenanntes Dublin-Verfahren: Österreich klärt gerade, ob es für das Asylverfahren zuständig ist. Hat ein Flüchtling nachweislich ein sicheres EU-Land betreten, ist jener Staat für die Person zuständig.

So weit zur Theorie. Die Praxis sieht allerdings meist anders aus: Rückführungen nach der Dublin-Verordnung finden kaum statt. Nur in 554 Fällen kam es in diesem Jahr bisher dazu. Einer der Gründe: Die meisten Flüchtlinge kommen nachweislich aus Griechenland und Ungarn. In beiden Fällen finden nach europäischen Gerichtsurteilen bzw. Beschlüssen keine Überstellungen statt.

Wie viele Personen derzeit in ein Dublin-Land gebracht werden sollten, will das Innenressort nicht angeben. Doch die Zeit drängt: Befinden sie sich nach sechs Monaten noch immer in Österreich, muss die Behörde in Wien doch ein Verfahren starten. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Obergrenze.

„Notstand nicht konstruieren“

Die Höchstzahl von 37.500 Asylverfahren könnte also bald erreicht werden. Kein Wunder, dass Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) drängt. Und zwar in zwei Richtungen: Einerseits plädiert er dafür, Flüchtlinge wieder nach Ungarn und Griechenland abschieben zu können. Das kann Österreich allerdings nicht allein entscheiden.

Andererseits will der Minister rasch Vorbereitungen für eine Notverordnung in Österreich treffen. Noch vor dem Sommer, spätestens aber im Herbst, sollen diese Möglichkeiten des neuen, strengeren Asylgesetz ausgeschöpft werden.

Das könnte allerdings der nächste Streitpunkt in der Regierung werden. Denn wie Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Donnerstag im Bundesrat erklärte: „Ich bin kein Freund davon, einen Notstand zu konstruieren, wo keiner vorliegt.“ Auch „Horrorbilder“ dürfe man nicht an die Wand malen. Vielmehr müsse man das Thema Asyl mit „Ruhe und Unaufgeregtheit“ behandeln. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) fordert das Innenministerium außerdem erneut auf, in Zukunft regelmäßig und transparent aktuelle Zahlen zu veröffentlichen. Auch über Abschiebungen.

Kaum Chance auf Asyl

Zur Erinnerung in puncto Notverordnung: Nachdem die Regierung ihre Pläne für eine Obergrenze präsentiert hatte, ließ sie ein Rechtsgutachten erarbeiten. Die Juristen kamen zu dem Schluss, dass eine Maximalzahl an Asylverfahren nicht im Gesetz definiert werden kann.

Allerdings ist es laut Gutachten möglich, gar nicht erst so viele Flüchtlinge ins Land zu lassen. Möglich macht dies eine Notstandsklausel (Artikel 72) des EU-Vertrags: Sie besagt, dass Staaten von den Asylregeln abweichen dürfen – aber nur „zum Schutz der inneren Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Asylanträge würden direkt an der Grenze abgelehnt werden.

Das Parlament stimmte daraufhin einer Gesetzesänderung zu: Das Innenministerium kann – im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats – eine solche Notverordnung formulieren.

Doch wann tatsächlich die „innere Sicherheit“ und „öffentliche Ordnung“ im Land gefährdet sind, ist umstritten und Interpretationssache. Wie die Berechnungen der Obergrenze.

AUF EINEN BLICK

Die Regierung einigte sich am 20.Jänner 2016 auf eine Obergrenze für Asylwerber. In den kommenden vier Jahren soll eine bestimmte Maximalzahl an Asylverfahren nicht überschritten werden. In diesem Jahr werden 37.500 Verfahren begonnen. Im Jahr 2017 sind es 35.000 Verfahren, 30.000 im Jahr 2018 und 25.000 im Jahr 2019. Für diese Obergrenze sind aber nicht alle Asylanträge, die gestellt werden, relevant. Sondern nur jene Fälle, für die Österreich mit Sicherheit zuständig ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2016)

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