Josef Pröll: „Ich habe mich letztlich zu sehr verbogen“

Der ehemalige ÖVP-Chef Josef Pröll
Der ehemalige ÖVP-Chef Josef Pröll(c) Clemens Fabry (Presse)
  • Drucken

Der frühere ÖVP-Chef in seinem ersten politischen Interview seit dem Rücktritt im Jahr 2011: Wie sich die Politik – und vor allem auch seine Partei – jetzt verändern muss. Und welche Fehler er seinerzeit selbst gemacht hat.

Sie waren immer ein Homo politicus. Seit 2011 sind Sie weg aus der Politik. Geht sie Ihnen nicht ab?

Josef Pröll: Jeder, der aus der Politik geht und sagt, sie fehlt mir nicht, der lügt. Politik ist spannend für mich – immer noch. Aber ich habe keine parteipolitischen Interessen mehr.

Sie sind also einfaches Mitglied?

Ich bin ein einfaches Parteimitglied, das sich freut und das leidet.

Sie haben sich zuletzt für Alexander Van der Bellen engagiert. Wieso?

Das war ausschließlich getrieben durch meine Überlegung als Firmenchef eines Unternehmens, das in sieben Ländern tätig ist und 80 Prozent des Gewinns und Engagements von Hamburg bis ans Schwarze Meer hat.

Gab es Kritik daran aus Ihrer Partei?

Ja, hat es teilweise gegeben. Auch aus der Jägerschaft. Aber auch Zuspruch. Damit lebe ich und kann der Kritik auch entgegentreten: Wer wirtschaftlich denkt, wer an Arbeitsplätze denkt, wer an Europa denkt, der konnte nur eine klare Entscheidung treffen.

War der Ausflug der FPÖ-Männerrunde auf den Roten Platz eine nachträgliche Bestätigung dafür?

Ich würde das unter das Motto „Sie werden sich noch wundern,  was alles möglich ist“ einreihen.

Sie sagen, Sie empfinden als einfaches ÖVP-Mitglied eine Mischung aus Freude und Leid. Was macht das Leid aus?

Dass die Umfragen nicht besser sind. Aber es gibt durchaus Hoffnung. Reinhold Mitterlehner hat sich gefestigt. Man spürt, dass er Freude an der Politik zurückgewonnen hat. Dass er sich klar aufstellt und abgrenzt. Und dass es in dieser Mannschaft auch einen gibt – Sebastian Kurz –, der eine ganz große Begabung ist. Als Fußballfan sage ich: Es braucht hier im Team ein Zusammenspiel.

Kann das eine Doppelspitze sein – Parteichef Mitterlehner, Spitzenkandidat Kurz?

Das ist eine Frage, die die Partei für sich entscheiden muss. Um das Derby gegen die SPÖ und für Österreich zu gewinnen, braucht es ein Mittelfeld mit Erfahrung, aber auch jene mit besonderen Begabungen, die dann auch das entscheidende Tor schießen können. Und der eine wird ohne den anderen keinen Erfolg haben. Denn der Stürmer hängt in der Luft, wenn das Mittelfeld nicht funktioniert.

Dass heißt, Kurz soll Mitterlehner nicht komplett ablösen?

Noch einmal: Ich bin völlig heraußen, ich mische mich nicht ein.

Um im Bild zu bleiben: Waren Sie damals ein Stürmer, der in der Luft gehangen ist?

Ich hatte viele Unterstützer. Habe aber auch selbst Fehler gemacht.

Welche Fehler?

Der größte Fehler war sicher, dass ich mich nach einigen Jahren als Finanzminister, nach Offensiven und Erneuerung, etwa der Transparenzdatenbank, zu sehr verbogen habe – auch gegenüber Leuten in der eigenen Partei. Ich habe zu viel Rücksicht genommen: auf die Lehrergewerkschaft, auf das eine oder andere Bundesland mit seinen Interessen. Ich habe versucht, es vielen recht zu machen und zu wenig forsch den Stürmer herausgestellt.

Dieses Verbiegen – hat das möglicherweise dann auch zu den gesundheitlichen Problemen geführt?

Es belastet. Ohne Zweifel. Man sollte weniger Rücksicht auf Strukturen nehmen. Sondern mehr Klarheit zeigen, für seine eigene Position werben. Und das ist nicht nur auf die ÖVP beschränkt. Wenn Bundeskanzler Kern vom New Deal redet und seine erste Ansage ist die Maschinensteuer, dann weiß man, auf wen er Rücksicht nimmt.

Was halten Sie von Christian Kern?

Mich verbindet mit ihm eine wirklich große Leidenschaft zur Wiener Austria. Und ich wünsche ihm alles Gute.

Noch einmal zu Ihrem Rücktritt im Jahr 2011: Waren da nur die gesundheitlichen Gründen ausschlaggebend oder auch Personen aus der eigenen Partei?

Rein persönliche Gründe. Und ich hatte nicht mehr ausreichend Kraft, zu gestalten. Ich finde ja überhaupt, Politik muss neu gestaltet werden. Diese Strukturgeschichten müssen überwunden werden. Der strategische Vorteil der FPÖ ist ja, dass sie keine Strukturen kennt – bis auf ein paar wenige an der Spitze. Eine Parteivorstandssitzung ist dort ja mehr eine Befehlsausgabe und nicht wie bei den anderen großen Volksparteien ein Entgegennehmen der Wünsch.

Würden Sie Sebastian Kurz, sollte der Parteichef werden, empfehlen, die ÖVP und ihre Strukturen hinter sich zu lassen, die Partei vielleicht sogar neu zu gründen?

Ich glaube, auch die ÖVP erkennt, dass Personen mit Charisma, Ideen und Visionen viel mehr bringen als das Bedienen verkrusteter Strukturen. Erkennt sie das nicht, wird sie in den Strukturen verenden. Die Strukturen dürfen die Menschen nicht mehr behindern.

Was sind denn die strukturell größten Probleme in der ÖVP? Die Landeshauptleute? Die Bünde?

Es ist eine Mischung aus allem. Strukturen, die lange für Entscheidungen brauchen, sind nicht mehr dafür geeignet, die Schlagkraft herzustellen, die es braucht. Es muss doch eine größere Freude sein, zu Entscheidungen zu kommen und etwas weiter zu bringen – als ständig den Parteiobmann zu filetieren.

Wir erinnern uns etwa an die Bestellung der Staatssekretärin Verena Remler.

Ein Klassiker. Sagen wir es so: Da sind die Strukturen Tirols zu mir nach Wien gekommen.

Sind Sie eigentlich schuld an der Gründung der Neos – also Ihr Abgang?

Beate Meinl-Reisinger und Matthias Strolz waren natürlich Leute an meiner Seite in der Frage der Erneuerung der ÖVP. Ja, ich sehe die Neos schon als eine Abspaltung der ÖVP mit einem etwas schrägen Antlitz. Diese Leute hätten natürlich auch in der ÖVP einen Platz.

Sollte man die Amtszeiten von Landeshauptleuten beschränken?

Nein. Ich setze auf die Weisheit der handelnden Personen. Es muss doch für jeden Führungsverantwortlichen eine Freude sein, seinen Nachfolger aufzubauen.

Warum waren Sie eigentlich nicht beim Geburtstagsfest für Erwin Pröll vorigen Samstag in Göttweig?

Er hat am 24. 12. Geburtstag und ich werde ihm dann sicher gratulieren.

Könnte Erwin Prölls Nachfolger Josef Pröll heißen?

Nein. No way back to politics. Aber auch für Erwin Pröll gilt: Die Klärung seiner Nachfolge ist eine Schlüsselfrage, um als Land und Partei weiterhin Erfolg zu haben.

Haben Sie Werner Faymann nach dessen Rücktritt wieder einmal getroffen?

Ja, ich war mit ihm Mittagessen. Ich würde sagen: Er ist happy-peppi wie immer. Es war eine positive Begegnung.

Ist die Große Koalition als Regierungsvariante am Ende?

Sie war immer davon geprägt: Wir müssen und es ist gescheit. Aber wirklich mögen hat keiner. Das hat man oft schon bei der Angelobung im Parlament bemerkt.

Also eine Vernunftehe.

Vernunftehe ist noch ein größeres Erfolgsprojekt. Gemeinsam mit den Gewerkschaften und den Kammern ist da ein System, das im Aufschwung der Nachkriegszeit gelernt hat, immer nur zu verteilen. Jetzt kämpft man mit der Realität, dass alles knapper wird und tut sich schwer, hier zeitgemäße Antworten zu geben.

Die Nacht der Hypo-Verstaatlichung bleibt der Schatten Ihrer politischen Biografie?

Nein, überhaupt nicht. Das war die schwierigste Entscheidung in meinem politischen Leben. Aber volkswirtschaftlich auch die richtigste Entscheidung.

Frei von Zweifeln?

Frei von Zweifeln, weil die Alternative nicht abschätzbar war. Vielleicht hätte ich damals politisch sogar voll durchstarten können, wenn ich gesagt hätte, ich nehme völliges Risiko, wir lassen das explodieren. Ich bin aber überzeugt, dass es am Ende für Österreich und seine Volkswirtschaft ein Riesendilemma gewesen wäre.

Ihre Nachfolger haben dann alles richtig gemacht?

Wer macht schon alles richtig? Im Endeffekt war der Pfad einer, der richtig war. Sagt ja auch der Untersuchungsausschuss.

Was ist denn jetzt der Unterschied für Sie zwischen dem Leben in der Wirtschaft und der Politik?

Der größte ist die fehlende Öffentlichkeit. Ich arbeite gleich viel wie zuvor, aber ich bin der Öffentlichkeit nicht mehr ausgeliefert.

Sie sind viel in Mittel- und Osteuropa unterwegs. Welche Unterschiede nehmen Sie da wahr?

Da erlebst du bei den Jungen eine große Aufstiegshoffnung. Die verstehen unser System gar nicht – die Gewerkschaften, Kammern. Sie sind enorm wettbewerbsorientiert. Was kann ich verdienen? Welche Chancen habe ich? Das sind deren zentrale Fragen. Und so ist dort auch das politische System: schneller und klarer bei Entscheidungen. Ich vertrete weltanschaulich vieles nicht, was Viktor Orban vertritt. Aber es gibt klare, schnelle Entscheidungen für den Wirtschaftsstandort. Und in diesem Wettbewerb stehen wir. Da muss sich auch unsere Sozialpartnerschaft modernisieren. Und ich sage: Wer Reformen macht, gewinnt. Wer sie nicht macht, verliert.

Zur Person

Josef Pröll (48) war von 2008 bis 2011 ÖVP-Chef, Vizekanzler und Finanzminister. Nun ist er Chef der Raiffeisen-Tochter  Leipnik-Lundenburger („Finis Feinstes“, „café+co“) und niederösterreichischer Landesjägermeister.

Das Interview wurde gemeinsam mit den Chefredakteuren der Bundesländer-Zeitungen geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.