Walter Pöltner: Der unorthodoxe Mister Pension

Walter Poeltner unorthodoxe Mister
Walter Poeltner unorthodoxe Mister(c) Clemens Fabry
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"Semperitler", Hausmann, Clapton-Fan, Sektionschef: Walter Pöltner verhandelte alle Pensions-Reformen der vergangenen Jahre. Und eckt dabei auch bei seinen roten Genossen an.

Graue Haare, kein extravaganter Schnitt, Brille, unauffälliger Anzug: Nach dem äußeren Erscheinungsbild entspricht Walter Pöltner dem klassischen Bild des österreichischen Beamten. Trockenes Sozialversicherungsrecht und Pensionsbestimmungen sind sein (Berufs)Leben. Mehr als ein halbes Dutzend Sozialminister sind gekommen und gegangen. Der mittlerweile 58-Jährige, der im zweiten Bildungsweg die Matura gemacht hatte, war als Mitarbeiter und seit acht Jahren als Sektionschef federführend im Hintergrund als „Mister Pension“ an allen Reformen beteiligt. Ein gelernter Industriekaufmann, der im Semperit-Bürohaus in Wien für Klimaanlagen zuständig war. Einer, der schon vor 30 Jahren Hausmann war und mit seinem Kind zu Vorlesungen auf die Universität gegangen ist. Ein SPÖ-Mitglied und Exmitarbeiter der Arbeiterkammer, der gerade deswegen unter Schwarz-Blau wegen der Pensionsreformen als „Verräter“ betrachtet wurde.

Die Beamtenkarriere war definitiv weder vorgezeichnet noch Ziel. „Bis zum 25.Lebensjahr habe ich geglaubt, ich werde Musiker“, erinnert sich Pöltner und lächelt. Er spielt Klavier und Gitarre, tritt mit diversen Combos auf. Jeff Beck oder Eric Clapton sind seine Vorbilder. „Von den Wilden war ich der Sanftere“, sagt er ganz seinem Typus entsprechend. Später folgte allerdings ein Jusstudium, nicht die Musik. „Studiert hätte ich gern was anderes, aber meine Frau hat gesagt: Walter, wir müssen auch von etwas leben.“


Mit AK-Stallgeruch. Sozialrecht hat ihn freilich doch fasziniert. Beim ÖGB und in der Arbeiterkammer bot sich die Gelegenheit, das Wissen entsprechend einzusetzen. Ausgerechnet der von vielen gefürchtete frühere niederösterreichische Arbeiterkammerpräsident, der hemdsärmelige Josef „Jolly“ Hesoun, holte Pöltner 1990 ins Sozialministerium. Hesouns raubeiniger Stil war für so manchen Beamten gewöhnungsbedürftig. „Ich war als Semperitler harte Töne gewöhnt“, so Pöltner. Das im Juli 1993 von Hesoun gemeinsam mit ÖVP-Sozialsprecher Gottfried Feurstein durchgeboxte Pflegegeld sieht der Experte als Meilenstein. Beim derzeit vorherrschenden rot-schwarzen Dauerargwohn wäre das wohl gar nicht möglich gewesen.

Am turbulentesten wird es, als der Mann mit dem Stallgeruch der Arbeiterkammer ausgerechnet unter FPÖ-Sozialminister Herbert Haupt 2002 Sektionschef wird. Das machte ihn für seine Gesinnungsgenossen mehr als verdächtig. Noch dazu, wo Gewerkschaft und Arbeiterkammer gegen die Pensionsreformen 2003 und 2004 mit Großdemonstrationen und Streiks mobil machten. „Ich war roter Gemeinderat in Schwadorf, das war dem Schüssel völlig wurscht“, schildert der Sektionschef. In der SPÖ und in der AK war das keineswegs wurscht. Im Gegenteil: Man sah ihn als „Verräter“. Mit AK-Präsident Herbert Tumpel arteten die Ressentiments, wie Sitzungsteilnehmer schildern, in Schreiduelle aus.

Spurlos ging das nicht an dem Vater von zwei mittlerweile erwachsenen Kindern vorüber. Letztlich vergebliche Marathonverhandlungen mit den Sozialpartnern und ständig notwendige Korrekturen der vorbereiteten Gesetzesnovelle forderten ihren Tribut. Pöltner brach mit Herzproblemen auf der Straße zusammen.

Nicht nur seinen späteren Chef, Erwin Buchinger, der ab Jänner 2007 Sozialminister war, hat Pöltners Fachkenntnis beeindruckt, sondern auch dessen Einsatz: „Ich konnte um zwei Uhr in der Früh anrufen, und er wusste wie aus der Pistole geschossen die Antwort auf meine Frage.“ Er attestiert ebenso wie Winfried Pinggera, früher Kabinettsmitarbeiter von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und nun Generaldirektor der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), auch, dass Pöltner das Pensionsrecht ein „persönliches Anliegen“ weit über die Funktion als Sektionschef hinaus ist. „Er glaubt, dass die Pension etwas Sicheres sein muss und tut alles dafür“, analysiert Pinggera. Pöltner sehe sich der Erhaltung des staatlichen Pensionssystems verpflichtet, zugleich sei er „ein sensibler Mensch“.

Sein Vater war Schmied bei den ÖBB, also rote Stammklientel. Aufgrund familiärer Bande kennt er aber auch die Probleme der Bauern und kleinen Wirtschaftstreibenden. Der Großvater war Dachdeckermeister im Burgenland. „Ich weiß, wie Selbstständige kämpfen müssen“, sagt Pöltner.


Bauchweh mit Hacklerregelung. SPÖ-Minister Buchinger wiederum hat „schon gemerkt“, dass der Pensions-Sektionschef nicht nur unter Schwarz-Blau, sondern auch während seiner Ministerzeit „eine eigene Sichtweise“ zu bestimmten Problemen entwickelt hat. Etwa, als im Jahr 2008 die Hacklerregelung auf vehementes SPÖ-Betreiben bis 2013 verlängert und erleichtert wurde: „Da war er nicht so dabei, wie ich es war.“ Das ist noch untertrieben.

Pöltner meint heute dazu, man müsse ansetzen, um das in Österreich niedrige faktische Pensionsalter anzuheben. Die Hoffnung auf eine rasche Änderung der Hacklerregelung dämpft er jedoch: „Es gibt einfach einen Verfassungsschutz für diese Leute.“ Und: „Unser Problem in Österreich ist nicht, dass wir zu hohe Pensionen haben, sondern dass wir zu früh in Pension gehen.“ Deswegen wird derzeit auch ein Maßnahmenbündel zur Eindämmung der Invaliditätspensionen vorbereitet. Das spezielle Engagement, fast eine Art Hobby des Hobbymusikers, gilt dem Sozialversicherungsgesetz für Künstler, das in Begutachtung ist.

Im Haus baut er auf tatkräftige Unterstützung seiner Mitarbeiter, wie etwa von Zahlenfuchs Hans Stefanits. Pöltner kommt aber auch in der gut 30 Experten umfassenden Pensionskommission der Regierung eine Schlüsselrolle zu. Denn diese ist mit seinem Freund Bernhard Schwarz als Leiter für die mittel- und langfristigen Prognosen des Pensionssystems zuständig. Sie liefern letztlich die Grundlage und den Druck, um die zuständigen Politiker zum Handeln zu zwingen.
„Netzwerker Hundstorfer“. Wie er seinen Chef, Sozialminister Rudolf Hundstorfer, sieht? „Ein genialer Netzwerker, ein Politiker der alten Schule.“ Dessen Kontakte als Ex-ÖGB-Präsident und ins Wiener Rathaus kommen ihm zugute. Visionär mag Hundstorfer keiner sein. Aber, so sagt Pöltner bewundernd: „Er kann mit wenig Information irrsinnig viel anfangen.“

Nicht glücklich ist er damit, dass die Pensionsversicherung zum Sozialressort, die Krankenversicherung hingegen zum Gesundheitsministerium, gehören. „Diese Trennung ist nicht wirklich rationell.“

Zu seinem ungewöhnlichen Lebenslauf passt übrigens sein Geburtsdatum: Es kam in einem Schaltjahr, am 29.Februar 1952 zur Welt. Musik spielt Pöltner nach wie vor. Und wenn er selbst einmal im Ruhestand ist, will er sich noch einmal seinen Lebenstraum aus jungen Jahren erfüllen – und Musik studieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

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