Die Architekten von Rot-Grün

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Viele Politiker beanspruchen die Vaterschaft für die neue Wiener Koalition und sehen sich als Verbinder. Tatsächlich ist sie ein Produkt langfristiger guter Beziehungen: Wer Rot-Grün wirklich aus der Taufe hob.

Stefan Schennach sieht sich als Pionier der rot-grünen Achse in Wien. Der Bundesrat, der knapp vor der Wahl von den Grünen zur SPÖ wechselte, will hinter den Kulissen massive Überzeugungsarbeit geleistet haben. Er sei quasi einer der Architekten der rot-grünen Koalition in Wien gewesen, lässt er gern durchklingen. Bei den Grünen ist man anderer Meinung: Dort sieht man Schennach mehr als Totengräber der neuen Zusammenarbeit. Aber zum Glück als erfolglosen, aus aktueller Sicht der Grünen eben.

Zur Ehrenrettung des einstigen Grünen-Strategen sei festgehalten: Er ist nicht der Einzige, der sich dieser Tage als visionärer Verbinder zwischen den beiden linken Parteien sieht. So mancher Stadtrat und Parteifunktionär sonnt sich im Licht der medialen Aufmerksamkeit für das neuartige Projekt in Wien. Dabei waren es ganz andere, die da im Hintergrund effiziente Lobbying-Arbeit leisteten und die gewichtige Vorbehalte aus dem Weg räumten. Genau genommen waren es nämlich fast alle in der SPÖ, bei den Grünen sowie den zahlreichen nahestehenden Künstlern und natürlich viele Journalisten, die für Rot-Grün Stimmung machten. Schon am Wahlabend begann die Web-2.0-Offensive, wie man bei den Grünen erzählt.

Wobei es ehrlicherweise nicht nur Christoph Chorherrs Plattformen Twitter und Facebook waren, auf denen mobilgemacht wurde, sondern auch das gute alte Telefon zum Einsatz kam. Maria Vassilakou hatte sich gerade von der ersten Hochrechnung mit einem dicken Minus erholt – es wurde dann dank Wahlkarten kleiner – als die ersten SMS eintrafen. Absender: SPÖ-Politiker unterschiedlichster Ebenen. Inhalt: die Zusicherung, sich für Rot-Grün einzusetzen. Dass zum selben Zeitpunkt jeder Grünen-Funktionär und Gemeinderat seine Kontaktleute innerhalb der SPÖ bearbeitete, versteht sich von selbst.

Nun machten sich auch über die Jahre gepflegte soziale Kontakte und manche Freundschaft bezahlt: So gibt es innerhalb des Gemeinderats längst eine starke rot-grüne Achse. Spätestens mit der schwarz-blauen Wende und der Protestbewegung dagegen fühlen sich fast alle im SPÖ-Klub den Grünen viel näher als der ÖVP, aus deren Reihen Wolfgang Schüssel kommt. Grüne Gemeinderäte wie Claudia Smolik, die ihr Mandat gerade verlor, oder David Ellensohn, neuer Klubchef seiner Fraktion, und SPÖ-Kollegen wie Tanja Wehsely oder Jürgen Wutzlhofer verbringen auch privat Zeit miteinander. Auch Stadtrat Christian Oxonitsch, dem unter Rot-Grün bessere Chancen auf die Nachfolge Michael Häupls eingeräumt werden, hat eine private Verbindung zu den Wiener Grünen: Seine Lebensgefährtin war früher dort Pressesprecherin.


Das große Tabu. Und dennoch wagte sich auch der Stadtrat in den Tagen nach der Wahl öffentlich nicht mit einer Koalitionspräferenz aus der Deckung. Das tat kein Stadtrat: Nicht angesprochene selbstständige Meinungsäußerungen sind in der Wiener Stadtregierung immer tabu. Genau genommen ging es nur darum, was Michael Häupl selbst will: Dass die Chemie zwischen ihm und Vassilakou besser ist als jene zwischen ihm und Wiens ÖVP-Chefin Christine Marek. Der Bürgermeister kennt die Grünen-Klubchefin seit vielen Jahren, die beiden sind per Du und treffen einander in regelmäßigen Abständen zum Meinungsaustausch bei einem Mittagessen. Nur im Vorjahr war das Verhältnis ein wenig gestört, Vassilakou hatte mehrmals heftige Kritik geübt, auch an Häupl persönlich. Dass seine Vizebürgermeisterin Grete Laska über die von den Grünen aufgedeckten Skandale beim Prater-Vorplatz gestolpert war, verbesserte die Stimmung nicht. Treffen fanden aber weiterhin statt, nur eben sachlicher – im Büro, nicht mehr im Restaurant. Im Wahlkampf wurde das Verhältnis dann wieder deutlich besser: Beide hielten sich mit gegenseitigen Angriffen zurück. Bei der Diskussion der Spitzenkandidaten auf ATV, die im Gladiatoren-Stil mit eigenen Fanblöcken inszeniert wurde, bemerkte auch Häupl, dass Vassilakou Applaus aus den SPÖ-Reihen erhielt. Ganz anders die Reaktion des Bürgermeisters und seiner Anhänger auf Christine Marek, die mit ihrem Wahlkampf die Wiener SPÖ teils verwunderte, teils verärgerte.

Auch ein anderer, der immer als typischer Großkoalitionär genannt wird, hat Häupl zum Experiment mit den Grünen geraten: Sozialminister Rudolf Hundstorfer hatte Marek als Familienstaatssekretärin in diversen Verhandlungen nicht gerade lieben gelernt.

Auf SPÖ-Bundesebene war auch eine andere Stimme wichtig. Nein, nicht die Laura Rudas', die war zwar auch für Rot-Grün, gilt bei Häupl aber nicht als wichtig. Nein, der heimliche Bundeskanzler der Republik, Staatssekretär Josef Ostermayer, deponierte seine Sympathien für Rot-Grün. Er kennt Vassilakou noch gut aus seiner Zeit, als er noch mit Wohnbaustadtrat Werner Faymann das Rathaus unsicher machte. Natürlich spielt für ihn und seinen Chef auch die strategische Option Rot-Grün eine Rolle, die dem Koalitionspartner im Bund signalisieren soll: Es geht auch ohne euch.

Die größten Vorbehalte hatte man auf der SPÖ-Seite in Wien, die Wirtschaft mit Rot-Grün zu verstören. Dass die Grünen in den Verhandlungen darauf hinwiesen, dass sie wachsenden Einfluss in der Wirtschaftskammer hätten, beeindruckte Häupl weniger. Es war wohl eher Christine Marek, die die Karte Wirtschaft(skammer) – wie schon im Wahlkampf – kaum spielte. Wegen deren ÖAAB-dominierter Truppe hielt sich Wirtschaftskammer-Chefin Brigitte Jank mit heftigen Interventionen gegen Rot-Grün zurück. Wobei sie von Häupl natürlich informiert wurde und mäßig begeistert reagierte.

Das soll eine andere mächtige Wienerin nicht besonders schmerzen, heißt es im Rathaus. Renate Brauner, Finanzstadträtin und Vizebürgermeisterin, garantiert ihrem Chef, dass es mit der Wirtschaft kein Problem gibt, die eigene SPÖ-Fraktion in der Kammer werde dafür sorgen. Nachsatz: Auch die anderen kämen am Rathaus nicht vorbei. Brauner kennt Vassilakou schon lange, die Grüne kam in Brauners eng gestricktes Frauen-Netzwerk. Brigitte Jank war da nie dabei. Christine Marek weiß nicht einmal etwas davon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2010)

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