Assistenzeinsatz: "Hallo, hier 317. Unser Posten brennt!"

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Von "illegalen Rehen", Schüssen im Zelt und der Jagd auf Wildschweine: Wie ehmalige Rekruten ihren Assistenzeinsatz an der Ostgrenze erlebten.

Winter 2002, irgendwo im pannonischen Nirgendwo: "Hallo, hier 317. Unser Posten brennt." Der Posten war ein Zelt. Und das Zelt brannte ab. Zwei Rekruten hatten die Heizung überbeansprucht. Der damalige Grundwehrdiener Erich Wessely hat das Ende des "Postens 317" an der burgenländisch-slowakischen Grenze am Funk mitverfolgt und nie vergessen. "Im Rückblick ist das sicher einer der bleibenden lustigen Erinnerungen. Es endete damals ja alles glimpflich", sagt der heute 28-jährige Weinviertler. 21 Jahre Assistenzeinsatz an der rot-weiß-roten Ostgrenze, da war viel Komisches dabei, wie ehemalige Rekruten gegenüber DiePresse.com schildern. Aber es war auch viel Leerlauf dabei - und mitunter Tragisches.

Dunkelheit, eisige Kälte, ein mit scharfer Munition geladenes Sturmgewehr über der Schulter und im Kopf den Auftrag, Wildfremde ("Illegale") in der Finsternis auszumachen: Der mit Jahresende auslaufende Assistenzeinsatz war nichts für zarte Gemüter. Ernst Safka, ein heute 32-jähriger Angestellter aus Wimpassing im Burgenland erinnert sich an einen Kameraden, der im Grenzeinsatz ganz plötzlich "ausgezuckt ist", die Nerven verloren hat. "Die anderen mussten ihn bändigen."

"Sie wollten ja aufgegriffen werden"

91.000 "Illegale" wurden seit 1990 an Österreichs Ostgrenze aufgegriffen. 123 von ihnen schnappten Thomas Bauer und sein Zug  im Jahr 1999 in nur einem Monat. Für den technischen Angestellten war der Grenzeinsatz bei Kittsee (Burgenland) dann im Rückblick auch "eine sehr prägende Zeit". Der vormalige Rekrut aus Eisenstadt sah das "Elend" der "illegalen" Familien. wie sie nach dem Aufgriff versuchten, ihre Pässe im Klo hinunterzuspülen oder einen Tetra-Pak-Getränkekarton mit den Fingern an der Unterseite aufstachen, weil sie schlicht nicht wussten, wie sich ein Tetra Pak öffnen lässt.

Angst hatte Bauer vor den Illegalen aber nie. Die hatte auch Harald Hochmeister nicht. Sein Eindruck: "Die Grenzgänger hatten es darauf angelegt, aufgegriffen zu werden. Es hatte den Anschein, als wären sie froh darüber." Der einzige an der Grenze zu beobachtende Kampf war für den heute 30-jährigen angehenden Pflichtschullehrer dann auch der Konkurrenzkampf - und zwar zwischen den Kommandanten des Bundesheers und der Grenzpolizei. Hochmeister patrouillierte entlang der March in Niederösterreich. Als er eine Beobachtung auf einem Bahnhofsareal meldete, "schnappte uns die Grenzpolizei den Aufgriff weg". Es folgte eine zweiwöchige "Pechsträhne" ohne Aufgriffe - ganz schlecht für die  Statistik. "Da wurden die Kommandanten nervös."

Auch Stefan Schmidt fürchtete nicht die Illegalen, sondern die Unachtsamkeit der eigenen Kameraden. "Die Soldaten liefen oft übermüdet und nicht mehr ganz nüchtern mit scharfen Waffen herum. Und mit Soldaten mein' ich nicht nur Grundwehrdiener." Die Angst des heute 28-jährigen Fachhochschul-Lektors war nicht unbegründet. Ein ehemaliger Grenzdiener aus Neunkirchen, der namentlich nicht genannt werden will, erinnert sich, wie sich ein Schuss aus der Waffe eines Rekruten in dessen Zelt löste. Verletzte gab es zwar nicht. Aber der Rekrut hatte "dann den Arsch offen" - Ausgangssperre. Und einige Kameraden von Robert Stefanits aus Hornstein (Burgenland) hätten sich den Nachtisch beinahe selbst geschossen. Allerdings war ihr Motiv nicht Hunger sondern die Angst vor Wildschweinen. Die Kommandanten hatten vor ihnen gewarnt. Bei jedem Rascheln im Gebüsch "legten einige schon das Sturmgewehr an", schildert der heute 33-Jährige. "Andere liefen sofort davon oder warfen sich ins nächste Gebüsch."

Salmonellen-Vergiftung

Nicht nur die Angst vor Wildschwein-Angriffen hat einigen Rekruten auf den Magen geschlagen: Von den 55.000 Tonnen Essen in 21 Jahren Assistenzeinsatz war nicht jeder Bissen genießbar. "Vom Essen her war es ein Wahnsinn", sagt Ernst Safka - und meint es nicht positiv. Unter der pannonischen Sonne des Sommers 2001 sei das Essen ungekühlt geliefert worden. Illegale hätten sie in ihren sechs Wochen zwar nicht gefangen, dafür fingen sich mehrere Rekruten Salmonellen ein. Safkas knappes Fazit: "Den Assistenzeinsatz hat keiner von uns als sinnvoll empfunden."

Andere Grenzdiener fällen in der Rückschau ein milderes Urteil. Thomas Schrenk zum Beispiel. Der 32-jährige Weinviertler war nahe des burgenländischen Pamas stationiert. In der Rückschau unterscheidet Schrenk schlicht zwischen Eigennutz und Sinnhaftigkeit des Einsatzes: Die Zeit an der Grenze sei zwar "eintönig" gewesen, langweilig. Bleibende Erinnerungen gebe es kaum - bis auf den Tag, als alle ein Feld mit angeblichen "Illegalen" umstellten, die sich später als aufgescheuchte Rehe entpuppten. Schrenk sagt aber auch, dass sich die Bevölkerung durch den Einsatz sicherer gefühlt hat: "Das hat man gemerkt. Und das war ein gutes Gefühl." Wer den 32-Jährigen jetzt auf der Seite des Assistenzeinsatzes wähnt, liegt aber falsch. Sein Fazit: "Man sollte keinem 18-Jährigen zumuten, mit geladener Waffe stundenlang zu patrouillieren." Ex-Rekrut Safka stimmt zu: "Das sollen Profis machen."

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