„Knigge ist nicht nur für Kompostis“

Kinderbücher: Von alten und peinlichen Benimm-Tipps und dem Ende der Zensur von Astrid Lindgren.

WIEN (jule). „Sieh einmal, hier steht er/ Pfui! der Struwwelpeter/ An den Händen beiden/Ließ er sich nicht schneiden/ Seine Nägel fast ein Jahr;/ Kämmen ließ er sich nicht sein Haar/ Pfui! ruft da ein Jeder:/Garst'ger Struwwelpeter!“ Generationen von Kindern kennen die Geschichte vom Struwwelpeter aus dem gleichnamigen Buch des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann (1844).

Lieber Wicht statt Daumen ab

Wer den Eltern nicht gehorcht, so die Moral einer jeden Geschichte, dem ergeht es schlecht. Da wird Konrad dem Daumenlutscher der Daumen abgeschnitten, der Suppenkasper verhungert und Pauline verbrennt, weil sie mit dem Feuerzeug spielt. Heute werden Benimm-Bücher anders geschrieben. Sie tragen Namen wie „Uuups, benimm dich“, „Knigge für Kinder“, „Ist pupsen peinlich“ oder „Bitte sehr und danke schön“. Da erklärt dann ein Wicht oder anderes buntes Wesen, dass man nicht in der Nase bohren oder andere beim Reden unterbrechen soll – und zwar ohne mit dem Tod zu drohen. Dabei ist zu beobachten: Die Qualität der Bücher ist sehr unterschiedlich.

Peinlich wird es etwa, wenn Autoren versuchen, die (vermeintliche) Sprache der Jugendlichen zu verwenden. Ergebnis sind Sätze wie im „Benimm-ABC“ (Don Bosco): „Richtiges Benehmen das ist doch nur was für Kompostis! Aber ärgerst du dich nicht auch, wenn jemand bis zum Abwinken auf deiner Party bleibt, während du schon fast ins Bett fällst? (...) Knigge ist also gar nicht so megaout, wie man zunächst denken könnte...“

Damit nicht vergleichbar, weil für ein deutlich jüngeres Publikum gedacht, ist der Band „Uuups, benimm dich“. Hier zeigt Protagonist Lucas „Uuups“, einem grünen Strubbelmonster von einem anderen Planeten, was auf der Erde freundliches Benehmen ist.

Ganz ohne Außerirdischen kommt Thomas Schäfer-Elmayer im Bilderbuch „Der kleine Elmayer“ aus. Zielpublikum sind Kinder zwischen fünf und zehn Jahren. Mit dem Buch hat der Benimm-Experte sich übrigens nicht nur Freunde gemacht. „Manche haben entsetzt reagiert und gesagt, dass ich jetzt auch noch die Kinder ,dressieren‘ will.“

Tatsächlich vermittle er aber nur, dass man mit seinem Benehmen und Aussehen gleichzeitig Botschaften sende. Auch auf dem Spielplatz. In der Version für Kinder klingt das dann etwa so: „Schon ein Fleck, ein Loch oder ein abgerissener Knopf bedeutet für viele Beobachter, dass jemand ungepflegt ist.“ Ob deshalb österreichische Kinder bald anstatt zu rutschen mit gefalteten Händen auf der Bank sitzen bleiben?

Ende der Lindgren-Zensur

Davon, dass Bücher ein Kind verderben können, war man zumindest in Frankreich lange überzeugt. Das bekam etwa Astrid Lindgren mit ihren nicht immer manierlichen Helden zu spüren. So wurden in der französischen Übersetzung von Pippi Langstrumpf (frz.: Fifi Brindacier) alle Passagen, in denen sie lügt oder sich unhöflich benimmt, gnadenlose zensiert. Eine wohlerzogene kleine Dame stemmt natürlich auch kein Pferd in die Luft. Höchstens ein Pony.

Erst 1995 erschien auf Druck von Lindgren die unverfälschte Geschichte. Die Verkaufszahlen stiegen, die „wilde“ Pippi-Ausgabe ist mittlerweile unter den Buchempfehlungen des Bildungsministeriums. Und mit großer Verspätung erscheinen nun auch „Michel aus Lönneberga“ und „Ronja Räubertochter“ neu. Unzensiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.