20.000 Kinder von Soldaten: Eine vaterlose Generation

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In Wien fand diese Woche die erste internationale Konferenz statt, die sich mit Besatzungskindern nach dem Zweiten Weltkrieg befasste.

Ab Weihnachten 1945 wurden in Deutschland und Österreich plötzlich sehr viele Kinder geboren – Kinder, deren Väter keine Einheimischen waren, sondern alliierte Soldaten. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Bei dem Symposium „Besatzungskinder in Österreich und Deutschland“ – der ersten internationalen Konferenz zu diesem Thema überhaupt – wurden am Donnerstag in Wien neue Schätzungen präsentiert: Für Österreich geht man demnach von mindestens 20.000 Besatzungskindern aus, für Deutschland von zumindest 450.000.

Die Bandbreite an Einzelschicksalen ist sehr groß: Viele Kinder waren die Folge von Vergewaltigungen – „vor allem in der Anfangszeit“, sagte die deutsche Historikerin Silke Satjukow. Aber es gab auch freiwillige Beziehungen zwischen mitteleuropäischen Frauen und britischen, französischen, amerikanischen oder russischen Soldaten: Liebesbeziehungen, Affären, One-Night-Stands, Überlebensprostitution oder pragmatische Versorgungspartnerschaften. „Nach dem Krieg bestand ein besonderer Hunger nach Liebe“, sagte Barbara Stelzl-Marx (Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung), die seit einem Jahrzehnt in diesem Gebiet forscht und die Konferenz gemeinsam mit der Uni Magdeburg organisiert hat.

Für die betroffenen Frauen und Kinder endeten die Kontakte meist fatal: Die Soldaten blieben nicht auf Dauer, sie wurden nach einiger Zeit abgezogen oder versetzt, manche auch verhaftet. Viele Soldaten wussten gar nicht, dass sie Väter geworden waren. Und viele konnten oder wollten sich nicht zu ihrem Nachwuchs bekennen.

Mütter und Kinder blieben allein zurück, sie wurden stigmatisiert – und zwar in doppelter Hinsicht: „Die Nachkommen waren unehelicher Geburt und Kinder einer Beziehung zum Feind“, so Satjukow. Die jahrelange Nazi-Propaganda war damals noch sehr präsent. „Viele Übergriffe wurden aus Scham, von einem ,Untermenschen‘ vergewaltigt worden zu sein, nicht angezeigt.“ Sofern es überhaupt eine funktionierende Behörde gab, wo man das hätte tun können.


Scham und Schande. „Die Schande, mit der die Mütter konfrontiert waren, ist vielfach auf die Kinder übergegangen“, so Stelzl-Marx. Diese wuchsen typischerweise ohne Vater auf, die Mütter mussten ihr eigenes Überleben bewerkstelligen, sich ein neues Leben aufbauen. Die Kinder wurden häufig unter Verwandten herumgereicht und oft von den Familien und der Gesellschaft nicht akzeptiert. In der Schule wurden sie ausgegrenzt, als „Russenkind“ etc. beschimpft, manche auch verprügelt. Besonders schwer hatten es Kinder, deren Väter farbige Franzosen oder Amerikaner waren.

Bei der Konferenz wurden zahlreiche Detailstudien zu bestimmten Gruppen und Regionen präsentiert. Zudem waren viele Besatzungskinder anwesend, die berichteten, wie es ihnen ergangen ist. Viele erzählten auch von den langen und mühsamen Versuchen, ihre Väter zu finden. So unterschiedlich die Einzelschicksale im Detail sind: Allen ist gemeinsam, dass sie beim Fragen nach ihren Wurzeln auf eine Mauer des Schweigens gestoßen sind. Von Behörden bekamen sie keinerlei Hilfe – zumindest nicht offiziell.

Die Weigerung, sich mit diesem unbequemen Thema ernsthaft zu beschäftigen, reicht bis in die ersten Nachkriegsjahre zurück. In den Besatzungssektoren herrschten zwar völlig unterschiedliche Bedingungen, adäquat wurde aber nirgends mit dem Problem umgegangen. „Man stritt sich mit der Rechtslage herum, die Frauen blieben oft allein“, so Satjukow. In den westlichen Besatzungszonen gab es eine Fürsorge für Kinder in Not, viele landeten in Heimen oder wurden „repatriiert“ – Paris z.B. betrachtete die Besatzungskinder in ihren Zonen als französische Staatsbürger.

Ein spezieller Fall sind die sowjetischen Besatzungszonen: Es galt zwar offiziell kein „Fraternisierungsverbot“, Beziehungen wurden aber als „politisch verwerflich“ eingestuft. Sobald eine Hochzeit geplant oder ein Kind unterwegs war, wurde der Soldat umgehend versetzt, manchmal auch verhaftet oder sogar hingerichtet. Hilfe suchende Mütter wurden abgewiesen, Alimentezahlungen gab es nicht. Dass in dieser Situation viele Kinder – meist illegal – abgetrieben wurden, darf nicht verwundern.


Suche nach der Wahrheit. In den betroffenen Familien wurde kaum über das Thema gesprochen. Viele Kinder erfuhren die Wahrheit erst viel später. Oft gab es nur spärliche Angaben zur Identität der Väter oder bloß ein vergilbtes Foto. Viele Frauen vernichteten unter dem Druck der neuen Ehemänner Erinnerungsstücke.

Unterstützung bei der Suche nach Vätern bieten mittlerweile einige Organisationen wie „GItrace“ (www.gitrace.org), die Plattform „Children born of war“ (www.bowin.eu) oder auch das Boltzmann-Institut (www.bik.ac.at). In Russland gibt es eine Fernsehsendung namens „Ždi menja“ (Warte auf mich!) zur Suche nach Angehörigen.

In vielen Fällen konnten Verwandte gefunden werden. Viele suchen aber weiter nach dem unbekannten Teil ihrer Identität – um die Lücke in der eigenen Biografie zu füllen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2012)

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