Max Bischof: Ein Wiener "managte" das Ghetto

Bischof Wiener managte Ghetto
Bischof Wiener managte Ghetto(c) privat
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Sensationsfund: Auf einem Dachboden lag der Nachlass des Bankdirektors Max Bischof. Der Wiener war die rechte Hand des NS-Verbrechers Hans Frank in Polen.

Kommerzialrat Dkfm. Max Bischof, Direktor i. R. der Österreichischen Länderbank, starb 1980 im 88. Lebensjahr in Wien. Die Todesanzeige listete alle Orden und Ehrenzeichen auf, die der Mann im Laufe seines Lebens erhalten hatte. Mehrere Funktionen des Ordensritters wurden rühmend erwähnt. Die wichtigste Tätigkeit des Max Georg Bischof aus Wien-Hietzing jedoch nicht: Der mit einer Jüdin verheiratete Bankfachmann Bischof war – wie der Historiker Georg Griensteidl durch eine sensationelle Entdeckung auf dem Dachboden eines Schulfreundes herausfand – die ökonomische Schlüsselfigur des Warschauer Judenghettos im Zweiten Weltkrieg.

Wie gelangt ein kaiserlicher Offizier des Ersten Weltkriegs, ein Anhänger des christlichen „Ständestaats“ aus dem Begleitkommando des Kanzlers Engelbert Dollfuß in die Todesmühle des Polenfeldzuges? Wie kann ein in „Mischehe“ lebender Mann die rechte Hand des barbarischen Kriegsverbrechers Hans Frank werden, des Herrn über Leben und Tod von Millionen Juden?

Eine seltsame, eine spannende Frage, der die Freunde Georg Griensteidl und Klaus Emmerich, der frühere „Presse“- und ORF-Korrespondent, nachgegangen sind. Tausende Blätter aus dem Nachlass ergaben schließlich das plastische Bild eines Lebenslaufes, der selbst angesichts unglaublicher menschlicher Schicksale nur als atemberaubend bezeichnet werden kann.

Bischof, in Wiener Bankkreisen eine Kapazität, war von Generalgouverneur Frank angefordert worden. Am 31. Oktober 1939 erteilte ihm der „Beauftragte für den Vierjahresplan“, Generalfeldmarschall Göring, den Marschbefehl ins von den deutschen Truppen eroberte Polen. Er sollte eine neue Landesbank gründen und das polnische Bankwesen in Schwung bringen. Bischof gehorchte. Er wusste, dass er in keiner Weise auffallen durfte – denn in Hietzing ließ er den Nazis seine jüdische Frau und die Kinder aus Angst vor einer Deportation der Mutter quasi als Geiseln zurück.

Nach einem halben Jahr war der Wiener bereits Aufsichtskommissar aller Banken im „Generalgouvernement“. Unversehens sah sich der NS-Gegner Bischof in einen Machtkampf verwickelt, den SS-Chef Himmler mit Hilfe seiner Vasallen Heydrich und Globocnik anzettelte. Der Jurist Hans Frank, der in Polen wie ein König regierte, war mit den Massen an deportierten Juden aus aller Herren Länder überfordert. Lange Zeit glaubte er sogar an das Märchen, die unglücklichen und halb verhungerten Elendsgestalten habe man ihm nur zum Transit geschickt – bis zur Ausreise nach Madagaskar.

Die SS hingegen wusste genau, was sie wollte: die Vernichtung der Menschenmassen und die Ausbeutung der Arbeitsfähigen für einen Industriekonzern unter Leitung der SS. Dazu trieb man die Juden ins Warschauer Ghetto. Etwa 500.000 Menschen vegetierten hier hinter Stacheldraht und Betonmauern dahin. Sieben Familien in einem Zimmer: Die sanitären Zustände kann man sich heute nicht mehr ausmalen.

Aber es bedarf eines Ökonomen, der die notdürftigste Versorgung „managt“ und eine kleine „Ghetto-Industrie“ aufbaut. Bischof kann es. Er ist Treuhandstelle für jeglichen Grundbesitz, er ist Chef des Zahlungsverkehrs, der Lagerverwaltung, der Bedarfsdeckung. Frank, der in der NS-Hierarchie geschwächt ist, gibt ihm freie Hand. Doch bald folgen auf den Judenmörder Frank noch viel grausamere Vorgesetzte: die Männer in der schwarzen Uniform der SS.

Sie halten wenig von der – wenn auch jämmerlichen – Versorgung der Ghettobewohner, deren Zahl inzwischen auf 600.000 angeschwollen ist. Die industriell angelegte systematische Tötung der Juden hat begonnen. Doch im Ghetto von Warschau greifen die Todgeweihten zu den Waffen. Der Aufstand wird von SS-Truppen blutig niedergeschlagen. Als die Rote Armee dann im Jänner 1945 – nach dem zweiten Aufstand – Warschau einnimmt, findet sie tausende Leichen, kranke Überlebende, 350.000 Männeranzüge, 837.000 Frauenkleider.

Rechtzeitig abberufen

Bischof hat dieses Ende nicht an Ort und Stelle miterlebt. Er ist schon zuvor abgezogen und zur kämpfenden Truppe einberufen worden. Nach einer schweren Schussverletzung bei Dresden ist für ihn der Zweite Weltkrieg vorüber.

Auch die Familie überlebt. Eine unglaubliche Talfahrt über Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens nimmt ein gutes Ende. Der brave Bankbeamte Bischof meldet sich 1945 bei „seiner“ Länderbank zum Dienstantritt, 1949 wird er Direktor, inskribiert, wird Diplomkaufmann. Prominente Nachkriegsfunktionäre bescheinigen ihm, im Generalgouvernement menschlich korrekt vorgegangen zu sein; es setzt keinerlei peinliche Untersuchungen.

„Es war wie eine Wanderung durch Zeit und Raum“, schildert Klaus Emmerich dieses Puzzle aus hunderten Dokumenten. Mehr als das: „ein Besuch am Abgrund der Zivilisation“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2010)

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