Weihnachten: Fest der auch körperlichen Liebe?

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Dass sich mancherorts neun Monate nach Weihnachten ein Babyboom einstellt, ist umstritten. Es kann biologische Ursachen haben oder kulturelle. Auf Letztere deutet die jüngste Studie, die Internetdaten ausgewertet hat.

Wenn sich Familien um das Kind in der Krippe versammeln, dann kann schon der Wunsch nach einem eigenen Kind geweckt werden. Liegt es daran, dass sich neun Monate später die Geburten häufen – am 22. September feiern so viele Österreicher Geburtstag wie an keinem anderen Tag, bei den Nachbarn ist es kaum anders – und viel früher, zwei Monate nach dem Fest, die Abtreibungen? Woher kommt das, von der Feierstimmung oder von viel Banalerem und Handfesterem? Von der Jahreszeit mit ihrer Kälte, den endlosen Nächten und den wohlgefüllten Vorratskammern?

Die beiden Hypothesen, die biologische und die kulturelle, konkurrieren seit Langem, und zwischen ihnen zu entscheiden, ist gar nicht so leicht: Wie soll man die Launen des Begehrens messen, und das möglichst rund um die Erde? Man hat es über Verkaufszahlen von Kondomen versucht – dabei geht es allerdings gerade nicht um das Zeugen, sondern um das Gegenteil –, man hat es über die Infektionsraten von sexuell übertragenen Krankheiten versucht. Diese brauchen gut geführte Register, und die gibt es in vielen Ländern nicht. Aber etwas anderes gibt es fast überall: das Internet und den Herrn Google, bei dem auch in intimen Fragen Information und Rat gesucht wird. Dort kann man auch die häufigsten Anfragen ausheben („Google Trend“), Luis Rocha (Indiana University) hat es in fast 130 Ländern für die Jahre von 2004 bis 2014 getan und eine Gruppe von Begriffen durchgemustert, die sich um einen zentralen gruppierten: „Sex“.

Die Suche danach schnellte in den christlich geprägten Gesellschaften, die Weihnachten am 25. und 26. Dezember feiern, in diesen Tagen hoch, nicht hingegen bei orthodoxen Christen, deren Weihnacht später kommt. Zwischen katholischen und protestantischen Ländern zeigte sich keine Differenz, auch nicht zwischen Ländern auf der nördlichen Erdhalbkugel und solchen im Süden. Das spricht stark gegen eine biologische Erklärung des Kindersegens im September: Südlich des Äquators herrscht Hochsommer, wenn es bei uns eisig ist und finster. Und doch rücken auch im Norden dann nicht alle näher zusammen, sondern nur die in christlichen Gesellschaften (und auch sie nur zu Weihnachten, nicht zu Ostern oder Erntedank).

Auch das Fastenbrechen wirkt

Aber andere haben auch ihre Feste: Muslime feiern Eid al-Fitr, das Fastenbrechen am Ende des Ramadan. Das fällt jedes Jahr anders, aber auch dann kommen vermehrt „Sex“-Anfragen bei Google. Aus welcher Stimmung heraus? Auch das hat Rocha dem Internet abgelauscht, Postings auf Twitter von 2010 bis 2014: Zu Weihnachten und Fastenbrechen fühlen die Menschen sich ruhiger, sicherer und glücklicher als sonst (Scientific Reports 21. 12.). „Unsere Studie fand, dass bei Menschen die Kultur die Haupttriebkraft von zyklischem Sexual- und Reproduktionsverhalten ist“, schließt Rocha.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2017)

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