Die Römische Rede, auf die Robert Menasse sich bezieht

EU-Vordenker Walter Hallstein: Mit der heutigen Union zufrieden?
EU-Vordenker Walter Hallstein: Mit der heutigen Union zufrieden?Friedrich / Interfoto / picturedesk.com
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Was hat Walter Hallstein, der erste Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, am 15. Oktober 1964 in seiner Ansprache in Rom nun wirklich gesagt? Und liest sich diese heute anders als damals? Sie lässt jedenfalls Interpretationsspielraum.

Eines vorweg: Jene Zitate, die Robert Menasse Walter Hallstein unterschob, kommen in der Rede tatsächlich nicht vor. „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee.“ Oder: „Was immer wir in den neu geschaffenen europäischen Institutionen beschließen und durchzusetzen versuchen, Ziel ist und bleibt die Organisation eines nachnationalen Europas.“ Oder: „Das Ziel des europäischen Einigungsprozesses ist die Überwindung der Nationalstaaten.“

Vom Sinn her kommt einiges von dem, was Hallstein wirklich gesagt hat, dem, was er laut Menasse gesagt haben soll, durchaus nahe. Aber eben nur zum Teil.

Die Rede, auf die sich Menasse bezog, als er Hallstein als Kronzeugen seiner Idee einer europäischen Republik anführte, wurde am 15. Oktober 1964 in Rom gehalten. Anlass war die Eröffnung des Europäischen Gemeindetags. Vorausgeschickt werden muss vielleicht noch, dass diese Ansprache noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges, der erst 19 Jahre her war, und des Kommunismus, der die (süd-)östlichen Teile Europas im Griff hatte, stand.

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