„Man kann im System verbessern“

Foto: Clemens Fabry
  • Drucken

Interview: Harald Krammer, scheidender Präsident des Oberlandesgerichts Wien, kritisiert die soeben beschlossene Möglichkeit der Volksanwaltschaft, in Justizverfahren einzugreifen.

Die Presse: Als Präsident des Wiener Oberlandesgerichts (zuständig für Rechtsmittel und die Justizverwaltung für Wien, Niederösterreich und Burgenland) sind Sie einer der höchsten Richter Österreichs, nun gehen Sie in Pension. Was geben Sie Ihren Kollegen mit?
Harald Krammer:
Die Justiz in Österreich funktioniert sehr gut, es hat wenig Sinn, immer wieder die Gerichtsorganisation zu ändern, neue Senate zu erfinden. Die Volksanwaltschaft wurde mit Fristsetzungsanträgen betraut – die vier Präsidenten der Oberlandesgerichte und die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes haben in einem offenen Brief schwerste Bedenken über die Eingriffsmöglichkeit der Volksanwaltschaft in die unabhängige Rechtsprechung geäußert. 80 Prozent der Verfahren sind Zivilverfahren, dabei gibt es durchaus auch Parteien-Interessen, dass das Verfahren lange dauert. Wenn die Volksanwaltschaft Parteienstellung hat, ist sie – wie der Name sagt – Partei, und das ist systemwidrig.

Das Forcieren bedingter Entlassungen ist Teil des Haftentlastungspakets. Wie beurteilen Sie das vorliegende Paket, schließlich müssen die Richter mitspielen, sie entscheiden über bedingte Entlassungen? Krammer: Ich glaube schon, dass die bedingte Entlassung ein richtiges Instrument ist, um die Eingliederung in die Gesellschaft von Straffälligen zu ermöglichen. Wir können nicht alle Straftäter lebenslang wegsperren. Die bedingte Entlassung mit der Nachbetreuung, die ganz wichtig ist, ist eine moderne sozialpädagogische Methode, der ich zustimme.

Sie nehmen also an, dass Ihre Richterkollegen mitziehen?
Krammer: Ja, weil das Gesetz geändert wurde. Ohne Änderung des Gesetzes wäre kein geändertes Verhalten der Richter zu erwarten gewesen. Jetzt ändert man das Gesetz, und damit wird auch eine Änderung der Haftentlassungspraxis einhergehen.

Der U-Richter wird mit Jahreswechsel als Herr des strafrechtlichen Vorverfahrens abgeschafft und durch einen Staatsanwalt ersetzt. Aus Richter-Sicht ein Verlust? Krammer: Deutschland ist aus dem System der Untersuchungsrichter ausgeschert, hat vor einigen Jahren die staatsanwaltschaftliche Ermittlung eingeführt, und es ist daher nicht besonders erstaunlich, dass Österreich nachzieht.

Mit der weitgehenden Ausschaltung des Untersuchungsrichters, der ja nur mehr als Haft- und Rechtsschutzrichter für die Grundrechtswahrung da ist, ist auch eine Änderung in der Struktur des Verfahrens verbunden. Und ich glaube, dass in die Hauptverhandlung nun mehr Fragen hineinverpackt werden als bisher. Ein im Vorverfahren vom Staatsanwalt bestellter Sachverständiger wird das Odium haben, dass er der Sachverständige der Anklagebehörde ist, und wird daher für die Verteidiger ein Anlass sein, in der Hauptverhandlung einen weiteren Sachverständigen, der vom Richter bestellt ist, zu verlangen.
Das sehen Sie also negativ.
Krammer: Negativ – das ist schwer zu sagen, die Verbindung zwischen Kripo und Staatsanwaltschaft ist sicher für unkomplizierte Verfahren eine Beschleunigung. In kritischen Bewertungsfragen, ich denke da an Betrugsdelikte oder an Delikte wie z. B. im Bawag-Prozess, wo es um sehr kritische Bewertungen von wirtschaftlichen Vorgängen geht, ist natürlich die Auswahl des Sachverständigen sehr wesentlich, und es könnte sein, dass dann der Angeklagte in der Hauptverhandlung verlangt, dass das Gericht einen weiteren Sachverständigen bestellt.

Wie sieht es mit der personellen Ausstattung der Gerichte aus, werden Planstellen gekürzt?
Krammer: Ich meine, dass es für diese grundsätzliche Veränderung im Verfahren sinnvoll gewesen wäre, in den ersten Jahren keine Kürzungen bei Richterstellen vorzunehmen oder etwas geringere, weil dann der Übergang besser glücken würde. Es wurde etwa das Problem, dass nun die Hauptverhandlung länger dauern wird, weil dort mehr Beweise aufzunehmen sind, nicht berücksichtigt.

Das heißt, es werden in zu kurzer Zeit zu viele Richter abgebaut.
Krammer: Ja.

In Zahlen.
Krammer: Im Oberlandesgerichtssprengel Wien sind zuletzt 29 Richterplanstellen gestrichen worden, das musste auf die Gerichte aufgeteilt werden. Es mussten auch Zivilgerichte belastet werden, weil nicht alle 29 Planstellen bei den Strafgerichten gekürzt werden konnten. Bundesweit wurden im Stellenplan für nächstes Jahr 57 Richter-Planstellen in den Staatsanwaltschaftsbereich umgeschichtet.


Eine Korneuburger Richterin steht unter Amtsmissbrauchs-Anklage. Schadet das dem Ansehen der Justiz?
Krammer: Natürlich schadet das dem Ansehen der Justiz. Es ist natürlich ein Phänomen unserer Zeit, dass aus Einzelfällen, die leider unvermeidlich sind, gerne Überlegungen zu symptomatischen Fehlern gezogen werden. Es gibt immer wieder einzelne Probleme, und da muss natürlich sofort reagiert werden. Das gilt auch in größerem Zusammenhang. Ich begrüße die Neueinrichtung der Justiz-Beschwerdestellen, aber es ist nicht so, dass das die Welt verändert, weil es vorher nicht funktioniert hätte. Es geht darum, dass man im System verbessern kann.

GEHEN UND KOMMEN

Harald Krammer (65) ist seit 1969 Richter. 1999 bis 2004 war er Präsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, seither Präsident des Oberlandesgerichts.

Anton Sumerauer (58), bisher Vizepräsident des OLG, löst Krammer mit Jahreswechsel ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.