„Wir orten nur Geräte, keine Menschen“

Illustration: Vinzenz Schüller
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Rechtspanorama am Juridicum: Handybetreiber versuchen zu beruhigen, dass die technischen Überwachungsmöglichkeiten überschätzt werden und dass sie unbegründete Anfragen im Interesse der Kunden auch ablehnen.

WIEN.Die Ängste im Publikum zu zerstreuen, gelang Jürgen Peterka, Leiter der Funknetzplanung bei der Mobilkom Austria, nicht. Seine Versicherungen, dass auch Handybetreiber lediglich Geräte, also Handys orten können, hielt einzelne Besucher nicht ab, ihre Mobiltelefone noch während der Diskussion ganz abzuschalten. Vor der Hintergrund immer wachsender technischer Möglichkeiten der Überwachung jedes Einzelnen und den Bekundungen jener, die dazu im Stande sind, dass die technischen Möglichkeiten weit überschätzt werden, fand man sich vorige Woche auf Einladung der „Presse“ und der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät zu einer Debatte zum Thema „Unterwegs zum Überwachungsstaat?“ am Juridicum ein.

Weitgehend einig war sich das Podium in der Einschätzung, dass das neue Sicherheitspolizeigesetz eine Reihe von Graubereichen öffnet. Richter Franz Schmidbauer hält das neue Gesetz für „sehr unausgegoren“. Speziell, dass in Grundrechte bei Gefahr im Verzug ohne richterliche Anordnung eingegriffen werden kann, hält Schmidbauer für einen Fehler. Hier wäre ähnlich wie beim Grundrecht auf Freiheit auch bei jenem auf Privatsphäre das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung des Eingriffs sinnvoll. „Man muss damit rechnen, dass die Dinge, die möglich sind, geschehen, vor allem, wenn es keine Kontrolle gibt.“

Viel mehr Anfragen zu Standort

Klaus Steinmaurer, Leiter der Rechtsabteilung des Handynetzbetreibers T-Mobile, legt das neue Gesetz zum Schutz seiner Kunden sehr eng aus. Ein Mindestmaß an Dokumentation hält er für unerlässlich. Wenn die Exekutive bei ihm eine Anfrage zur Standortlokalisierung eines Kunden stellt, so lässt er immer nachprüfen, aus welchem Grund die Anfrage erfolgt. Denn nur bei Gefahr im Verzug für Leben oder Gesundheit eines Menschen müsse er tatsächlich Informationen herausgeben. In der Praxis funktioniere die ganze Abfrage seit dem neuen Gesetz auch nicht schneller als zu Zeiten, als richterliche Befehle noch von Nöten waren, erklärt Steinmaurer.

Was allerdings zu beobachten sei, ist eine wachsende Zahl an Anfragen. Solche zur Standortlokalisierung seien seit dem Vorjahr um 70 Prozent gestiegen. Insgesamt habe sich die Zahl der angeordneten Überwachungen sogar um 130 Prozent erhöht, was Steinmaurer sich mit der neuen Strafprozessordnung erklärt. Seitdem der Staatsanwalt Überwachungen anordnen dürfe, geschehe dies häufiger, aber für kürzere Zeit.

Peterka gibt wiederholt zu bedenken, dass nur ein Handy, in dem die SIM-Karte aktiv ist und das auch eingeschaltet ist, lokalisiert werden kann – in der Stadt mit einer Genauigkeit von rund 300 Metern, im ländlichen Bereich wegen geringerer Netzdichte in einem Umkreis von vier bis sechs Kilometern. Wenn man sein Handy einem Hund umbinde und selbst in die entgegengesetzte Richtung spaziere, könne man aber nur den Hund lokalisieren. Und dass ein abgeschaltetes Handy vom Netzbetreiber eingeschaltet werden könne, um es zu orten, sei ein Märchen aus US-Filmen, wie beide Vertreter der Telekommunikationsbranche versicherten.

Der Salzburger Verfassungsrechtsprofessor Ewald Wiederin hält die vom Briefgeheimnis geschützte Post immer noch für die sicherste Kommunikationsvariante. „Das Postaufkommen ist auch nicht rückläufig, weil die Wirtschaft auf sicheren Verkehr setzt.“ Im internationalen Vergleich sieht Wiederin Österreich dennoch nicht so schlecht dastehen. Von Eingriffen in die Privatsphäre und in den Datenschutz, wie sie in Deutschland derzeit möglich seien, seien wir noch meilenweit entfernt.

Für den Wiener Psychologen Univ.-Prof. Germain Weber ist ganz klar, dass Menschen, die sich beobachtet fühlen, anders benehmen. Das habe auch ein ganz einfaches Experiment gezeigt, in dem über eine freiwillige Kaffeekasse einmal ein Blumenbild und ein anderes Mal streng blickende Augen angebracht waren. Im zweiten Fall enthielt die Kaffeekasse ein Vielfaches an Münzen.

Für Schmidbauer ist wichtig, dass die gesetzliche Regelung in Österreich so aussehen soll, dass man nicht darauf vertrauen muss, die richtigen Personen werden sie schon behutsam anwenden. Eine betreiberseitige Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof wegen Grauzonen im neuen Gesetz hält er schon sehr bald für wahrscheinlich.

Im Publikum gab es aber auch andere Stimmen. Ein Zuhörer gab zu bedenken, dass er sich mehr vor Kriminalität fürchte als vor Überwachung. Wie weit die Anfragen an Handybetreiber aber zu verbesserter Verbrechensaufklärung führen, dazu kenne er noch keine Statistik. Das Innenministerium hatte es freilich vorgezogen, keinen Diskussionsteilnehmer zu nominieren.

DAS NÄCHSTE MAL

Rechtspanorama am Juridicum. Die gemeinsam von der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät und der „Presse“ organisierte Diskussionsreihe findet ihre Fortsetzung am 7. April. Dann wird im Dachgeschoß des Wiener Juridicum über „Weisungsfreie Strafverfolgung“ diskutiert.

Teilnehmer: Drago Kos, Vorsitzender der Europarats-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Korruption (Greco), Andreas Khol, Präsident des Nationalrats a. D., Staatsanwalt Walter Geyer, Journalist Florian Klenk und BIA-Chef Martin Kreutner (alle: Transparency International).
[Fotos: Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2008)

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