Die Tücken im neuen Demorecht

Großes Publikumsinteresse bei der Debatte im Dachgeschoß des Wiener Juridicums.
Großes Publikumsinteresse bei der Debatte im Dachgeschoß des Wiener Juridicums. (c) Stanislav Jenis
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Strenge Regeln, auch wenn nicht Erdoğan, sondern ein OSZE-Vertreter dabei ist, Hürden für ein Lichtermeer, veraltete Sprache: Experten rügen beim Rechtspanorama am Juridicum die Novelle.

Wien. Erst kürzlich hat das Parlament eine Novelle des Versammlungsrechts beschlossen. Die Anzeigepflicht für Demonstrationen wird (ausgenommen: Spontanversammlungen) von 24 auf 48 Stunden ausgeweitet. Die Polizei hat einen Schutzbereich von bis zu 150 Metern zwischen rivalisierenden Kundgebungen anzuordnen. Und die Bundesregierung kann Versammlungen verbieten, an denen Vertreter ausländischer Staaten oder internationaler Organisationen teilnehmen („Lex Erdoğan“). Solche Veranstaltungen müssen bereits eine Woche zuvor angemeldet werden. Und doch würde eine weitere Überarbeitung dem Gesetz guttun, sagte beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum Franz Eigner, Vizepräsident der Landespolizeidirektion Wien.

Denn Ausdrücke des Versammlungsgesetzes würden auf 1867 zurückgehen, beklagte Eigner bei der von der „Presse“ und der Jus-Fakultät an der Uni Wien veranstalteten Debatte. „Die Behörden können wunderbar damit leben, sie kennen die Spruchpraxis des Verfassungsgerichtshofs“, meinte Eigner. Aber für Bürger sei das Gesetz mit seinen Wörtern unverständlich.

Änderungen beim Demonstrationsrecht will auch Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel der Wirtschaftskammer Wien. Ihm geht es darum, Schäden für Geschäftsleute hintanzuhalten. „Demonstrationen sind ein ganz wesentliches Recht“, betonte er. Aber momentan habe er den Eindruck, dass es in Wien keine Demo mehr gebe, ohne dass Gürtel, Ring oder Mariahilfer Straße lahmgelegt würden. „Vor Weihnachten war jeden Samstag eine Demo, das tut dem Handel weh“, betonte Trefelik.

Man solle einen Platz definieren, an dem Demos stattfinden, damit der innerstädtische Handel nicht mehr so gestört werde, forderte er. Das solle nicht irgendein entlegener Platz auf der Donauinsel sein, wie es manche wollen. Aber zum Beispiel der Schwarzenbergplatz vor dem Russendenkmal würde sich gut eignen. „Da bringt man locker hundert Leute unter.“

Kritik an Ideen der Politik

„Das Versammlungsrecht wurde erkämpft“, erinnerte Barbara Helige, Vorsteherin des Bezirksgerichts Döbling und Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte, an das 19. Jahrhundert. Das Recht sei ein wichtiger Punkt dafür gewesen, dass Parteien entstanden. Und man sollte meinen, dass das Versammlungsrecht nun akzeptiert ist. „Aber die vergangenen Monate haben mich eines Besseren belehrt, weil es insbesondere vom Herrn Innenminister Vorschläge gab, die sehr weit in das Versammlungsrecht eingreifen würden.“ Und offenbar könne man mit solchen Ideen politisch punkten, weil Demos für manche mit Unannehmlichkeiten verbunden sind. Aber was da politisch im Raum stand, „muss jemandem, der an Grundrechten interessiert ist, das Gruseln vermitteln“, meinte Helige.

Wolfgang Sobotka wollte, dass er als Innenminister temporär Versammlungen in Gegenden verbieten kann, wenn ein übermäßiger Eingriff in berechtigte Interessen anderer droht. Justizminister Wolfgang Brandstetter meinte in weiterer Folge in einem „Presse“-Interview, dass man vor der Genehmigung einer Demo im Zuge einer Interessenabwägung auch prüfen sollte, ob ein Anliegen nicht bereits ausreichend auf sozialen Netzwerken wie Facebook deponiert werden könne. Diese Punkte fanden in die Novelle aber keinen Eingang, da sich die SPÖ quergelegte.

„Wenn jemand so etwas sagt, ist es politisch gefährlich und juristisch unsinnig“, meinte Daniel Ennöckl, Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, zu Brandstetters Facebook-Einwurf. Und auch die nun beschlossene, weniger scharfe Novelle sei „eine bunte Mischung aus Skurrilität und Unnötigkeit“.

So sei die „Lex Erdoğan“ skurril, weil sie mit sich bringe, dass man nun eine Versammlung auch dann eine Woche vorher anmelden müsse, wenn an ihr ein OSZE-Vertreter teilnimmt. Und die im Gesetz vorgesehene Trennung von Demos bringe es unnötigerweise mit sich, dass die Polizei künftig extra beschließen müsste, wenn zwischen Versammlungen keine Sperrzone eingerichtet wird. Ennöckl erinnerte an das einstige Lichtermeer, bei dem sich fünf verschiedene Versammlungen später zu einem großen Meer zusammenschlossen. Demoorganisatoren könnten aber auch mit dem nun neuen Gesetz umgehen, meinte Ennöckl. „Für die NGOs wird sich nicht viel ändern.“

Einer der politisch heiß diskutierten Punkte war auch die Frage, wer für Schäden durch Demoteilnehmer haften und ob man den Veranstaltungsleiter dafür stärker in die Pflicht nehmen soll. Es kam aber zu keiner Verschärfung. Für die Haftung bei Demos würden somit dieselben Regeln gelten wie auch sonst, erläuterte Ernst Karner, Professor für Zivilrecht an der Universität Wien. Wer selbst eine Tat setze, hafte, und auch, wer jemanden anderen dazu anstifte. Umgekehrt könne auch die Behörde im Rahmen der Amtshaftung herangezogen werden, wenn sie es verabsäumt hat, genügend vorbeugende Schutzmaßnahmen zu setzen. Und wenn jemand körperliche Schäden erleidet, könne man auch an das Verbrechensopfergesetz denken, sodass das Opfer auf diesem Weg (öffentliche) Hilfe erhält.

Verbot an Adventsamstagen?

Und wie löst man nun Interessenkonflikte? Helige erinnerte daran, dass das Versammlungsrecht kein unbegrenztes sei. So könnte die Behörde an den stark besuchten Adventsamstagen eine Demo in einer Einkaufsstraße sehr wohl untersagen, wenn sonst die öffentliche Sicherheit bedroht wäre. Auch bei Versammlungen mit rein kommerziellem Hintergrund müsse man Demos nicht erlauben, erklärten mehrere Vertreter auf dem Podium. Polizeivertreter Eigner will aber vorsichtig sein: „Ich werde mich davor hüten, in ein Grundrecht einzugreifen und dann vom VfGH ausgerichtet zu bekommen, der Versuch sei fehlgeschlagen.“

„PRESSE“-DISKUSSIONEN

Müssen Bummelstudenten zahlen? Nach dem „Rechtspanorama am Juridicum“ am vorigen Montag findet heute eine solche Diskussion an der WU Wien statt: Nach einer Häufung von Urteilen, die langsame Studierende zur Rückzahlung von Unterhalt an ihre Eltern verpflichtet haben, diskutieren Fachleute aus Wissenschaft und Praxis, wie viel Unterhalt Studierenden gebührt: ab 18 Uhr im Festsaal 2 des Learning Center auf dem Campus der WU.
Der Eintritt ist frei!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2017)

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