Mehr Mobilität, aber nicht auf Kosten anderer

Der neue Rechtsrahmen würde es auch britischen Unternehmen erleichtern, ihren Sitz für die Zeit nach dem Brexit in die EU zu verlegen.
Der neue Rechtsrahmen würde es auch britischen Unternehmen erleichtern, ihren Sitz für die Zeit nach dem Brexit in die EU zu verlegen.(c) APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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Die EU-Kommission will das europäische Gesellschaftsrecht modernisieren. Die Sitzverlegung über Ländergrenzen hinweg soll vereinfacht, ein Missbrauch jedoch verhindert werden.

Wien. Die EU-Kommission bemüht sich seit langem, das europäische Gesellschaftsrecht zu vereinheitlichen und zu modernisieren. Vor kurzem hat sie ein Unternehmensrechtspaket präsentiert. Zwei Richtlinienvorschläge zielen auf eine Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts durch Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren sowie auf eine vereinfachte Unternehmensmobilität im Binnenmarkt ab. Insbesondere das Problem der Sitzverlegung von Gesellschaften über nationale Grenzen hinweg ist eine offene Wunde, die nun geheilt werden könnte.

Die Freiheit der Sitzverlegung ist nicht zuletzt aufgrund der Rechtsprechung des EuGH bereits primärrechtlich geboten. Demnach ermöglicht die Niederlassungsfreiheit Unternehmen, ihren Sitz durch grenzüberschreitende Umwandlung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, ohne dabei ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. Da jedoch in den meisten Mitgliedstaaten Verfahrensvorschriften zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung fehlen, sind Unternehmer bisher meist davor zurückgeschreckt, von ihrem Niederlassungsrecht Gebrauch zu machen und einen „Umzug“ vorzunehmen. Auch Firmenbuchgerichte stehen einer solchen Unternehmensmobilität immer noch skeptisch gegenüber.

Gäbe es bereits einen geregelten Rechtsrahmen, könnten auch UK-Gesellschaften angesichts des bevorstehenden Brexit auf eine Sitzverlegung zurückgreifen und ihre Unternehmen auf relativ unkomplizierte Art und Weise in einen anderen Mitgliedstaat verlegen. Eine dahingehende Richtlinie ist daher längst überfällig.
Wegen der Verfahrensunsicherheit mussten Unternehmer bisher auf alternative, oft kostspielige und zeitintensive Lösungsmöglichkeiten zurückgreifen. So musste das Ziel etwa durch Gesellschaftsauflösung und Gründung eines neuen Rechtsträgers im Zielmitgliedstaat oder durch Gründung einer neuen Gesellschaft im Zielmitgliedstaat und anschließende Verschmelzung erreicht werden.

Flucht vor Mitbestimmung?

Erfreulich ist zudem das Bekenntnis der Kommission, besonders auf vereinheitlichte Schutzinteressen von Gläubigern, Arbeitnehmern und Minderheitsgesellschaftern Rücksicht zu nehmen und entsprechende Schutzvorschriften zu gewährleisten. Durch grenzüberschreitende Umstrukturierungen soll außerdem die oft als lästig empfundene unternehmerische Mitbestimmung nicht einfach abgeschüttelt werden können. Unternehmen sollen Sitzverlagerungen nicht zum Anlass nehmen dürfen, vor national geregelten Mitbestimmungsrechten zu flüchten.
Mit dem Richtlinienvorhaben will die Kommission zugleich steuerlichem und sonstigem Missbrauch einen Riegel vorschieben. Die uneingeschränkte Möglichkeit der Wahl der billigsten Gesellschaft (race to the bottom), welche Schutzinteressen der Arbeitnehmer, Gläubiger und Anteilsinhaber wenig Bedeutung schenkt, soll ausgeschlossen werden.


Damit greift die Kommission das Problem von Briefkastengesellschaften auf, welches durch die jüngste Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Polbud (C-106/ 16) noch einmal verstärkt wurde. Gegenstand dieser Entscheidung war die beabsichtigte Verlegung des Satzungssitzes von Polen nach Luxemburg, ohne aber gleichzeitig auch den tatsächlichen Verwaltungssitz zu verlegen. Nach Ansicht des EuGH umfasse die Niederlassungsfreiheit auch diese „Spielart“ der Sitzverlegung. Die Verlegung des Sitzes allein deswegen, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften im Aufnahmestaat zu gelangen, könne laut EuGH noch nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Nach den Vorstellungen der Kommission soll die für den Wegzugsstaat zuständige Behörde im Zuge der zweistufigen Rechtmäßigkeitskontrolle prüfen, ob eine künstliche Gestaltung vorliegt. Neu im Vergleich zu bestehenden Regelungswerken, wie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und zur SE-Sitzverlegung, sind auch ein zweimonatiges und eingehendes Missbrauchsprüfungsverfahren sowie zwei separate Berichte sowohl für Gesellschafter als auch für Arbeitnehmer.

Spaltung, Verschmelzung neu

Weitere Vorschläge zielen darauf ab, einen neuen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen einzuführen sowie den bestehenden Rechtsrahmen für transnationale Verschmelzungen zu überarbeiten, um deren Funktionsweise zu verbessern.
Mit dem zweiten Richtlinienentwurf strebt die Kommission die europaweite Vernetzung und Digitalisierung der Unternehmensregister an. Damit sollen unter anderem Online-Eintragungen von Gesellschaften unter Gewährleistung einheitlicher Qualitätsstandards erleichtert werden.
Die Vorhaben könnten dazu beitragen, die Rechtsklarheit zu erhöhen und das europäische Gesellschaftsrecht zu harmonisieren und modernisieren. Mit der Sitzverlegungsrichtlinie könnte ein Verfahren geschaffen werden, das den Problemen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung – vor allem auf den Gebieten des Arbeitnehmer-, Gläubiger- und Gesellschafterschutzes – gerecht wird. Dies ist begrüßenswert; immerhin benötigen Unternehmen für Standortentscheidungen Rechtssicherheit und klare Regelungen. Es ist zu hoffen, dass die vorgeschlagenen Schutzvorschriften kein bloßes Lippenbekenntnis sind und diese tatsächlich Eingang in eine Richtlinie finden werden.

DDr. Mitterecker ist Rechtsanwalt bei
Kerschbaum Partner Rechtsanwälte,
Mag. Breisch ist dort Rechtsanwaltsanwärter.

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