Ceta gerettet, Schiedsgerichte gefährdet

Kanadas Premier Justin Trudeau und EU-Ratspräsident Donald Tusk können zufrieden sein.
Kanadas Premier Justin Trudeau und EU-Ratspräsident Donald Tusk können zufrieden sein.(c) REUTERS (Francois Lenoir)
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Vorige Woche gab der EuGH grünes Licht für die Schiedsgerichte im Ceta-Abkommen. Für Investoren gibt es aber wenig Grund zur Freude: Die rechtliche Begründung des Gerichtshofs könnte weitreichende Konsequenzen haben.

Wien.Ceta seien die „Giftzähne gezogen“ worden: So begründete die FPÖ als Neoregierungspartei ihre überraschende Zustimmung zum europäisch-kanadischen Wirtschafts- und Handelsabkommen, das man im Wahlkampf noch heftig bekämpft hatte. Somit war Österreichs Zustimmung gesichert. Bestimmte Teile von Ceta wurden zwar bereits davor vorläufig angewendet, als gemischtes Abkommen, das sowohl Kompetenzen der EU als auch der Mitgliedstaaten betrifft, bedarf Ceta aber der Ratifizierung aller Mitgliedstaaten.

Der Nationalrat beschloss bereits im Juni 2018 den Abschluss des Abkommens. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ebenso Ceta-Skeptiker, wollte allerdings noch eine Entscheidung des EuGH abwarten. Dort landete das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen wegen der darin vorgesehenen Schiedsgerichte. Vorige Woche bestätigte nun der EuGH in seinem Gutachten, dass die Schiedsgerichte mit EU-Recht vereinbar seien. Damit steht ihrer Einführung zumindest aus EU-rechtlicher Sicht nichts mehr im Weg.

Die vorgesehenen Schiedsgerichte unterscheiden sich gravierend von jenen in anderen Investitionsschutzabkommen: Entscheidungen der Ceta-Schiedsgerichte werden beispielsweise vor einem eigenen Berufungsschiedsgericht bekämpft werden können.

Große Reform in weiter Ferne

In letzter Konsequenz wünschen sich die EU und Kanada aber eine grundlegende Reform der Schiedsgerichtsbarkeit durch die Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs, in dem dann auch die Ceta-Schiedsgerichte aufgehen könnten. Die EU-Kommission versucht schon länger, die Gründung auf dem diplomatischen Parkett voranzutreiben – wegen vieler rechtlicher Unsicherheiten aber bisher wenig erfolgreich.

So ist es ungewiss, ob Urteile eines neuen Gerichtshofs in Nichtvertragsstaaten überhaupt vollstreckbar sein würden – zu groß wären die strukturellen Unterschiede zu normalen Schiedsgerichten, um noch unter die ICSID-Konvention von 1965 zu fallen. Ein neues, vergleichbares globales Vollstreckungsregime unter Teilnahme von über 150 Staaten scheint im heutigen globalpolitischen Klima aber ausgeschlossen.

Der EuGH bekräftigte nun seine Position, dass – im Gegensatz zu Ceta-Schiedsgerichten – Investitionsschiedsgerichte zur Streitbeilegung zwischen EU-Mitgliedstaaten dem Unionsrecht widersprächen. Der EuGH sprach dies erstmals 2018 in der Achmea-Entscheidung aus. Die Mitgliedstaaten haben daraufhin im Jänner angekündigt, alle Investitionsschiedsklauseln in den untereinander geschlossenen Verträgen mit Ende des Jahres zu beenden.

Der EuGH stützt seine Position zu diesen Intra-EU-BITs unter anderem auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens: EU-Mitglieder haben davon auszugehen, dass in anderen Mitgliedstaaten EU-Recht eingehalten wird und ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung steht. Doch dieser Standpunkt, den die EU-Kommission seit Jahren vehement vertritt, hält einem Realitätscheck nicht stand. Vor zwei Wochen stellte das EU-Justizbarometer der Unabhängigkeit der Justiz in vielen EU-Staaten ein vernichtendes Zeugnis aus.

Wenig Vertrauen in die Justiz

Auf die Frage, wie Unternehmer die Unabhängigkeit der staatlichen Gerichte und Richter in ihrem Land bewerten, antwortet in Kroatien, der Slowakei oder Ungarn die Mehrheit mit „sehr schlecht“ oder „schlecht“. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen in diesen Ländern bewertet die Unabhängigkeit der Justiz mit „gut“ oder „sehr gut“. Als Grund dafür wird überwiegend die Beeinflussung durch die Politik genannt.

Angesichts dieses desaströsen Urteils durch Landsleute ist kaum vorstellbar, wie ausländische Investoren auf eine unabhängige Justiz vertrauen sollen. Gerade zentral- und osteuropäische Staaten sind wichtige Investitionsziele österreichischer Unternehmen. Die Justizbarometerumfrage zeigt, wie wichtig der Schutz durch die nun bald abgeschafften Intra-EU-BITs für österreichische Unternehmen wäre. Umso unverständlicher ist, dass hier von der Politik noch kein passender Ersatz präsentiert wurde.

Dem Vernehmen nach wird für bereits laufende Schiedsverfahren zwischen Mitgliedstaaten an einem Vergleichsmechanismus gearbeitet. Dabei sollen Expertengremien den Konfliktparteien einen bestimmten Vergleich unterbreiten. Dieser soll aber letztendlich unverbindlich bleiben und nur jenen Investoren zur Verfügung stehen, die ihre Klage bereits vor dem Achmea-Urteil eingereicht und parallel keinen Schutz vor staatlichen Gerichten gesucht haben. Mit einem wirksamen Investitionsschutz für alle österreichischen Unternehmen hat das natürlich nichts zu tun.

Doch damit nicht genug: Der EuGH könnte in Zukunft auch das Aus bzw. zumindest die Reform der bestehenden bilateralen Investitionsschutzabkommen der EU-Staaten mit Drittstaaten einläuten. In seinem Ceta-Gutachten stellte er etliche Kriterien für die Vereinbarkeit von Investitionsschiedsgerichten mit EU-Recht auf. Dies wird für einigen Diskussionsstoff sorgen.

Seit den 1960ern schlossen Staaten Investitionsschutzabkommen, um ihren Unternehmen mittels Schiedsgerichten zur Rechtsdurchsetzung zu verhelfen. Gerade ältere Abkommen beinhalten oft sehr vage Formulierungen. Ceta als junges Abkommen kann gewissermaßen als Abkommen einer neueren Generation gesehen werden, das in vielen Bereichen bereits sehr genaue Kriterien festlegt. Eben diese Kriterien hebt der EuGH nun in seinem Gutachten hervor und leitet aus ihnen die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ab. Dies wirft die Frage auf, ob zum Teil seit Jahrzehnten bestehende bilaterale Investitionsschutzabkommen der Mitgliedstaaten mit Drittländern nun unvereinbar mit dem Unionsrecht sein könnten. Bestimmte Passagen des Gutachtens des EuGH können durchaus so verstanden werden.

Mit seinem Gutachten schafft der EuGH zwar Rechtssicherheit für Ceta, zugleich erschüttert er jedoch das Vertrauen in hundertfach bestehende bilaterale Investitionsschutzabkommen der Mitgliedstaaten mit Drittländern.


Filip Boras ist Partner bei Baker McKenzie in Wien, Matthias Edtmayer ist Rechtsanwaltsanwärter ebendort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2019)

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