Wirecard: Information am Rande der Marktmanipulation

Wirecard hat den Vorwurf krimineller Handlungen einer Führungskraft in Singapur zurückgewiesen.
Wirecard hat den Vorwurf krimineller Handlungen einer Führungskraft in Singapur zurückgewiesen.(c) REUTERS (Wolfgang Rattay)
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Der Streit um Veröffentlichungen der „Financial Times“ über den Finanzdienstleister offenbart das Spannungsfeld zwischen Journalismus und Börsenrecht. Österreich setzt das Strafrecht hochschwellig ein – möglicherweise EU-widrig.

Wien. Wer beim Thema Marktmissbrauch gleich an Michael Douglas im 1980er-Klassiker „Wall Street“ denkt – Stichwort „Blaues Hufeisen liebt Anacott Steel“ –, liegt nicht ganz falsch. Nicht umsonst musste Mr. Gekko am Ende des Films ins Gefängnis. Welchen Effekt die Veröffentlichung von Informationen oder gar nur bloßen Behauptungen haben kann, bekamen kürzlich die Aktionäre der DAX-notierten Wirecard zu spüren. Nach Berichten der „Financial Times“ war der Kurs des Zahlungsdienstleisters empfindlich eingebrochen.

Die Bafin – das deutsche Gegenstück zu Österreichs Finanzmarktaufsicht – und die Staatsanwaltschaft München ermitteln nun wegen möglicher Marktmanipulation. In Österreich würde das gerichtliche Strafrecht hingegen nicht zur Anwendung kommen.

Aufsicht stoppt Spekulation

Konkret hat die „Financial Times“ im Fall Wirecard mehrmals über die potenziell kriminellen Handlungen einer Führungskraft in Singapur berichtet. Wirecard hat die Vorwürfe als unzutreffend zurückgewiesen. Die BaFin hat diesen Fall aufgegriffen und untersucht, ob eine Marktmanipulation vorliegt. Dies sei eine Routineuntersuchung bei derartigen Kursbewegungen eines DAX-Werts. Die nächsten Schritte folgten: Vor zwei Wochen hat die Bafin weitere Spekulationen auf fallende Aktienkurse des Zahlungsdienstleisters untersagt, vorigen Montag meldeten Bafin und StA München, sie hätten eine drohende neue Attacke von Spekulanten auf Wirecard verhindert.

Der Fall Wirecard ist kein Einzelfall: Welchen Einfluss bloße Informationsverbreitung auf Aktienkurse haben kann, hat vor wenigen Monaten auch Elon Musk eindrucksvoll demonstriert. Elon Musk hatte über Twitter vermeldet, Tesla von der Börse nehmen zu wollen und die Finanzierung dafür bereits gesichert zu haben. Es folgten blitzartige Kursbewegungen der Tesla-Aktie – die Meldung hat sich aber als falsch herausgestellt. Musk verglich sich letztlich für einen Millionenbetrag mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht und musste den Aufsichtsratsvorsitz bei Tesla räumen.

Aber wo beginnt eine Marktmanipulation? Das ist in der Praxis oft schwer zu beantworten. Der EU-Gesetzgeber stellt nicht auf die Manipulationsabsicht ab, sondern nur auf die äußeren, objektiven Merkmale. Diese sind allerdings nicht abgrenzbar. Um neu entwickelte Formen der Marktmanipulation zu erfassen, sind die Tatmerkmale sehr weit und unbestimmt formuliert. So macht sich nach der EU-Marktmissbrauchsverordnung jeder einer Marktmanipulation schuldig, der zumindest fahrlässig ein Verhalten setzt, das wahrscheinlich falsche oder irreführende Signale etwa hinsichtlich börsenotierter Aktien aussendet.

Zwar stellt der Gesetzgeber ausdrücklich auf manipulativen Börsenhandel und die Verbreitung falscher Informationen ab, erfasst aber absichtlich auch „jegliche sonstige Handlung“ – wie (allenfalls auch private!) Äußerungen in sozialen Medien. Da die EU-Verordnung keinerlei effektive Einschränkung vornimmt, kann theoretisch jedes menschliche Verhalten Marktmanipulation sein. Dass der Täter sich durch seine Manipulationen bereichert, ist zwar naheliegend, aber keineswegs erforderlich. Für die „Financial Times“ bedeutet dies daher ein erhebliches Risiko, ohne dass sie mit der Veröffentlichung unlautere Ziele verfolgt haben müsste. Sie hat jedenfalls laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg Manipulationsvorwürfe als „unbegründet“ und „falsch“ zurückgewiesen.

Journalistische Sorgfaltspflicht

Denn darauf ist der Vorwurf gerichtet: Im Fall der Wirecard-Aktie wäre eine allfällige Marktmanipulation durch die Berichterstattung der „Financial Times“ erfolgt, die die Kursbewegungen verursacht habe. Es würde sich dabei um eine „rein informationsbasierte Marktmanipulation“ handeln. Journalisten sind nach der Marktmissbrauchsverordnung zwar nicht zu bestrafen, sofern die redaktionellen Sorgfaltspflichten eingehalten wurden und sie selbst keinen Vorteil aus den Kursbewegungen hatten. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht (oder Eigenhandel der Journalisten) führt demnach aber zu einer Bestrafung.
Sollte sich also herausstellen, dass die „Financial Times“ die erhobenen Vorwürfe nicht ausreichend überprüft hat, wäre sie wegen Marktmanipulation zur Verantwortung zu ziehen. Investigativer Journalismus und Börsenrecht stehen somit in einem durchaus erheblichen Spannungsfeld.

Dies umso mehr, wenn es sich um einen schwerwiegenden Fall handelt und nach Unionsrecht Freiheitsstrafen auszusprechen wären. Nun sind Kursbewegungen von 25 Prozent bei einem DAX-Wert nach allgemeinem Verständnis wohl durchaus schwerwiegend, genauso die Kursbewegungen nach Elon Musks Tweet. In Deutschland stehen darauf bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe – auch auf rein informationsbasierte Marktmanipulationen, wenn diese vorsätzlich begangen werden und auf den inländischen Börsenpreis (wie hier) faktisch einwirken.

Geldstrafen bis fünf Mio. Euro

Der österreichische Gesetzgeber hat sich aber dazu entschlossen (wohl entgegen dem einschlägigen Richtlinientext), Fälle von rein informationsbasierter Marktmanipulation niemals als schwerwiegend anzusehen. Ein Fall wie jener von Tesla oder Wirecard würde in Österreich daher niemals mit primären Freiheitsstrafen enden können. Hat die „Financial Times“ also ihre journalistischen Sorgfaltspflichten verletzt, könnte sie in Österreich lediglich mit Geldstrafen belegt werden. Diese sind dafür – wie unionsrechtlich vorgesehen – empfindlich: Sie reichen bis zu fünf Millionen Euro.

Für Unternehmen und Aktionäre, die Opfer manipulativer Praktiken werden, bleibt ein schaler Beigeschmack. Finanzielle Schäden, die im gerichtlichen Strafverfahren kostengünstig durchgesetzt werden könnten, müssen teuer und langwierig zivilgerichtlich eingeklagt werden.

Rechtsanwalt MMag. Dr. Christopher Schrank ist Partner und Mag. Alexander Stücklberger Rechtsanwaltsanwärter bei Brandl & Talos
in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2019)

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