Wohnbau: „Das Streben zum Balkon“

Balkone, Loggien und Terrassen werden immer mehr zum Wohnraum. Beim Bau sind die Rahmenbedingungen nicht ohne, die Gestaltungsmöglichkeiten aber groß.

Wie sehr ein Balkon, eine Loggia oder eine Terrasse die Wohnqualität in den eigenen vier Wänden erhöhen kann, zeigt sich gerade an tropisch heißen Sommertagen, wie Wien sie zurzeit erlebt. Abends genießt man die moderateren Temperaturen auf der Gartengarnitur, in besonders schwülen Nächten wandert die Matratze schon einmal nach draußen. Großstadtbewohner nutzen die Balkone, Loggien und Terrassen mittlerweile, um regelrechte Oasen anzulegen, und die Flächen wie einen eigenen Wohnraum zu nutzen. „Wir erleben derzeit ein starkes Streben zum Balkon“, so Erich Bernard und Markus Kaplan von BWM Architekten und Partner unisono. Es werde praktisch jede Möglichkeit wahrgenommen, um diesen Traum zu verwirklichen. „Man kann durchaus auch von einem Trend sprechen“, so Bernard.

Balkone würden heute als eine echte Erweiterung des Wohnraums dienen. „Den Innenraum nach außen zu bringen ist uns auch bei unseren Projekten sehr wichtig“, betont Kaplan. Diese Nutzung ist vergleichsweise jung: Zur Gründerzeit rund um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sei noch die Dekoration im Vordergrund gestanden. „Balkone mussten zur Straße hin repräsentativ wirken oder einfach nur funktional sein, wie man es bei den Klopfbalkonen heute noch sieht“, erklärt Bernard.

Nicht zu weit hinauslehnen

Bei Neubauten beschränken sich Balkone zumeist auf die Rückseite. Der Hintergrund ist das allgemeine Verbot, Balkone über öffentlichem Grund – sprich Straßen und Gehsteige – zu bauen. Seit der Novelle der Bauordnung 2009 dürfen sie wieder über die Baulinie – die Grenze zwischen Baugrund und öffentlichen Verkehrsflächen – ragen. Allerdings muss sich unter einem Balkon beispielsweise eine Grünfläche befinden, um sicherzustellen, dass Passanten nicht von herabfallenden Gegenständen verletzt werden können.

Gerhard Binder vom Architekturbüro t-hoch-n/Binder, Wiesinger, Pichler, empfiehlt Bauherren, bevor sie beginnen, von Details zu träumen, zunächst abzuklären, ob denn überhaupt ein Balkon gebaut werden darf. „Man hat den Eindruck, dass es immer mehr Auflagen gibt“, sagt er. Zum Beispiel, dass Balkone, die über die Baufluchtlinie ragen (die Grenze auf einem Baugrund, über die ein Bau oder Bauteil nicht vorrücken darf), nur ein Drittel der Fassadenfläche ausmachen dürfen – und in Schutzzonen zwei Drittel. Neben Gesetzen gelte es auch, technische Richtlinien und Normen zu berücksichtigen. Dabei würden sich einige Vorgaben zum Teil auch widersprechen.

Vollständige Zustimmung einholen

Auch Stefan Beer vom Architekturbüro junger beer weiß von mühseligen Behördenwegen zu berichten. Damit nicht genug: Wohnt der Auftraggeber eines Balkons in einem Haus, das im Besitz von mehreren Eigentümern steht, so müssten diese alle dem Bauvorhaben zustimmen. Eine Gegenstimme reiche schon aus, um es zu verhindern. „Je besser ein Projekt im Vorhinein aufbereitet und erklärt wird, desto höher sind letztlich auch die Chancen, dass es verwirklicht wird“, sagt Beer. „Das ist mit viel Zeit verbunden.“

Während Balkone auch im Nachhinein realisiert werden können, ist das bei Loggien nicht der Fall, weil sie mehr in den Baukörper integriert sind. Sie sind nur nach einer Seite – nach vorn – offen und insgesamt auf fünf Seiten von Wänden umgeben. Dementsprechend vermitteln sie kein so großes Freiheitsgefühl wie Balkone, können aber straßenseitig realisiert werden. „Loggien haben ihre Qualitäten – etwa, dass sie in der Regel windstill sind“, sagt Bernard. Vor allem in den hierzulande langen Übergangsphasen würden sie sich gut nützen lassen.

Dem Sturm trotzen

Bei Dachterrassen wiederum ist es laut Experten äußerst ratsam, sich schon vor der Planungsphase Gedanken über die spätere Nutzung zu machen – und Sonne, Wind und Wetter in die Überlegungen miteinzubeziehen. „Man will ja nicht nur ein Mal im Jahr, vielleicht zu Silvester, die Terrasse betreten“, meint Architekt Kaplan. Tatsächlich hat in den letzten Jahren die Windbeeinträchtigung in Wien stark zugenommen, was sich vor allem in höheren Lagen – auf der Dachebene – bemerkbar macht, weil sich dem Wind dort deutlich mehr Angriffsflächen bieten.

„Statistisch gesehen gibt es heute zwei Mal im Jahr Stürme mit einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern“, sagt Binder. Dementsprechend gelte es, die Windkräfte in den bauphysikalischen und statischen Berechnungen zu berücksichtigen. Auch Sonnenschutzelemente müssten sich laut dem Dachbodenspezialisten auf die stärkere Windbeeinträchtigung einstellen. „Bewegliche Elemente – wie Sonnensegel – sollten daher immer nur ein Zusatz sein. Ohne starre Elemente hat man bei Wind keinen wirksamen Sonnenschutz“, sagt Binder. Zur Beschattung biete sich etwa der Einsatz von Pflanzenelementen an. Als Beispiel nennt Binder eine überwachsene Stabgitterkonstruktion. Mit Pflanzen könne obendrein ein gutes Klima geschaffen werden, was extrem wichtig sei. „Gerade in höheren Lagen ist der Einsatz von Spezialerden empfehlenswert, die nicht so leicht verweht werden können, also keine Staubwirkung haben.“

Stichwort Pflanzen: Für Bernard beginnt der Trend zum Urban Gardening nicht erst auf öffentlichen Freiflächen, sondern auf privaten Balkonen. „Wir sehen hier mitten in der Stadt kleine Paradiese“, meint er. Selbst auf kleinstem Raum funktioniert das, wie ein Balkon von von junger beer im 18. Bezirk zeigt. Auf der Fläche von knapp zwei Quadratmetern haben kaum mehr als ein kleiner Tisch und zwei Sessel Platz – „oder stattdessen ein gemütlicher Sonnenstuhl“, sagt Beer. Da man den Balkon über die Küche betritt und er dementsprechend auch als deren Erweiterung dient, hat man ein Kräuterbord entlang der Fassadenseite geplant. So ist Platz für Pflanzen und Bewohner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2012)

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