Wie Architektur bei Demenz hilft

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Das Gefühl der Geborgenheit hilft Menschen mit Demenz sich zu orientieren. Wie Architekten und Designer versuchen, diese Vertrautheit wiederherzustellen.

Als wäre man aus dem Schlaf gerissen. Eindrücke, Menschen, Orte kreisen durch den Kopf, rastloses Umherirren soll helfen, sich zurechtzufinden. Aber es gelingt nicht mehr. Menschen mit Demenz verlieren nicht nur Erinnerungen, sondern auch das Gefühl der Geborgenheit. Wo medizinische Therapien fehlen, können Architekten und Designer Lebensräume so gestalten, dass Demenzkranke wieder Sicherheit und eine gewisse Selbstständigkeit finden. In der Demenzarchitektur entstehen Einrichtungen, die Vorlieben und Gefühlen der Bewohner nachkommen.

„Das Alter ist so bunt, weil ältere Menschen noch viel besser definieren können, was sie wollen. Auch wenn sie dement werden, haben sie ihre biografischen Prägungen, denen wir mit atmosphärischer Gestaltung versuchen nahezukommen“, sagt Eckhard Feddersen. Der Berliner Architekt befasst sich seit mehr als 15 Jahren mit demenzspezifischem Wohnen und erzeugt über Raumanordnung, Farbe, Beleuchtung, Bodenbelag und Möblierung Stimmungen, die bei den Bewohnern Gefühle der Vertrautheit wecken sollen. Im von ihm entworfenen Kompetenzzentrum Demenz in Nürnberg ist jede Wohngruppe in einer von drei Atmosphären gestaltet: Der Typ „Bauernstube“ mit Holzvertäfelung oder robusten Eckbänken. Lichtdurchflutet und modern ist hingegen der „Patio-Typ“, der Typ „Janus“ sorgt durch warmes Rot und runde Strukturen für höhlenartige Stimmung.


Hoher Bedarf. Je nachdem, wo sich die Bewohner wohler fühlen, wird entschieden, in welchem Wohntyp jemand untergebracht wird. Mitgebrachte Möbel und Erinnerungsstücke sorgen für Geborgenheit. Die privaten Zimmer sind kreisförmig um eine Küche angelegt. „Die Idee ist, dass die Bewohner, wenn sie aus ihrem Zimmer kommen, Gemeinschaft erleben“, erklärt Feddersen. Die kreisförmige Anordnung ermöglicht den Bewohnern auch, dem häufigen inneren Drang nach ziellosem Gehen nachzukommen, ohne in Sackgassen zu gelangen. Statt verschlossener Türen sorgen visuelle Barrieren – etwa Belagswechsel im Boden – dafür, dass die Bewohner in der Anlage bleiben.

Dass es mehr demenzspezifische Einrichtungen braucht, zeigen die Zahlen: In Österreich sind derzeit rund 100.000 Menschen von Demenz betroffen, 2050 sollen es bis zu 250.000 sein. Dem könne man, so Feddersen, nur begegnen, indem man Wohnungen gemäß des Konzeptes des Universal Design so gestaltet, dass sie für alle nutzbar sind – egal, ob jung, alt, krank oder gesund. Für Feddersen sind aber auch eigene „Demenzdörfer“, wie im niederländischen Hogewey, denkbar. In dem Pilotprojekt können sich Demente in einem begrenzten Areal frei bewegen, ins Café gehen oder im Supermarkt einkaufen.

Auch in Deutschland soll schon bald das erste Demenzdorf entstehen. Studien zeigen, dass Bewohner, die sich geborgen fühlen, ausgeglichener und weniger aggressiv sind. In einem Pflegezentrum in München, in dem über Licht-, Klang- und Farbwechsel Stimmungen erzeugt werden, konnte sogar die Medikation reduziert werden. Solche Erfolge lassen auch die Träger aufhorchen. Ihre Bereitschaft, in demenzspezifische Architektur zu investieren, sei in den vergangenen Jahren gestiegen, meint Feddersen: „Die Träger haben die wachsende gesellschaftliche Bedeutung der Demenz erkannt. Der Wille zur Diskussion und der Mut zu neuen Modellen ist groß.“


Information durch Farben. Auch für Barbara Predan und Petra Černe Oven ist Beobachten und Teilnahme am Alltag dementer Menschen maßgeblich, um ihre Designs zu entwickeln. Die beiden slowenischen Informations- und Dienstleistungsdesignerinnen befassen sich damit, wie sie Demente in Wohneinrichtungen dabei unterstützen können, sich zurechtzufinden. Dafür arbeiten sie mit Farben, die Emotionen ansprechen, und weniger mit Beschriftungen. In einem Pflegeheim in Ljubljana fragten Bewohner beispielsweise immer wieder nach der Toilette, die sie trotz Aufschrift und Piktogramm nicht finden konnten. Erst nachdem die Tür in einem kräftigen Grün gestrichen wurde, fanden die Bewohner selbstständig den Weg.

„Im Design für Menschen mit Demenz muss sorgsam mit Farben, Klängen, Formen, Gerüchen und Bewegung umgegangen werden. Sie reagieren viel sensibler“, sagt Černe Oven, die wie Predan an der Academy of Fine Art and Design der Uni Ljubljana unterrichtet. Ein glänzender Boden irritiert Demenzkranke mehr als matte Oberflächen, da der Boden nass wirkt und aus Angst vor Stürzen gemieden wird. „Um Lösungen für Probleme von Menschen mit Demenz zu entdecken, brauche es die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Man darf nicht vor Experimenten zurückschrecken“, sagt Predan. Das war auch der Leitsatz ihrer Workshops bei der Vienna Design Week, in denen Lösungen für Menschen mit Demenz erarbeitet wurden.

Nicht zuletzt müssen Designer auch Bedürfnisse von Angehörigen, Sozialarbeitern, Ärzten oder Nachbarn der Demenzkranken berücksichtigen. Gemeinsam mit einer Gruppe von Studenten verfolgten sie diesen Ansatz in einem Projekt, bei dem die Teilnehmer mehrere Wochen Tageszentren und Pflegeheime besuchten.


Design gegen die Isolation. Dabei entstanden etwa soziale Spiele für den Alltag, die Gedächtnis und Assoziationen fördern und Isolation vermeiden sollen. „Man muss verhindern, dass Menschen mit Demenz sich der Gesellschaft entziehen oder keinen Platz in ihr finden“, sagt Predan.

Pioniere

Eckhard Feddersen: Der Berliner Architekt beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Wohnen im Alter. In den vergangenen 15 Jahren entwarf er auch zahlreiche Zentren speziell für Menschen mit Demenz. Für ihn liegt die Zukunft demenzspezifischer Architektur im Konzept des Universal-Designs. www.feddersen-architekten.de

Petra Černe Oven und Barbara Predan (Bild): Zum Projekt „Designing an Agenda, or, How to Avoid Solving Problems That Aren't“ der beiden slowenischen Designerinnen entstand das gleichnamige Buch, in dem sie sich u.a. mit Informations- und Dienstleistungsdesign für Menschen mit Demenz befassen. www.pekinpah.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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