Tannin und Pinselstrich: Mit Bildern Weine erklären

„Burgunder Domaine Armand Rousseau Clos St Jacques 1999“. Notizen dazu: Rauchige Wurzeln, leicht teerig, herbe Kirsche, salziger Kern.
„Burgunder Domaine Armand Rousseau Clos St Jacques 1999“. Notizen dazu: Rauchige Wurzeln, leicht teerig, herbe Kirsche, salziger Kern.(c) Collagen: Sarah Heller
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Spitze Prismen, zerfließende Farben: Sarah Hellers „Visual Tasting Notes", Collagen als Weinbeschreibungen.

Hollerblüten im Muskateller, Weichseln im Zweigelt: Oft tauchen die bestimmenden Aromen ebenso rasch vor dem inneren Auge auf, wie der Wein im Rachen verschwunden ist. Das gilt vor allem für konventionell hergestellte Weine, die genau die geschmacklichen Erwartungen eines bestimmten Marktes treffen sollen. Doch welches Bild erzeugt ein abstrakterer Wein, ein Wein, der sich aromatisch weniger explizit, sozusagen diffuser gibt, wie ein weißer Burgunder? Die Weinexpertin Sarah Heller sieht etwa in einem Montrachet der Domaine de la Romanée-Conti Asteroidenfunken, riecht Regen auf trockener Erde und schmeckt die Zitrusfrucht Yuzu. Dieser Wein dringe einem Dolch gleich in den Gaumen vor, so Heller. „Ein masochistisches Vergnügen." Diese verbalen Notizen aus ihrer Feder fungieren als Begleiterscheinung der zugehörigen „Visual Tasting Note": Sarah Heller zeichnet Weine. Sie fasst Weine nicht nur in Worte, sondern auch in Bilder.

Expertin. Sarah Heller,
Expertin. Sarah Heller, (c) Beigestellt

Wörter reichen nicht. Begonnen hat sie damit, wie sie dem „Schaufenster" erzählt, während der schwierigsten Ausbildung der Weinwelt: jener zum Master of Wine. Aktuell 382 Träger dieses Titels gibt es weltweit, die in Hongkong lebende Sarah Heller bekam ihn im Rekordalter von 29. Das synästhetische, also sinnesübergreifende Erfassen von Wein habe sie im Laufe von unzähligen Blindverkostungen in der Vorbereitungsphase auf die Prüfungen perfektioniert. Seit Anfang 2018 nützt die vielsprachige Weinexpertin ihre „Visual Tasting Notes" als ergänzendes Mittel in der Kommunikation über Wein. Um Aromen und Strukturen von Weinen festzumachen und zu vermitteln, reichen ihr Wörter als einziges Ausdrucksmittel nicht aus.

„Dom Pérignon 2008“. Meeresgischt, Chinin, Zitrone und Zündkerze assoziiert Sarah Heller in der Verbal­beschreibung.
„Dom Pérignon 2008“. Meeresgischt, Chinin, Zitrone und Zündkerze assoziiert Sarah Heller in der Verbal­beschreibung.(c) Collagen: Sarah Heller

In ihren visuellen Weinbeschreibungen arbeitet Sarah Heller, die auch einen Abschluss in „Fine Arts" in Yale vorzuweisen hat, nun einerseits mit Grundfarben, um dem Publikum einen Eindruck über die generelle Ausrichtung zu geben. „Ist der Wein eher grün und grasig oder bernsteinfarben, honigartig?" Mit einer schwarzen Umrisslinie – zum Beispiel tropfenförmig oder prismaähnlich – skizziert Sarah Heller, wie sie den Körper eines Weines wahrnimmt; sie beginnt damit jeweils oben. „Hat er unbedeutend begonnen und sich dann in meinem Mund ausgedehnt, oder wirkte er gleich einmal üppig und weich, um dann straff und scharfkantig zu enden?" Zur Farbe und dem Umriss kommen dann in der jeweiligen Collage noch Elemente, die Aromen und Texturen wiedergeben. Mit Pinselstrichen, Körnung oder Schraffuren arbeitet sie dabei lieber als mit ganz expliziten Bildern von Zitronenscheiben oder Kirschen. „Die baue ich nur dann ein, wenn diese Noten sehr deutlich sind." Die Bilder sind übrigens stets eine Mischung aus digital erstellten Zeichnungen, handgezeichneten Umrisslinien und fotografierten realen Objekten, die wiederum digital eingebaut werden.

„Castello di Ama Chianti Classico 2014". Kräutrig eingefasst, herbe Kirschen, ein Hauch Kaffee.
„Castello di Ama Chianti Classico 2014". Kräutrig eingefasst, herbe Kirschen, ein Hauch Kaffee.(c) Collagen: Sarah Heller

Zum besseren Verständnis. Weine, die eine deutlich erkennbare Tanninstruktur haben, wie italienische Rotweine à la Sangiovese, oder auch stark aromatische wie Rieslinge von der Mosel seien leicht als „Visual Tasting Note" zu realisieren. Generell macht Heller von Weinen aber nur dann ein Bild, wenn sie sicher ist, anderen damit tatsächlich zu helfen, einen Wein zu erkennen und zu verstehen.

Ob man generell die landläufige Art, Weine zu beschreiben, ändern sollte? Da ist Sarah Heller zwiegespalten: „Einerseits finde ich, wir sollten konkreter sagen, was wir meinen, sonst wird es sinnlos. ‚Mineralisch‘ zum Beispiel wird so häufig verwendet, dass es nur mehr bedeutet: keine Frucht." Andererseits werde es für viele Leute schwieriger, wenn es konkreter wird: „Wenn man ‚Weichseln‘ erwähnt, ist das zwar konkreter als ‚Kirsche‘. Jemand, der noch nie eine Weichsel gekostet hat, kann aber damit dann gleich gar nichts anfangen", werde somit eher ausgegrenzt. Auch darum mag Heller ihr System der visuellen Weinbeschreibung: „Auch Leute, die noch nie eine Weichsel gekostet haben, sehen eine hellrote, glänzende, saftige Frucht. Und sind somit auf der richtigen Spur."

Die „Visual Tasting Notes" auf Instagram: @sarahhellermw

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