Letterpress: Watteweiche Wörter

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Buchstaben machen gleich einen ganz anderen Eindruck: mit Letterpress. Alte Druckmaschinen prägen sprichwörtlich die neue Lust der Designer und Leser am Papier.

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Mit schwerem Gerät sind Ana Kaan und Alessandro Carissimo vorgefahren, in Wien Meidling. Gut geölte Industrieromantik kam da an, mit dem geborgten Anhänger. Kompakt komprimiert auf 600 Kilogramm Gusseisen. Begonnen hatte die Reise des kleinen Kolosses in der Heimat von Carissimo, in Süditalien, dort, wo der Stiefel seinen Absatz hat. Viele Gurte waren im Spiel, viel Schweiß, ein Gabelstapler, eine endlos lange Fahrt, ein Kran, verdutzte Passanten. Jetzt verrichtet die alte Druckerpresse in Wien ihre Arbeit. Nicht mehr Pedale wie noch vor hundert Jahren treiben sie an, sondern Strom. Und vor allem auch der Wille der Gestalter, sich mit eigener Papierkollektion und Auftragsarbeiten sprichwörtlich nachhaltig bei Kunden einzuprägen.

„Maria Addolarata“ wurde sie getauft, die alte Drucker-Dame. Und das Grafik- und Druckstudio hört auf den Namen Carissimo Letterpress. Feine Kunst mit ganzer Kraft entsteht dort, wenn sich die schwere Platte mit dem eingelegten Papier gegen das Klischee, die eingespannte Druckform aus Kunststoff, presst.

Mit der Letterpress-Technik hat man lange Zeit fast alle Buchstaben und Grafiken in größeren Auflagen auf Papier gebracht, Flugblätter, Bücher, Plakate gedruckt.  Heute wollen Grafikdesigner, Hochzeitspaare, Geburtstagskinder, Businessleute haptischen Eindruck machen,  den Gestaltungen ein wenig Tiefe und Seele einprägen. Das passt in die Zeit der handwerklichen Sehnsucht, in der sich die meisten Layouts so glatt und kühl anfühlen wie das Wischen über ein Touch-Display.



Jedes Papier, von Hand. „Nicht ganz ungefährlich ist die Arbeit“, gibt Kaan zu. Einen Merksatz hat Carissimo schon einige Male vor sich hergemurmelt:  „Versuch niemals ein fallendes Papier aufzufangen.“ Zögerlich dürfen die Hände nicht sein. Die linke zieht heraus, die rechte legt nach. Vor allem Papier aus Italien, insbesondere jenes mit hohem Anteil an Baumwolle. Schön wattig. Die Farbe ist zäh und dickflüssig, solange sie in der Dose ist. Über die Walzen kommt sie auf das Klischee, dort holt sich das Papier seine Farbe. Fast wie Stempeln ist das, nur einprägsamer.

Die Kraft der Maschine drückt Letter und Linien tief ins Papier. Früher wurden Druckerlehrlinge dafür geschimpft, heute werden Druckwerke dafür geliebt. Was früher ein Fehler im Prozess war, ist heute charakteristisches, nachgefragtes Merkmal. Carissimo und Kaan produzieren Stück für Stück, Einladungen, Visiten- und Glückwunschkarten sowie neue Exemplare für ihre Papierkollektionen, die sie bereits auf Designmärkten und in kleineren Designgeschäften verkaufen.  Aufgetrieben haben sie die alte „Maria“ durch Recherche auf traditionell apulische Art: „Dort schaut man nicht im Internet nach“, sagt Carissimo. Dort fragt man Leute, die Leute kennen, die wiederum Leute fragen. Kennengelernt haben sich Kaan und Carissimo in Mailand, er war dort Grafikdesigner, sie als Designerin für ein Modeunternehmen tätig.  Letterpress-Studios sind sie auf einer Australien-Reise über den Weg gelaufen. Als sie nach Wien zurückkamen, hatten sie schließlich eine Idee mit im Gepäck. 

Watteweich. Auch in den USA, erzählt Christian Ursnik, lassen die Grafikdesigner ihre Ideen gern auch gleich selbst zu bedrucktem Papier werden. „Dort gibt es ja in fast jeder größeren Stadt ein kleines Print-und Grafikstudio“, sagt er. Ein richtiges „small press movement“ entdeckt dort den Retro-Charme und die Möglichkeiten der alten Letterpress-Technik. Ursnik hat an der FH Joanneum in Graz Informationsdesign studiert, das Drucken hat er in Workshops in San Francisco gelernt. Papier lag ihm ohnehin schon immer am Herzen.
2012 gründete er am Grieskai in Graz The Infinitive Factory. Das Herzstück der Unternehmensidee war der Heidelberger Tiegel, ein gusseisernes Ungetüm, ein schweres Stück schwarze Industrieeleganz aus den 1950er-Jahren. Inzwischen druckt und prägt er mit drei Maschinen – ein Tiegel und ein Heidelberger Zylinder kamen dazu – sowie drei Mitarbeitern eigene Entwürfe und die von anderen auf weich-wattiges Baumwollpapier. „Da drückt sich die Prägecharakteristik besonders gut aus“, sagt Ursnik. Natürlich darf es auch einmal für das Cover eines Geschäftsberichtes etwa Kokospapier sein. Wie  sehr sich Texte und Designs mit Seele im Papier vertiefen, ist mit dem Anpressdruck einstellbar. Die Hände kommen in Graz nicht so sehr in Gefahr. Die Maschinen saugen das Papier selbst dorthin, wo es hinmuss. Automatisch. „So sind schon ganz ordentliche Auflagen möglich“, sagt Ursnik. In der Grazer Infinitve Factory trudelt alles Nötige ein: die Aufträge von Agenturen und Menschen, die gratulieren, einladen und ganz andere Dinge kommunizieren und auch haptisch ausdrücken wollen. Die digitalen Files, aus denen Druckwerke werden, die sich mit den Fingern lesen und begreifen lassen. Sowie die Klischees aus Magnesium, die schicken die Druckvorlagenhersteller auf Bestellung. Die Platten werden belichtet, der zu druckende Teil bleibt, der Rest wird chemisch weggeätzt. 

Tipp

Druckwerke. In Graz druckt The Infinitive Factory (www.the-if.at) einprägsame Botschaften per Letterpress auf Papier. In Wien gestaltet das Studio Carissimo Letterpress (www.carissimo-letterpress.com) eine eigene Papierkollektion.

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