Sneaker von Chanel: Wahrer Sportsgeist

(c) Carolina Frank
  • Drucken

Luxussneaker stehen hoch im Kurs. Auch Chanel hat sie im Angebot und fertigt
sie in einer eigenen Produktionsstätte in Italien. Ein Lokalaugenschein.

Besonders einfach ist die kleine Stadt Giulianova an der Adriaküste für ausländische Geschäftsreisende mit wenig Zeit im Gepäck nicht zu erreichen: Die flotteste Anreisemöglichkeit aus einer europäischen Metropole führt über den Flughafen Rom-Fiumicino und etwas mehr als zwei Autostunden von Italiens West- an die Ostküste des Stiefels. Während man durch die üppige Hügellandschaft der Abruzzen braust, lässt man sich vom ortskundigen Fahrer – ein bisschen Landeskunde ist immer willkommen! – auf die eine oder andere gastronomisch wertvolle Ortschaft hinweisen bzw. kann durch das Autofenster den höchsten Berg Italiens, den Gran Sasso, bewundern.

Warum überhaupt Geschäftsreisende aus Paris oder London für einen Kürzestaufenthalt nach Giulianova kommen sollen, ist eine Frage, die Gennaro Pigliacampo am besten beantworten kann. Er heißt seine Besucher stolz als Chef einer Firma willkommen, die dank des in der Luxusbranche sehr gefragten „Made in Italy“-Qualitätssiegels und ihrer Spezialisierung in einer letzthin immer wichtiger werdenden Produktsparte so erfolgreich wurde, dass sie nun weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Gensi, so der Name des von Pigliacampos Vater gegründeten Unternehmens, produziert nämlich Luxussneaker für verschieden Marken, darunter Chanel. Das Pariser Maison, das seine wichtigsten Zulieferbetriebe mitunter selbst aufkauft, übernahm 2015 einen Vier-Fünftel-Anteil an Gensi – für andere Brands darf und soll weiter produziert werden.

Waldspaziergänge

„Giulianova ist nicht groß, etwas mehr als 20.000 Menschen leben in der Stadt. Im Sommer, wenn die Touristen kommen, sind wir fast viermal so viele“, sagt Pigliacampo. Wenn sich ganz Italien dem Dämmerschlaf des Ferragosto hingibt, schließt auch Pigliacampos Firma für 14 Tage. Bis dahin werden aber noch hochwertige Sportschuhe für die Herbstkollektionen produziert. Während der Chef eine aus Besuchern aus Paris, Hamburg und Wien zusammengesetzte Kleingruppe durch sein Werk führt (es ist überhaupt erst der zweite Besuch von Journalisten, ein französisches Redaktionsteam war einmal vor Ort), entstehen gerade drei Sneakermodelle für Chanel: Ein schwarzer Turnschuh, dem seine High-Performance-Bereitschaft gleich anzusehen ist; ein hoher Turnschuh mit charakteristischem Rautenstepp als Teil der erstmals lancierten „Coco Neige“-Kollektion; und ein niedriges Modell mit Raulederelementen in Bordeaux und Grüntönen, das gleich an das Defilee im Grand Palais vor einigen Monaten denken lässt. In dem lichten Glaspalast unweit der Seine wurde die Herbstkollektion inmitten eines eigens errichteten Waldstücks mit moosig duftendem Laubboden gezeigt. Solche Wälder in freier Wildbahn sollen Chanel-Kundinnen nun wohl bald mit diesen Laufschuhen durchmessen.

Keine Frage des Preises

Dass auch dieses führende Pariser Maison Sneakermodelle anbietet, ist das Ergebnis einer nicht zu übersehenden Entwicklung. Luxus-Athleisure ist ein Trend, der sich nicht ignorieren lässt und der wegen des großen Wachstumspotenzials etwa vom Branchenblatt „Business of Fashion“ als Einfallstor zur Welt der Millennial-Kunden bezeichnet wurde. Modehäuser, die mit der Zeit gehen, müssen passende Angebote für einen Lebensstil machen, in dem die Grenzen zwischen der formellen und der Freizeitmode zusehends verschwinden. Was das Preisniveau betrifft, sind eingefleischte Turnschuhaficionados längst ziemlich unempfindlich. In die eigene Sammlung neben Sondermodellen von Nike oder Adidas und Kreationen von auf Luxussneaker spezialisierten Brands wie Common Projects, Axel Arigato oder Fear of God auch Turnschuhe von Saint Laurent oder Chanel einzureihen, ist Teil des neuen Modeverständnisses.

Zum ersten Mal in Kontakt mit Chanel kam die Firma Gensi – in den 1970er-Jahren als kleines Zulieferunternehmen gegründet und auf Oberschuhe spezialisiert –, als die im Veneto ansässige Chanel-Tochterfirma Roveda einen Engpass ausgleichen musste. Das war 2009; zu dem Zeitpunkt hatte Gensi bereits begonnen, für die italienische Marke Golden Goose Turnschuhe zu produzieren. „Wirklich explodiert ist das Thema dann vor etwa zwei Jahren“, sagt Gennaro Pigliacampo. „Doch ich hatte schon zuvor ein kontinuierliches Wachstum in diesem Bereich gesehen und beobachtet, wie der Athleisure-Trend bei Luxusmarken immer größer wurde.“ Die Entscheidung, bei Gensi rechtzeitig die Spezialisierung in diesem Bereich voranzutreiben, erwies sich als richtig und ermöglichte weiteres Wachstum. „Natürlich bin ich damit ein Risiko eingegangen. Aber mein Gespür war richtig, und ich glaube nicht, dass wir bereits den Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht haben.“

Sneaker und Olivenöl

Die Produktionsstraßen in den nunmehr drei Gensi-Fabriken sind auf elegante Schuhe und auf Turnschuhe ausgerichtet. Das Gros der Aufträge betrifft aber den informellen Bereich – weil Pigliacampo ausreichend Kapazitäten hat und man in der Branche um das Know-how der Firma weiß. Neben Chanel zählen etwa Louboutin, Alexander McQueen und Hermès zu den Auftraggebern, ein Projekt mit Dolce & Gabbana ist im Kindermodebereich im Entstehen. „Wir bilden junge Mitarbeiter aus und sind ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. Da ich selbst im Unternehmen meines Vaters groß geworden bin und alle Produktionsschritte kenne, bin ich außerdem in die Entwicklung neuer Maschinen für unsere Bedürfnisse involviert“, erzählt der Vollblutunternehmer, der „nebenbei“ auch einen landwirtschaftlichen Betrieb aufgemacht hat und beim Mittagessen eine Flasche des selbst produzierten Bio-Olivenöls um den Tisch gehen lässt.

Dass Chanel 80 Prozent von Gensi übernahm, sei, so Pigliacampo, einer Anerkennung für seine Bemühungen gleichgekommen. Als Präsident der Firma darf und soll er sich weiterhin um Neukunden bemühen – und natürlich rentabel wirtschaften. Die Position, die Chanel hier vertritt – Ähnliches hört man in den Pariser Haute-Couture-Ateliers –, ist einfach: Andere Marken haben andere Ansprüche, durch die Vielzahl der Herausforderungen wächst das handwerkliche Geschick. „Ein ,Gibt es nicht‘ gibt es bei uns nicht. Tutto si può fare!“, sagt Gennaro im Brustton der Überzeugung. Weil er freilich immer ein bisschen „controcorrente“ sei, also gegen den Strom schwimme, und wohl auch, weil er als stilbewusster Italiener bei Businessterminen in den Modehauptstädten keine „brutta figura“ machen will, hat er aufgehört, im Berufsleben Turnschuhe zu tragen. Höchstens in seinem Parallelleben als Biolandwirt zieht er sie noch an. Bei Treffen mit Geschäftskontakten in Paris muss er schließlich nicht mehr sein eigenes Produkt vorführen sein: Die Qualität der Gensi-Erzeugnisse hat sich in der Luxusliga der Mode längst herumgesprochen.

Fotografin und Autor reisten auf Einladung von Chanel nach Italien.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.