Ronda: Die alten Männer und der Stierkampf

Ernest Hemingway war vom Stierkampf in Ronda angezogen. Rainer Maria Rilke soll eine Corrida nie besucht haben.
Ernest Hemingway war vom Stierkampf in Ronda angezogen. Rainer Maria Rilke soll eine Corrida nie besucht haben.Reuters
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Orson Welles, Ernest Hemingway und Rainer Maria Rilke sind die bekanntesten Künstler, die von Ronda inspiriert wurden. Die kleine, tagsüber von vielen Touristen besuchte andalusische Stadt ist literarischer Schauplatz.

Die weiß gekalkten Mauern und rötlichen Dachziegel des weiten Runds leuchten im Sonnenlicht. In der Mitte des großen Platzes vor der Arena scharrt ein wütender Stier aus Bronze mit den Hufen. Zwei ältere Männer beobachten das Geschehen aus sicherer Entfernung. Der eine mit kantigem Gesicht, Vollbart, tiefen Furchen auf der Stirn, Seitenscheitel und dickem Rollkragenpullover. Der andere mit runderem Gesicht, Vollbart, tiefen Augenringen, Pomade in den Haaren und aufgeknöpftem Hemd. Sie stehen seit 2015 am Eingang eines Parks gegenüber der Stierkampfarena von Ronda – Ernest Hemingway und Orson Welles.

Das als Weißes Dorf apostrophierte Ronda gilt als Wiege des „modernen“ spanischen Stierkampfs. Die Haltung der Spanier zur Corrida ist allerdings ähnlich tief gespalten wie die von der Tajo-Schlucht in zwei Hälften geteilte andalusische Stadt. Die Befürworter des Stierkampfs, die Fans, wollen spanische Tradition und Identität bewahren. Die Gegner halten die Corrida für Tierquälerei. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Spanier inzwischen gegen Stierkämpfe. Auch in Ronda gibt es Corridas, nur noch einmal im Jahr werden sie während der Feria de Pedro Romero Anfang September ausgetragen. Pedro Romero steht seit 1954 mit stolzgeschwellter Brust im Park Alameda Del Tajo. Der Torero hat Ende des 18. Jahrhunderts viele der heute noch geltenden Regeln des spanischen Stierkampfs entwickelt. Er ist neben Antonio Ordóñez der bedeutendste Matador Rondas, die Familien Romero und Ordóñez sind die Stierkämpfer-Dynastien der Stadt. Doch das Zeitalter der Corrida geht wohl langsam zu Ende. Mittlerweile hat Ronda neue Denkmäler gebaut: Die neueren Helden der Stadt sind Ernest Hemingway, Orson Welles – und Dichter Rainer Maria Rilke. Alle haben Ronda in ihrem Werk unterschiedlich verarbeitet.

Rilke-Zimmer, mehrmals übersiedelt

Rilke ist schon länger eine mythische Figur in Ronda. Und der Lyriker war sicher kein Anhänger der Corrida. Er soll nie einen Stierkampf besucht haben. Rilke hatte auf einer Reise durch Spanien Mitte Dezember 1912 in Ronda Station gemacht und war deutlich länger als geplant geblieben. Er reiste erst am 19. Februar 1913 wieder ab, verbrachte somit fast einen ganzen Winter in Andalusiens Süden. Es gefiel ihm anscheinend sehr gut in dem englischen Hotel Reina Victoria, wo er unter dem Dach in Zimmer 34 wohnte. Und er war produktiv, denn einige Gedichte entstand hier.

Ein viktorianisches Tintenfass auf dem Schreibtisch, ein Stuhl, rote Rosen auf dem Kaminsims, eine gerahmte Hotelrechnung, ein in Ronda geschriebener Brief an eine Gräfin, Manuskripte, Bücher und Fotos. Das Hotelzimmer des Dichters wurde später in ein kleines Museum umgewandelt und entwickelte sich zu einem Wallfahrtsort für Rilke-Pilger. Im Lauf der Zeit änderte sich nur seine Zimmernummer: Aus der 34 wurde die 208. Doch dann wurde das Hotel 2012 komplett modernisiert. Auch Rilkes Zimmer sollte wieder belegt werden – das war das Ende des winzigen Museums. „Das Zimmer von Señor Rilke befindet sich jetzt im Erdgeschoß“, erklärt der Rezeptionist und deutet auf die Bar Cafetería Rilke. In der neuen Hotelbar wird jedoch nur noch ein Teil seines Zimmers hinter einer Glaswand ausgestellt. Rilkes Zimmernummer hat sich trotzdem ein weiteres Mal geändert. „Das alte Zimmer 208 von Señor Rilke ist heute das Zimmer 202“, verrät der Rezeptionist flüsternd. Der Rilke-Mythos in Ronda lebt nach wie vor. Seit 1966 steht sein Denkmal im Hotelgarten des Reina Victoria und blickt wie im Winter 1912/13 auf die Bergwelt der Serranía de Ronda. Mit der Avenida Poeta Rilke ist ihm längst eine eigene Straße zugedacht. Und auch die Fahrschule Autoescuela Rilke gibt es nun schon seit 31 Jahren. Im Gegensatz zu Rilke sind von den vielen anderen Künstlern, die Ronda inspiriert hat, nicht viel präsent: Hemingway, der auf Rondas Geschichte in seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ anspielt, Prosper Mérimée, der seine „Carmen“-Erzählung eigentlich hier und nicht wie die Oper in Sevilla ansiedelt, Regisseur Francesco Rosi, der hier „Carmen“ verfilmt. Oder etwa James Joyce, der Ronda im „Ulysses“ vorkommen lässt.

Freundschaft mit Toreros

Unzählige Fotos von Toreros und Aficionados, Plakate von Corridas, rote Tücher und bunte Trachten hängen im Restaurant Pedro Romero gegenüber der Stierkampfarena. Auch Hemingway und Welles sind hier verewigt. Auf einem Foto posiert der Schriftsteller 1959 mit seinem Freund Antonio Ordóñez und dessen Vater Cayetano vor der Arena. Auf einem anderen Foto ist der Regisseur und Schauspieler 1964 mit Antonio Ordóñez zu sehen, auch er war mit dem Torero befreundet. „Wer von denen ist Hemingway, und wer ist Welles?“, fragt einer der Kellner. Auch seine Kollegen können die beiden nicht unterscheiden. Die weltberühmten Künstler entwickeln sich in Ronda wohl nur langsam zu Legenden.

Das Filmgenie Welles, weil jung zu Gast, hat in Ronda kaum Spuren hinterlassen. Das änderte sich nach seinem Tod: Eine Urne mit seiner Asche befindet sich seit dem 8. Mai 1987 in einem Brunnen auf der Finca El Recreo de San Cayetano, die in Besitz der Stierkämpfer-Familie Ordóñez ist. Welles hat einmal gesagt, die Heimat eines Menschen sei nicht der Geburtsort, sondern der Ort, wo die sterblichen Überreste sind. Er hat Ronda als Heimat ausgewählt und wird nun für immer bleiben.

RONDA, ANDALUSIEN

Ronda. Die kleine Stadt liegt im gebirgigen Hinterland von Málaga. Wegen ihrer architektonischen Besonderheit und ihres landschaftlichen Settings ist Ronda ein stark frequentiertes Ausflugsziel für Urlauber an der Costa del Sol. Abends haben die Gäste die kulturell stark besetzte Stadt wieder für sich. Ronda gehört zu den Weißen Dörfern, Orten, die von Phöniziern und Römern gegründet und von den Mauren ausgebaut worden sind.

Anreise. Direktflug nach Málaga. Mit dem Auto sind es über die A-357 rund 100 km.

Übernachten. Das Reina Victoria bot Rainer Maria Rilke Quartier, mittlerweile ein modernisiertes Vier-Sterne-Hotel. www.cataloniahotels.com/de/hotel/catalonia-reina-victoria

Molino del Arco: Charmantes Landhotel aus dem 17. Jahrhundert zwischen Olivenhainen und Weinbergen, acht Kilometer von Ronda entfernt. www.hotelmolinodelarco.com

El Recreo de San Cayetano: Die Finca der Stierkämpferfamilie Ordóñez ist die letzte Ruhestätte von Orson Welles. 700 Euro Miete pro Tag. 4,5 Kilometer außerhalb von Ronda an der A-367 Richtung Campillos gelegen, www.recreosancayetano.com

Essen. Restaurante Pedro Romero: Nicht nur bei Aficionados beliebtes Restaurant gegenüber der Stierkampfarena. Regionale Küche. www.rpedroromero.com

Bar Faustino: Sehr lebendige Tapas-Bar in der Neustadt. Seit 1986 hat sich hier nicht viel geändert. In der Calle Santa Cecilia 4.

Infos. Olimar Reisen, Andalusien-Spezialist, www.olimar.com; Spanisches Fremdenverkehrsamt, www.spain.info und www.andalucia.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2018)

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