Liverpool: Penny Lane, Strawberry Fields und die Hope Street

(Fast) alles neu an der Waterfront von Liverpool: Blick vom Albert Dock.
(Fast) alles neu an der Waterfront von Liverpool: Blick vom Albert Dock. Thomas Kramar
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Nein, den Beatles entkommt man nicht dort, und das ist gut so. Aber die weltoffene Stadt am River Mersey hat mehr zu bieten.

Da steht er im Sonnenlicht an der Waterfront, die Arme lässig ausgestreckt, mit verwegener Rock'n'Roll-Tolle, und blickt hinaus auf den River Mersey: ein „charismatic live performer“, dazu ein „animal lover und gentle man“, wie ihm die bronzene Tafel bescheinigt. Es ist – nein, keiner von den Fab Four, es ist Ronald Wycherley vulgo Billy Fury, und er war schon vorher da: 1959, als John Lennon noch die Kunstschule besuchte, übersetzte er den amerikanischen Rock'n'Roll in die raue Zunge Liverpools. Als die Beatles noch Silver Beatles hießen, bewarben sie sich bei ihm als Begleitband, er lehnte ab.

Heute dankt Liverpool den großen Söhnen der Familien Lennon, McCartney, Harrison und Starkey einen guten Teil seines Fremdenverkehrs, sie sind – natürlich völlig zu Recht – omnipräsent, und wenn der Reiseführer über die Liverpool Cathedral spricht, lässt er sich den Scherz nicht nehmen: „Die Glocken sind nach den vier Evangelisten benannt . . . John, Paul, George und Ringo.“

Den schönsten Platz an der Sonne hat Alt-Rock'n'Roller Billy Fury
Den schönsten Platz an der Sonne hat Alt-Rock'n'Roller Billy Fury(C) Thomas Kramar


Billy Fury (1940–1983), der den gleich alten John Lennon immerhin drei Jahre überlebte hat, dagegen ist bestenfalls in Liverpool weltberühmt, keine „Magical Mystery Tour“ besucht sein Geburtshaus, in keiner Hotellobby erklingt sein größter Hit („Jealousy“, 1961), und so gönnt man ihm den prominenten Platz am Wasser, gleich neben den von der Liverpool Tate Gallery aufgestellten eisernen Hörnern des Liverpooler Bildhauers Tony Cragg und einer dem „people of Liverpool“ von den Mormonen gestifteten „Legacy Sculpture“, die in Form einer braven Familie die Auswanderung aus Liverpool in die Neue Welt darstellen soll.

Rock'n'Roll, Kunst, Migration: Hier stehen drei Themen nebeneinander, die das heutige Liverpool prägen, eine Stadt, die sich in den letzten Jahrzehnten neu definiert, ja zum Teil neu aufgebaut hat. In den 1980ern wirkte sie ärmlich, fast verfallen, eine Industriestadt, der man nur zu deutlich ansah, dass sie ihre großen Tage hinter sich hatte. Damals war die „Magical Mystery Tour“, die Bustour auf den meist suburbanen Spuren der Beatles, zumindest für den Besucher das Lebendigste in der Stadt. Dass die Band Frankie Goes to Hollywood, die 1984 mit „Relax“ einen höchst knalligen Hit hatte, auch aus Liverpool stammte, nahm man damals nicht so wirklich wahr . . .

Heute ist der Bruder von Holly Johnson, dem glamourösen Sänger von Frankie Goes to Hollywood, ein Guide der „Magical Mystery Tour“, und er sieht zwar nicht so glamourös aus wie sein Bruder, ist aber in dieselben Schulen gegangen wie Lennon, hat den staubtrockenen Schmäh der Merseyside und spricht ein gnädigerweise gemäßigtes Scouse. So nennt man den Liverpooler Dialekt, der Name kommt von einem traditionellen, schwer definierbaren, meist Fisch enthaltenden Gericht, das Kenner an das norddeutsche Labskaus erinnert, mit dem es auch etymologisch verwandt ist. Man kann sich gut vorstellen, wie die jungen Beatles, frisch aus Liverpool nach Hamburg gereist, dort das gleiche Arme-Leute-Essen auf den Tellern gefunden haben wie daheim. Seestadt ist halt Seestadt.

Emsig fotografiert wird an der Penny Lane.
Emsig fotografiert wird an der Penny Lane.(c) Thomas Kramar

Alles irisch, vor allem im Pub

An den rauen Dialekt Scouse gewöhnt man sich ganz gut, wenn man einmal kapiert hat, dass man, wenn man ein gastliches Haus sucht, nicht affektiert nach einem [pab], sondern nach einem [pub] fragt – schreibt man ja auch so. Außerdem muss man nicht fragen, es gibt schließlich genug Pubs, ein Großteil davon mit irischem Namen und/oder Emblem. Gut zwei Drittel der Liverpooler haben irische Wurzeln und sind, vor allem kurz vor der Sperrstunde (mit der man es in Liverpool deutlich weniger genau nimmt als in London), wild bereit, diese singend zu offenbaren.

Das kann auch gut im Cavern Quarter passieren, dem Ausgehviertel rund um den Cavern Club. Er ist zwar nicht mehr in denselben Kellern wie einst, als die Beatles dort regelmäßig gespielt haben, aber in den gleichen, sprich gleich daneben. Jedenfalls tief unten. Dort hört man für geringen Eintritt (nie mehr als sechs Pfund) entweder Bands, die sich der perfekten Beatles-Mimikry verschrieben haben (wobei der McCartney-Lookalike meist dem Original am wenigsten ähnlich sieht, schließlich muss er ein anderes Kriterium erfüllen, nämlich Linkshänder zu sein), oder solche, die trotzig lieber „Satisfaction“ nachspielen, mit Liverpooler Akzent natürlich.

Rubber Soul und Kaiserkeller

Im Cavern Pub gegenüber kann man Penny Lane Sauvignon blanc trinken, im Rubber Soul irgendetwas, am skurrilsten ist aber der Kaiserkeller, der so heißt, da die Beatles in Hamburg oft in einem Lokal dieses Namens aufgetreten sind: An den Wänden prangen nicht immer richtig geschriebene deutsche Stadtnamen („Düsseldörp“) und Bilder von üppigen Kellnerinnen im Dirndl. Es gibt Brezeln. Das einzige Pub, das es schon in Beatles-Zeiten gegeben hat, als in diesem Viertel noch die Lagerhäuser dominiert haben, ist das Pub The Grapes, in dem die vier nach den Auftritten zu trinken pflegten (der Cavern Club war damals alkoholfrei), heute ist es bei Rauchern beliebt, die dort im überdachten Hinterhof tun, was sie nicht lassen können.

„Tobacco seriously damages your health“: Dass dieser neuzeitliche Spruch auf den Packerln steht, die im Beatles-Museum die Nachbildung des Casbah Coffee Club schmücken sollen, ist ein unschöner Stilbruch. Sonst ist das Museum gut bestückt und einen Besuch wert, man kann über den Grabstein von Eleanor Ribgy lernen, das Zirkusplakat bestaunen, von dem Lennon den Text von „Being for the Benefit of Mr. Kite!“ genommen hat.

Revolution im Albert Dock

Schön ist auch die Lage: im Albert Dock, wo 1846 die weltweit ersten feuersicheren Lagerhallen waren. 1970 wurde es geschlossen, 1988 wiedereröffnet, stilsicher renoviert. Heute sind dort etliche Museen, ein Hotel und diverse Restaurants und Bars, eine heißt Revolution, eine andere Revolucion de Cuba. Das ist nicht (nur) Bobogetändel, in Liverpool wird traditionell links und liberal gewählt, im Stadtrat sitzt heute kein einziger Konservativer, und immerhin 45 Prozent der Arbeiter sind bei der Gewerkschaft. (In ganz Großbritannien sind es nur 30 Prozent.)

Die Aura der freundlichen Weltoffenheit, die man in Liverpool zu spüren meint, wurzelt wohl in der Geschichte der Stadt, die allerdings lang sehr bescheiden war. Sie war zwar schon um 1190 als „Liuerpul“ bekannt, was so viel wie schlammige Bucht bedeutete, ihr Aufstieg begann aber erst um 1700 durch den Welthandel, vor allem mit Baumwolle, aber auch mit Sklaven. Etliche Straßen tragen den Namen von Sklavenhändlern, eine Initiative, all diese Straßen umzubenennen, fand aber ein jähes Ende, als klar wurde, dass auch ein Mann namens James Penny viel Geld mit dem Sklavenhandel verdiente und daher entschlossen gegen dessen Abschaffung kämpfte. Und die Penny Lane wollte man denn doch nicht umbenennen. (Auch wenn dort jedes nicht niet- und nagelfeste Straßenschild ohnehin bald gestohlen wird.)

Womit wir, wie in Liverpool üblich, wieder bei den Beatles wären. Der im Lied besungene Kreisverkehr („roundabout“), an dem sich die vier, jeweils aus anderen Vorstädten kommend, als Jugendliche gern getroffen haben, ist übrigens wirklich reizend; und ob der Italian Barber Shop dort direkt auf den Friseur zurückgeht, der in „Penny Lane“ besungen wird, oder nicht, ist doch egal. In der Duke Street, wo die Gentrification derzeit ihre sanften Anfänge nimmt, findet sich indessen ein Laden namens Root 69, der „independent non-gender hair dressing“ anbietet.

Die Duke Street geht man auch entlang, wenn man zur Liverpool Cathedral hinansteigt, das ist die anglikanische der zwei großen Kathedralen, die – was für eine schöne Fügung – jeweils an einem Ende der gar nicht langen Hope Street liegen. Die anglikanische Kathedrale wurde erst 1978 fertig, wirkt aber älter als die schon 1967 vollendete katholische Metropolitan Cathedral: Eigentlich neugotisch sieht sie aus wie gestutzt, in die Horizontale gedrückt. Da gleicht sie der Schwester, die statt eines Turms eine stilisierte Dornenkrone trägt.

Der Altar, über dem sich das Motiv der Dornenkrone wiederholt, ist, ungewöhnlich für eine katholische Kirche, fast in der Mitte, links hinter ihm eine fantastische Statue des Liverpooler Bildhauers Sean Rice, die Abraham mit dem Lamm zeigt, das er statt seines Sohns schlachtet. Der expressive Kreuzweg, ebenfalls von Rice, lädt zu längerer Meditation.
Für eine solche zu laut ist es in der säkularisierten katholischen Kirche St. Peter: In ihr ist heute das hippe Lokal Alma de Cuba, in dem zum Essen, das man in der Düsternis kaum sieht, dröhnende Dancefloor-Musik läuft. Der Schriftzug „Tu es, Petrus“ steht noch an der Wand, dazu hat man Hirschgeweihe gehängt, Kerzen brennen überall: Ein skurriler Exzess des postmodernen Beliebigkeitskults.

Erstaunlich, dass dort nicht auch ein Liverbird hängt, dieser seltsame Vogel, der ursprünglich wohl ein Adler war (das Symbol des Evangelisten Johannes, damit auch von King John, der Liverpool 1207 gegründet hat), doch später als Kormoran dargestellt wurde, wobei der Name angeblich vom deutschen Wort Löffler kommt. Er ist quasi das Wappentier der Stadt, und so nannte sich die erste Girlband der Welt, die 1962 (!) in Liverpool gegründet wurde, The Liverbirds, schließlich spricht man am Ufer des Mersey von jungen Frauen gern als „birds“, wie man vom Song „Norwegian Wood (This Bird Has Flown)“ weiß. Der natürlich von den Beatles stammt, denen man in Liverpool, wie gesagt, nicht entkommt, und das ist gut so.

Was man in Liverpool tun kann

Ankommen: Auf dem John Lennon Airport, auf dessen Dach „Above us only sky“ steht („Imagine“), oder an der Lime Station, die auch in einem Beatles-Song („Maggie Mae“) vorkommt.

Anschauen: Neben all den Beatles-Orten die Tate Liverpool (mit gewitzt gegliederter Sammlung) und die Bluecoat Gallery im ältesten Haus der Stadt. Die Biennale für zeitgenössische Kunst findet heuer 14. 7.–28. 10. statt.Viel über Soziales und Alltagskultur erfährt man im Museum of Liverpool.

Essen: Sehr schön – und im Sommer luftig – sitzt man im Pumphouse am Albert Dock. Indisch ist immer okay, originell und günstig ist das Mowgli an der Water Street. Wer gern mehr ausgibt und Saucen à la française mag, speist in der Hope Street. Die Chinatown (mit superkitschigem Tor) lockt sowieso.

Ausgehen: Das Cavern Quarter ist durchaus nicht nur skurril. „Upcoming“ ist das Baltic Quarter. Jedes Pub ist okay, man muss eben damit rechnen, dass eine Band „Ferry across the Mersey“ spielt.

Compliance: Der Autor war schon öfter in Liverpool; auf seine jüngste Reise dorthin wurde er von Visit Britain eingeladen.

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