Äthiopien: Höhenluft mit Röstaromen

Prozess. Die gewaschenen grünen ­Bohnen sind bald trocken zum Verpacken.
Prozess. Die gewaschenen grünen ­Bohnen sind bald trocken zum Verpacken. (c) Naod Lemma
  • Drucken

Äthiopien gilt als Ursprungsland des Kaffees und produziert auch heute einen der besten weltweit. Ein Besuch bei Fairtrade-Bauern im Hochland Oromias.

Der Jeep rumpelt über unbefestigte Straßen, weicht schwankend großen Schlaglöchern, Tuk-Tuks und mit Zuckerrohr beladenen Eselkarren aus. Eine oft fehlende Spurenregelung wird durch Hupen wettgemacht. Erleichtertes Seufzen, wenn kurzzeitig ein betonierter Abschnitt auftaucht. „Das ist die afrikanische Massage“, scherzt Ayalew Merha, der sein Fahrzeug trotz der Herausforderungen versiert lenkt. Er transportiert die europäischen Gäste von der mehr als 2000 Meter hoch gelegenen Hauptstadt Addis Abeba in südlichere Lagen, die trotzdem noch zum sattgrünen Hochland der größten äthiopischen Region, Oromia, gehören: Die Stadt Dilla auf einer Höhe von etwa 1500 Metern ist das Ziel, sie liegt auf halbem Weg Richtung Kenia und nahe dem Ort Yirgacheffe. Der gleichnamige Kaffee von hier ist weltweit bekannt, gilt unter Kennern als einer der besten. Er ist auch Grund der Reise: Von diesem strategischen Posten aus sollen in den folgenden Tagen die umliegenden Anbaugebiete der Arabica-Pflanze erkundet werden. Der Legende nach wurde die Pflanze gar in Äthiopien entdeckt. Ein Hirte aus Kaffa habe vor mehr als 1000 Jahren beobachtet, dass seine Ziegen nach dem Naschen von einem Strauch mit den roten Früchten auffällig munter waren.

Mischanbau. Die Kaffeekirschen ­gedeihen zwischen „falschen Bananen“.
Mischanbau. Die Kaffeekirschen ­gedeihen zwischen „falschen Bananen“.(c) Magdalena Mayer

Duftschwaden in der Luft. Gut acht Stunden kämpft sich der Massage-Jeep gen Süden vor. Es geht vorbei am Großen Afrikanischen Grabenbruch, der eine anschauliche Seenkette hervorgebracht hat, dann an der quirligen, von Rastafari besiedelten Stadt Shashemene. Und während die Straßen holpriger werden, zeigt sich immer häufiger der Kaffee neben dem Weg. Zuerst stechen hübsche Tischchen ins Auge, auf denen frisch bereitete Aufgüsse angeboten werden. Erneut ein Seufzen im Auto – diesmal, weil der feine Kaffeeduft durch die Luft herangetragen wird, die sowieso stets von einem Röst- und Räucheraroma durchzogen ist. Als der Jeep-Konvoi schließlich auch Yirgacheffe hinter sich lässt und in die Bergwälder eintaucht, leuchten die Kaffeefrüchte zwischen dem grünen Baumwuchs hervor, ein schöner Kontrast zu den roten Lehmstraßen, die sich durch das Gebiet schlängeln. Kaffee wächst in Äthiopien oft wild. Im Gebiet der Oromia Coffee Farmers Union, das nun besucht wird, haben sich 335.000 Kleinbauern in 405 Subkooperativen zusammengeschlossen. Hier dominieren bedacht angelegte Mischwälder, in denen empfindliche Kaffeejungpflanzen unter andere schattenspendende Gewächse gesetzt werden.

Zwei der Kleinbauernkooperativen, Negele und Homa, erwarten die Gruppe schon. Bevor sie stolz Land und Ernte zeigen, heißen die Ältesten des ansässigen Stammes der Guji die Gäste mit Segenswünschen willkommen – so viel Zeit muss sein. Die Männer in traditionellen weißen Gewändern, verziert mit Farbborten, stimmen im Halbkreis ein Lied in ihrer Sprache, Oromo, an. „Sie besingen den Frieden und das Gada-System“, flüstert Getahun Gebrekidan von Fairtrade Africa, „ihr spezielles demokratisches System sozialer Organisation“. Der Geschäftsentwicklungsberater der afrikanischen Dependance des Verbands für fairen Handel ist vor Ort, weil Negele und Homa Fair-Trade-Kaffee herstellen – wie auch weitere 45 Kooperativen der Union.

Ernte. In den Wintermonaten werden die roten, reifen Kirschen gepflückt.
Ernte. In den Wintermonaten werden die roten, reifen Kirschen gepflückt.(c) Naod Lemma

Zeremonielles Trinken. Bevor er mit anderen Vertretern seines Netzwerks begutachten wird, wie die Standards eingehalten werden  – und umgekehrt auch die Bauern verlautbaren können, wie zufrieden sie im Fairtrade-System sind –, haben die Einheimischen Essen zubereitet. Gemüse, Brei aus Hülsenfrüchten namens Shiro, rohes Fleisch und Soße (Wot genannt), all dies häuft man auf ein Stück Injera und versucht, diesen säuerlichen Fladen aus Teffmehl ohne Absturz mit den Fingern zum Mund zu führen. Der Zwerghirsefladen gilt nicht nur als wahres Superfood, er ist auch Hauptnahrungsmittel und wird zu jeder Mahlzeit verzehrt. „Man sagt beim Beten: ,Gib uns unser täglich Injera‘“, erzählt der Fotograf Naod Lemma, der die Fahrt begleitet. „Leute aus der Zukunft“, so nennt er die Europäer: In Äthiopien schreibt man derzeit das Jahr 2010, denn der Kalender zählt 13 Monate. Nur für offizielle Geschäfte richtet man sich nach dem Gregorianischen, was beizeiten für Verwirrung sorgt. Inzwischen strömt aus einer Ecke wieder Röstaroma und erinnert daran, warum man hier ist: Die Gastgeberin (tatsächlich ist es immer Frauensache) hat die Kaffeezeremonie eingeleitet. Die rituelle Zubereitung des Buna, wie das Getränk hier heißt, wird täglich dreimal praktiziert, verrät Lemma. „Das ist ganz anders als Espressotrinken“, vergleicht er. „Der Prozess dauert an die 45  Minuten. Man nutzt die Zeit bewusst, um sich auszutauschen.“ Weihrauch, Gräser und Knabberzeug, primär Popcorn, sind fixe Begleiter der Zeremonie – nicht nur als spiritueller Dank an die Natur, „auch einfach, weil wir so viel davon haben“, macht Getahun Gebrekidan klar.

Bei den Bauern. Jedem wird ein Tässchen des schwarzen Suds in die Hände gedrückt. Es ist ein Yirgacheffe, das verraten gleich die milden Zitrusnoten im Geschmack. „Und er ist süß wie eine Frau“, albert Gebrekidan. Der Kaffeegenuss ist seit jeher ein wichtiger Teil der äthiopischen Kultur. So folgt als Abschluss des Essens mit „Buna Qalaa“ ein weiteres Ritual: Einer der Ältesten verteilt aus einem bauchigen Tongefäß, gleich der traditionellen Kaffeekanne Jebena, zwei Löffel mit Butter gemischte geröstete Bohnen an Mutige, die sich dafür bereitwillig auf den Boden knien.

Dann geht es los zu den bewaldeten Feldern, wo bereits der Bauer Bedhaso Dembi wartet. Er bewirtschaftet drei Hektar Land mit Kaffeepflanzen und produziert fünf Tonnen Kirschen pro Jahr. Zusätzlich setzt er auf zwei Hektar Ensete: Die Stärke, die aus dem Stamm der „falschen Banane“ gewonnen wird, ist ein weiteres Grundnahrungsmittel. Vom Kaffee allein kann Dembi nicht leben. „Wir bekommen noch immer zu wenig Geld dafür“, moniert er. Zum Zeitpunkt des Besuchs liegt der Weltmarktpreis bei 16 äthiopischen Birr für ein Kilo Kaffeekirschen – dürftige 50 Cent.

Segnung. Die Ältesten der Guji heißen ihre Gäste mit Gesängen willkommen.
Segnung. Die Ältesten der Guji heißen ihre Gäste mit Gesängen willkommen.(c) Naod Lemma

Dennoch beobachtet Dembi wie andere Bauern positive Änderungen, die sich seit dem Umstieg auf Fair Trade eingestellt haben: Die Arbeitsbedingungen sind geregelt, im „Kaffee-Kindergarten“ der Kooperative werden nun Pflanzen der Sorte Mixed Heirloom umweltschonend herangezüchtet, gefährliche Pestizide sind verboten. Man bietet Trainings zur Steigerung der Qualität und Produktivität sowie zur Anpassung an den Klimawandel, der selbst im milden Hochlandklima zunehmend Thema ist.

Fairtrade versucht, Schwankungen an der Börse auszugleichen, und verlangt einen Mindestpreis pro Kilo Rohkaffee, das mit Fair-Trade-Zertifikat gekauft wird; die Bauern erhalten die Dividende des Profits. Da dies erst am Ende des Jahres geschieht, muss Dembi vorerst mit dem gängigen Lohn auskommen. Auch am Schluss bleibt wenig, denn nur etwa 50 Prozent des fairen Kaffees werden letztlich auch zertifiziert abgesetzt, der Rest wird wie konventionelle Ware gekauft. „Die Nachfrage nach dem Siegel lässt noch zu wünschen übrig“, kritisiert auch Gebrekidan von Fairtrade. Zusätzlich zur Dividende erhalten die Kooperativen eine Prämie von 20 Dollar pro Quintal, um soziale oder ökonomische Projekte zu initiieren. Der Stolz von Homa und Negele ist ihre Highschool, die mithilfe solch eines Fairtrade-Prämienprojekts errichtet wurde. Auch Dembis Tochter lernt hier. „Früher musste sie 42 Kilometer zum Unterricht zurücklegen, jetzt nur mehr zwei“, erzählt der Bauer. Nach ihrem Abschluss wird sie wohl das Kaffeegebiet verlassen, zu mager sind die beruflichen Aussichten. Noch hilft sie nach der Schule gern beim Pflücken der Kaffeekirschen. Gerade ist Erntezeit, und während Dembi plaudert, inspizieren Erntehelfer, welche Früchte reif genug aussehen.

Reifeprüfung. Eine Pflanze verspricht jährlich rund vier Kilo Ertrag an Kirschen.
Reifeprüfung. Eine Pflanze verspricht jährlich rund vier Kilo Ertrag an Kirschen.(c) Magdalena Mayer

Nur für den Export. Die Fahrt geht weiter. Auf den Bäumen tollen Affen herum, hängen Bienenstöcke; Honig ist das zweite Waldprodukt, auf das die Äthiopier stolz sind. Neben Hütten trocknen Kaffeekirschen in der Sonne. „Wash­ing Stations“ ziehen sich die Hänge entlang, hier werden die geernteten Kirschen aufbereitet: gewogen, entpulpt – von Schale und Fruchtfleisch befreit –, dann in Wasser 32 bis 72 Stunden fermentiert, gewaschen und nach Qualität getrennt. Zuletzt trocknen die grünen Bohnen auf Holzgestellen, den „African Beds“. Nacharbeiter wenden sie, bis sie für den Transport nach Addis Abeba bereit sind – zu einem sehr geringen Lohn. Fairtrade kann im Moment nur versuchen, zumindest die Bauern angemessen zu bezahlen, andere profitieren bloß indirekt durch die Prämienprojekte in der Dorfgemeinschaft: „Ein Problem, für das man noch eine Lösung suchen muss“, bedauert Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich.

Am Wegrand zurück in die Hauptstadt werden Waren aller Art angeboten. Die meisten Güter des Landes sind jedoch zum Export bestimmt, so auch Rohkaffee guter Qualität. Den Äthiopiern selbst ist gesetzlich nur aussortierter Kaffee erlaubt. Um den Handel der hochwertigen Bohnen kümmert sich die Oromia Coffee Farmers Union, sie produziert rund 300.000 Tonnen (Fair-Trade-)Kaffee pro Jahr. In der Fabrik in Addis Abeba wird erneut die Qualität geprüft, Säcke werden abgepackt. Ihr Inhalt ist grüner Kaffee – im Land geröstet darf er noch nicht werden. Zu einer Ausnahme führt Fotograf Lemma. Er weiß um angesagte Plätze in der Stadt Bescheid. Etwa das Café „Tomoca“: Hier versteckt sich im Hinterzimmer auch eine Röstmaschine, die Röstungen kann man kosten oder mitnehmen. Beim letzten Stopp, der Kette „Kaldi’s Coffee“, gibt es von Caramel-Latte bis Cappuccino alles, was sich für einen „äthiopischen Starbucks“ gehört. So zeigt sich, dass äthiopische Kaffeekultur heute nicht nur zeremonielles Trinken, sondern auch westliches Milchschaumschlürfen heißt.

Info

Anreise: Mit Ethiopian Airlines von Wien nach Addis Abeba. www.ethiopianairlines.com

Kaffeegebiete: Die Sträucher wachsen bei den Bergwäldern des Hochlands, bekannte Regionen: Yirgacheffe, Kaffa, Sidamo, Harar. Den Kaffee aus Oromia vertreibt die Oromia Coffee
Farmers Cooperative Union. www.oromiacoffeeunion.org

Kaffeetrinken in Addis Abeba: Zum Beispiel bei Tomoca Coffee (www.tomocacoffee.com) oder
Kaldi’s Coffee (kaldiscoffee.com).

Allgemeine Informationen: www.ethiopia.travel

Hinweis: Die Autorin reiste auf Einladung von Fairtrade Österreich. www.fairtrade.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.