Amanshausers Album: Verdichtet

Massentourismus in seiner – auch öko­logisch – problematischsten Form: Experten sprechen von „Overtourism“, Locals gehen auf die Barrikaden.
Massentourismus in seiner – auch öko­logisch – problematischsten Form: Experten sprechen von „Overtourism“, Locals gehen auf die Barrikaden. (c) APA/dpa-Zentralbild/Stefan Sauer
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65 - Ausblick auf den Tourismus-Wahnsinn: Wieso wir keine dritte Piste in Wien-Schwechat brauchen.

Einen Augenblick lang dachte ich sogar“, schrieb Antonio Tabucchi 2001 über eine Insel mit wilden Ziegen, Melonen und Distelgewächsen, „dass es diese Insel gar nicht gibt, dass ich sie nur gefunden habe, weil sie in meiner Fantasie existiert. Denn eigentlich ist sie kein Ort, sondern ein Schlupfloch, ein Loch im Netz. Ich meine damit das (. . .) Schleppnetz, in dem wir mittlerweile alle gefangen sind.“ Damals waren jährlich 675 Millionen Touristen weltweit unterwegs, heute sind es 1,8 Milliarden; Fluggäste (inklusive Mehrfachflieger) gab es 1,5 Milliarden, heute sind es fast drei Mal so viel.

Die Ge- und Bedrängtheit, die neue Enge des Tourismus, wurde zum Thema des Jahres. Auch die innereuropäische Mobilität, Stichwort Städtereisen, hat sich extrem verschärft. Airbnb hat die Wohnstruktur beeinflusst, drängt Einheimische ab, treibt Preise. Inzwischen ist der Geheimtipp per se am Aussterben – bestärkt von Tripadvisor wagen sich Mainstream-Touristen in „echte“ Lokale abseits von Hard-Rock-Café & Co. und sind dort todunglücklich. Wollt ihr die totale Reise-Demokratie? Antonio Tabucchis Insel wird immer undenkbarer.

Der gute, alte Begriff „Massentourismus“ drückt das Maß an Trubel-Katerstimmung und sozialer Zerstörung längst nicht mehr aus. Das Expansionsdenken floriert, unverbesserliche Wirtschaftsgläubige reden uns die Baunotwendigkeit neuer Terminals und Landebahnen ein. Nehmen wir den Flughafen Wien-Schwechat. „Attraktive Wachstumsperspektive“, jubeln sie, wenn ein Urteil den Bau einer dritten Piste nun doch erlaubt, und die Politiker der drei großen Parteien nicken mechanisch dazu. Zügige Realisierung, juhu, Stärkung des Wirtschaftsstandorts, im Regierungsprogramm steht’s! Der Wahnsinn schraubt sich gezielt nach oben, und wir wählen ihn noch. In Wahrheit existiert angesichts der Klimaerwärmung kein gangbarer Wachs­tumsweg. Sonst sehen wir uns nicht nur einer Vernaschmarktisierung gegenüber – der Zerstörung des Lokalen, Gemütlichen mit aktiver Unterstützung der Politik, stattdessen dem Einzug von Wasabinuss, Stinkseife und Billigramsch  –, sondern einem Crash mit Anlauf.

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