Sizilien

Palazzo-Hopping in Palermo

Arkadenhof im Palazzo dei Normanni Sitz des sizilianischen Parlaments Palermo.im Palazzo dei Normanni Sitz des sizilianischen Parlaments Palermo Sizilien Italien
Arkadenhof im Palazzo dei Normanni Sitz des sizilianischen Parlaments Palermo.im Palazzo dei Normanni Sitz des sizilianischen Parlaments Palermo Sizilien Italien(c) imago/imagebroker (imago stock&people)
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Zu seltenen Gelegenheiten sind in Palermo die Tore vieler Palazzi offen. Viele sind halb vom Verfall gezeichnet, doch in manchen regt sich neues Leben. Die Hauptstadt von Sizilien hat auch gastronomisch stark zugelegt.

Noch bis Ende des Jahres darf sich Palermo italienische Kulturhauptstadt nennen. Von diesem Ereignis hat man (bis auf die aktuelle Antonello-da-Messina-Retrospektive) nicht viel bemerkt, da der dafür vorgesehene staatliche Zuschuss irgendwie im normalen Budget versickert ist. Auch die europäische Wanderkunstbiennale „Manifesta“ ist vermutlich kein alleiniger Anlass für eine Reise nach Palermo. Allerdings ist in deren Zuge eine erkleckliche Anzahl prächtiger, leider vor sich hin verfallender und daher sonst unbetretbarer Palazzi zugänglich gemacht worden – auf Zeit.

Schuldan der temporären Öffnung, die irgendwann einmal eine permanente werden soll, ist das berühmte Sammlerehepaar Massimo und Francesca Valsecchi. Es hat sich vor ein paar Jahren in Balarm (so der arabische Name) verliebt und dabei auch gleich den einsturzgefährdeten Palazzo Buteraan der Hafenpromenade käuflich erworben. Dieser wird mit Eigenmitteln derzeit besonders liebevoll und sachgerecht renoviert (ohne die Spuren des Verfalls zu verschleiern) und soll in Kürze so weit sein, die Sammlungen der Valsecchis zu beherbergen.

Aber Signor Valsecchi, der bereits im zarten Alter von zwölf Jahren begonnen hat, mithilfe einer innovativen Orchideenzüchtungsmethode seine erste Million zu verdienen, hat darüber hinaus noch ehrgeizigere, fast auf den ersten Blick (im positiven Sinn) größenwahnsinnigere Pläne. Sein erneuerter Palazzo soll als durchgängiges, durchlässiges Verbindungsglied zwischen Hafen und Stadt dienen. Aber noch mehr: als Initialzündung und Motor für die Valorisierung, für das Upgrading, für die Neugeburt des gesamten umliegenden Viertels, das nahezu ausschließlich aus weltkulturerbewürdigen, aber eben leider stark vernachlässigten oder inadäquat genutzten (Parkplätze!) architektonischen Schätzen besteht. Valsecchis Vision ist, dass in der Endausbaustufe all diese Gebäude miteinander verbunden und mit einem einzigen gemeinsamen Ticket besichtigbar sind.

Neogotisch, mit Staubschicht

Wir wünschen den Valsecchis und ihrer zugelaufenen, eifersüchtigen Hauskatze viel Glück bei ihren Plänen und machen uns auf zum Palazzo-Hopping. In die meisten der einstigen Herrschaftssitze muss man sich allein schon ihres Namens wegen verlieben: etwa in den Palazzo Forcella de Seta mit seinem Stilmix – pseudorömische Fußbodenmosaike mit Delfinen, Tigern und Schlangen, gepaart mit pseudospätbyzantinischen Deckengemälden im großen Ganzen einer neogotischen Trutzburg. Einen womöglich noch viel schöneren Namen trägt der Palazzo Ajutamicristo (Hilfmirchristus). Der dramatisch fortgeschrittene Verfall ist natürlich bedrückend, aber ein einziges noch verwaschen erhaltenes Deckenfresko, ein Blick in den grün überwucherten Innenhof und das großartige Panorama über die ganze Altstadt reichen, dass man sich in eine glorreichere Epoche zurückträumt.

Weiters temporär begehbar: die Palazzi Trinacria und Constantino. Kein Palazzo, aber trotzdem ein Muss auf dieser Tour ist das Archivio di Stato, in dem seit der italienischen Wiedervereinigung Abertausende Akten eingelagert sind und das offenbar seither nie geputzt wurde. Stauballergiker erleiden wahrscheinlich bereits beim Anblick dieser Terry-Gilliam-artigen Szenerie („Brasil“) einen traumatischen Schock, und selbst unsereins ergreift lieber nach einigen Minuten die Flucht, bevor einen möglicherweise die Staublawine begräbt. Trotzdem oder gerade deswegen äußerst beeindruckend.

Hinter Büchern Café freigelegt

Ungeachtet von Kulturevents wird man in Palermo neue faszinierende Orte vorfinden: die Villa Zito mit ihrer großartigen Sammlung italienischer Malerei (Tipp: Gartencafé) und das frisch renovierte Museo Archeologico mit seinen tollen Funden aus Selinunte. Am beeindruckendsten ist vielleicht der Palazzo Branciforte, eine frühere Pfandleihanstalt. Die Ausstellung der „pupi siciliani“ des lokalen Puppenspielgurus Mimmo Cuticchio in schier endlosen Holzregalen ist weltweit einzigartig.

Aber nicht nur im Museums-, nein auch im Gastrobereich hat sich in Palermo zuletzt sehr viel Positives getan. An erster Stelle steht zweifellos das Bistrot Bisso in der Via Maqueda (unweit der Quattro Canti). Hier befand sich die legendäre Buchhandlung Dante mit den schönen Bändchen der Edizione Sellerio in den Auslagen. Nachdem sie wegen einer Pleite lang leer gestanden war, übernahm Familie Bisso den Laden, entdeckte hinter den Bücherwänden herrliche Malereien aus dem 19. Jahrhundert und fand so heraus, dass sich hier früher ein Café namens Umberto befunden hatte. So schade es naturgemäß um die Buchhandlung ist, so beruhigend ist es doch zu wissen, dass das Lokal seiner ursprünglichen Nutzung wieder zugeführt worden ist. Und immer bummvoll, was außer auf die Jovialität der Wirte auch auf die Küche zurückzuführen ist: modern interpretierte sizilianische Klassiker zu Spottpreisen. Ein mittlerweile unverzichtbar gewordenes Wohnzimmer der Stadt.

Auch sonst ist lokalmäßig viel in Bewegung. Das catanesische Biorestaurant Fud hat hier eine Filiale eröffnet, am Corso Vittorio Emmanuele hat ein junger Trapanese einen kleinen Shop aufgemacht, in dem es ausschließlich alle Teile vom Thunfisch zu kaufen gibt. Wer es traditioneller liebt, ersteht bei einem der Straßenhändler Meeresschnecken und verzehrt sie im Gehen oder lässt sich bei der alteingesessenen Gelateria Da Ciccio ein „brioche con gelato“ schmecken. Das gilt in Sizilien bereits als Mittagessen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2018)

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