Schottland: Das steinerne Schiff im silbernen Fluss

Das V&A Dundee zeigt in einer permanenten Schau schottisches Design. Neben dem Gebäude liegt das Royal Research Ship Discovery.
Das V&A Dundee zeigt in einer permanenten Schau schottisches Design. Neben dem Gebäude liegt das Royal Research Ship Discovery.REUTERS
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Dundee hat ein neues Wahrzeichen und auch sonst zahlreiche besuchenswerte Attraktionen.

Die drei großen J – „jute, jam and journalism“ – waren einst die Haupteinnahmequellen der schottischen Hafenstadt Dundee. Die Jute wird mittlerweile in Bangladesch hergestellt, die weltberühmte Bitterorangenmarmelade zwar noch in Schottland, aber nicht mehr hier, und der Journalismus hat bekanntlich auch schon bessere Zeiten gesehen.

Was machen Stadtväter in einem solchen Fall, wenn ihnen dann auch noch der Hafen wegbricht? Ganz einfach: Sie versuchen, sich neu in Richtung Kultur zu orientieren, schielen nach Bilbao oder Oslo, bestellen bei einem Stararchitekten ein „landmark building“ und erhoffen sich dadurch den sogenannten Guggenheim-Effekt.

Das Produkt dieser Überlegungen, Hoffnungen und Spekulationen ist Mitte September in Dundee eröffnet worden: der spektakuläre Neubau der einzigen Filiale des Londoner Victoria & Albert Museum, des größten Kunstgewerbemuseums der Welt, gestaltet vom Japaner Kengo Kuma. Der erste Eindruck ist schon einmal positiv: Der Bau wirkt sehr viel kleiner und bescheidener als auf den im Voraus veröffentlichten Fotos und erinnert tatsächlich sofort an ein Schiff – oder von einer anderen Seite auch an Klippen, wie vom Architekten intendiert. Die „Times“ sprach zwar – als Einzige, sonst waren die Reaktionen ausnahmslos positiv – von einer „zerdepschten Parkgarage, umgeben von einem sterilen Burggraben“, aber das sind ja nur die bekannten englischen Anti-Schottland-Neid-Gefühle.

Kuma hat auch davon gesprochen, dass der Innenraum wie ein Wohnzimmer für die Stadt wirken soll. Das hält man zuerst einmal für typisch-vollmundige Stararchitektenpropaganda, bis man das Gebäude dann selbst betritt.

Willkommen und geborgen

Der Eingangsbereich ist äußerst großzügig und einladend gestaltet, und man fühlt sich darin – auch dank der vielen Holzlamellen, die ein Gefühl von Wärme vermitteln – sofort wohl, willkommen und geborgen, eben so wie in einem Wohnzimmer. Noch großartiger ist es nur noch im Restaurant im ersten Stock mit seinem grandiosen Blick über den mächtigen, „silbernen“ – Spin für schmutzigen – River Tay. Dieser ist so überwältigend und gleichzeitig so beruhigend, dass man sich, auch dank des exquisiten Essens – zum Beispiel Lachs mit Wachteleiern – von hier eigentlich gar nicht mehr wegbewegen wollte, wenn einen die Öffnungszeiten nicht dazu zwängen.

Kommen wir nun zur „Software“. Das V&A Dundee weist zwei große Ausstellungsbereiche auf. Der eine dient der Präsentation der permanenten Sammlung von schottischem Design. Der andere beherbergt Wechselausstellungen. Die derzeitige behandelt das Thema „Ocean Liners“ und ist schlicht und einfach großartig (bis 24. Februar). Die Geschichte der Ozeanriesen ist hier auf so kundige, liebevolle, humorvolle und attraktive Weise gestaltet, dass diese Schau das thematisch ähnlich gelagerte Titanic-Museum in Belfast weit in den Schatten stellt.

Dundee ist, so ehrlich muss man sein, keine schöne Stadt – was auch daran liegen mag, dass das hier hauptsächlich verwendete Baumaterial grauer Sandstein ist. Ein lokales Element, das Kamu in intelligenter Weise für sein weiß-grau-weiß-graues V&A aufgegriffen hat. Aber es hat außer dem neuen Museum auch noch andere Sehenswürdigkeiten aufzuweisen. Die eine, altehrwürdige Attraktion liegt direkt neben der brandneuen verankert: der Dreimaster RRS Discovery, bekannt dafür, Robert Falcon Scott für seine todbringende Antarktis-Expeditionen gedient zu haben. Ein faszinierender Rundgang, auch wenn man danach noch viel weniger versteht, wieso Menschen auf so eine blödsinnige Idee kommen können, die Pinguine in ihrer Ewigen-Eis-Ruhe zu stören. Man selbst bekommt schon extreme Erfrierungen allein beim Anblick der Expeditionsfotos.

Um den Horizont des Mitteleuropäers zu erweitern, hilft auch ein Besuch in den Verdant Works, der letzten erhaltenen und zum Museum umgewandelten Jutefabrik der Stadt. Die gute Jute sagt uns ja heutzutage wenig, außer, dass uns die Alternativen mit ihren aus ihr gefertigten Umhängetaschen gründlichauf die Nerven gegangen sind. In den goldenen Zeiten der Industrialisierung hingegen trug dieses nicht gerade edle Material dazu bei, dass in Dundee die meisten Millionäre Großbritanniens lebten. Ein absolutes Muss ist natürlich auch, bei den in einem eigenartig kirchenähnlichen Gebäude untergebrachten McManus Galleries vorbeizuschauen. Diese sind eine Art Supermarkt-Stadtmuseum mit Ausstellungsstücken, die von Grabsteinen der Pikten, der Ureinwohner Schottlands, über viktorianische Gemälde bis zu den hier gedruckten Comics wie Dennis the Menace und Desperate Dan reichen.

Dundonians, Klingonians

Der am wenigsten erwartete und lohnendste Teil ist der Saal mit jenen Objekten, die die Dundonians– so der Name, den sich die Einwohner selbst geben und der dann doch ein wenig an die Klingonians denken lässt – in ihrer Eigenschaft als Kaufleute oder Missionare von ihren Weltreisen mitgebracht haben. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, denn ein Objekt ist faszinierender, ungewöhnlicher, seltsamer und beeindruckender als das andere, auch wenn man schon sehr viele ethnografische Sammlungen gesehen hat. Woran das liegen mag? Vielleicht daran, dass sich diese schottischen Laien beim Erwerb nicht von kunsthistorischen oder gar völkerkundlichen Überlegungen leiten ließen, sondern bloß von ihrer Neugier und dem emotionalen Impact, denn diese kuriosen Kultgegenstände auf sie ausgeübt haben. Großartigst!

Zum Chillen nach diesem Kulturschock empfiehlt es sich, das vis-à-vis gelegene Counting House JD Wetherspoon aufzusuchen, ein zu allen Tageszeiten bummvolles, beliebtes archetypisches Pub. Ein Bier geht sich sowieso immer aus, und wer besonders mutig ist, wagt sich an die hier besonders gute und besonders wohlfeile schottische Nationalspeise „haggis with neeps and tatties“, sprich Schafsmagen, „paunch“ genannt, der mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett vom Schaf, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt wird. Als Beilagen werden traditionell Erdäpfel und Rübenpüree gereicht.

Diesem Gericht eilt weltweit ein schlechter Ruf voraus. Ein Vorurteil, das nach dem Verzehr dieser Spezialität nicht mehr ganz nachvollziehbar ist: Haggis schaut nicht viel anders aus und schmeckt auch nicht viel anders als Faschiertes.

Wer sich darüber gewagt hat, kann es jedenfalls von seiner Bucketlist der gastronomischen Challenges – Schlangensuppe, Maden, Skorpione am Spieß, fermentierter Hai streichen – und daheim auf die von Freunden, Feinden und Bekannten unweigerlich gestellte Frage „Hast du auch Haggis probiert?“ im Brustton der Überzeugung mit einem – selbst wenn geheuchelten – Ja antworten.

Feiglinge essen lieber Fish & Chips, wobei in Schottland Schellfisch sehr viel populärer als der Kabeljau im feindlichen England ist.

Was das V&A Dundee betrifft, kann man den sehr sympathischen und entspannten, freundlichen Dundonians nur wünschen, dass ihre Rechnung aufgeht. Die Stadtväter jedenfalls scheinen vom Erfolg ihres Kulturtrips bereits jetzt überzeugt. Gleich am Tag nach der Eröffnung verkündete der Bürgermeister, es sei geplant, auf dem freien Platz neben dem neuen Museum eine Oper und eine Konzerthalle zu errichten. Großartig, nur weiter so!

DUNDEE'S MUSTS

Anreise

Von Wien nach Edinburgh mit Lufthansa, KLM, Easyjet oder www.Jet2.com , ab etwa 125 Euro. Vom Flughafen dann weiter mit Bus, Bahn oder Mietwagen – circa eine Stunde Fahrt entfernt.


Hotels

Der erhoffte Tourismusboom hat schon erste Früchte getragen. Das Apex-Hotel, in Sichtweite des V&A wurde einem gründlichen Lifting unterzogen und in einer ehemaligen Jutefabrik das großartige Boutique-Hotel Indigo (samt ebenfalls großartigem Restaurant) eröffnet.

https://www.apexhotels.co.uk/

https://www.ihg.com/hotelindigo/hotels/gb/en/dundee/dndi/hoteldetail?cm_mmc=GoogleMaps-_-IN-_-GB-_-DNDID


Museen

McManus

https://www.mcmanus.co.uk/content/collections/collections-online


RRS Discovery

https://www.rrsdiscovery.com/


Verdant Works

https://www.verdantworks.com/


Food

Tailend

Erste Adresse für alle Varianten des legendären Gosh & Chips

https://www.thetailend.co.uk/


Counting House

https://www.jdwetherspoon.com/


Mitbringsel

Scottish Salted Butter

Mackays Orange Marmalade – die einzige, die noch zumindest in der Umgebung von Dundee hergestellt wird.

Fish'n'Chips: Das britische Nationalgericht gibt's bei Marks & Spencers tiefgekühlt zum Aufwärmen für zu Hause.

Gin ist der neue Whiskey. Also warum nicht eine Flasche Gin einpacken, z.B. die neue Marke Verdant, die jetzt in Dundee erzeugt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2019)

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