Eine Reise ins Mittelalter

Hunger, Seuchen, Gewalt, Willkür zählten zweifellos zu den Rahmenbedingungen der mittelalterlichen Existenz.
Hunger, Seuchen, Gewalt, Willkür zählten zweifellos zu den Rahmenbedingungen der mittelalterlichen Existenz.(c) imago images / Xinhua (via www.imago-images.de)
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Die Zukunft ist langweilig und kommt sowieso. Ins Mittelalter muss man reisen!

Schon Marterl, Grenz- und Markstein, verloren in der Landschaft verharrend, offenkundig ein, zwei oder mehrere Jahrhunderte überdauernd, können mit meiner vollsten Ergriffenheit rechnen. Solche Einladungen zur gedanklichen Zeitreise nehme ich jederzeit an, fixiert auf diese stummen Zeugen der Vergangenheit, in welcher Form sie auch anzutreffen sind. Manchmal sind es Details in Altstädten, die noch nicht in seelenlose, pflegefreundliche Sanierung übergeführt wurden, manchmal museale Artefakte, die die Fantasie des Mittelalterfans anheizen: Porträts von Fürsten, Schlachtengemälde, Fresken und Andachtsbilder – alles Dokumente mit Hinweisen auf eine versunkene Welt.

Unlängst, auf der besuchenswerten Burg Žužemberk in Slowenien, fragte ich in eine Runde von Experten, wer von ihnen tatsächlich ins, sagen wir, 13. oder 14. Jahrhundert ziehen würde, täte sich spontan eine Türe dorthin auf. Alle (bis auf einen, ich würde mit ihm gehen) schwiegen, ließen wohl Szenarien an sich vorübergleiten, wie es einem denn ergehen würde – Hunger, Seuchen, Gewalt, Willkür zählten zweifellos zu den Rahmenbedingungen der mittelalterlichen Existenz.

Mittelalterfeste? Ein Gräuel! Der Großteil der Besucher wäre auf Kirtagen mit Langos und Autodrom besser aufgehoben. Billige Spektakel, denn ohne Demut und Andacht, mehr noch als ohne Geschichtswissen, bleibt Vergangenheit unsichtbar. Schleierhaft, warum unsere Burgen so oft entweiht werden, da wird ungeniert im Hof geparkt, Plastikramsch feilgeboten, der Geist der alten Gemäuer verdrängt. Gebt mir sofort Kettenhemd und Bihänder!

timo.voelker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2019)

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