Zügig duch die Wildnis von Alaska

1904 erster Spatenstich, 1923 Inbetriebnahme: Alaska Railroad.
1904 erster Spatenstich, 1923 Inbetriebnahme: Alaska Railroad. Axel Baumann
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Von Seward bis Fairbanks schlängelt sich die Alaska Railroad über 750  Kilometer. Panoramawagen bieten beste Aussichten auf wilde Natur.

Dustin Slinker ist ein Meister des Filetierens. Um Lachse fachgerecht zu zerteilen, wetzt er während der Sommersaison von früh bis spät das Messer. In Anchorage beginnt die Wildnis mitten in der Stadt. Am Ufer des schlammigen Ship Creek stehen Einheimische und Touristen in langen Gummistiefeln oder Wathosen. Alle hoffen auf den großen Fang. Meist müssen sie nicht lang warten. Das Gewässer ist voll von Königs-, Silber-, Rotlachsen und Forellen. „Die fischreichsten Monate sind Mai und Juni. Am besten wirft man die Angel zwei Stunden vor Einsetzen der Flut aus“, erzählt Slinker. Als Fallschirmspringer bei der U. S. Army sprang er irgendwann auch über Alaska ab und verliebte sich in den flächenmäßig größten amerikanischen Bundesstaat. Seit sieben Jahren betreibt er seine Köderhütte, The Bait Shack, direkt am Ship Creek. Dort verkauft er nicht nur Angelscheine, verleiht Ruten und Gummistiefel, sondern portioniert den frischen Fang auch gleich für seine Kunden.

Nur ein paar Schritte vom Ufer entfernt leuchtet das weiße Bahnhofsgebäude der Alaska Railroad (ARR). 1904 erfolgte der Spatenstich für die normalspurige Linie, denn in Fairbanks setzte der Goldrausch ein und in der Gegend um Matanuska und Healy wartete Kohle auf ihren Abtransport. Seward im Süden an der eisfreien Resurrection Bay war der ideale Ort, um die Güter per Dampfschiff weiterzubefördern. Doch die ersten beiden privaten Betreibergesellschaften gingen pleite. Unter Federführung der amerikanischen Regierung ging es schließlich weiter. Am Ship Creek entstand ein Camp für Ingenieure und Bauarbeiter. 1915 erhielt die Zeltstadt den Namen Anchorage, heute mit über 300.000 Einwohnern mit Abstand größte Stadt Alaskas. 5000 Arbeiter benötigten acht Jahre für den Bau der Bahntrasse. Erdrutsche, Permafrost, Lawinen und Steinschlag waren Hindernisse. Am 15. Juli 1923 schlug Präsident Warren Harding in Nenana zunächst zweimal daneben, aber dann doch den „goldenen Nagel“ ein. Die 750  Kilometer lange Route vom Tiefseehafen Seward auf der Halbinsel Kenai durchs Hinterland bis Fairbanks war eröffnet.

Touristen kommen der wilden Tiere und der rauen Landschaft wegen.
Touristen kommen der wilden Tiere und der rauen Landschaft wegen.Gregory Smith/flickr (CC BY-SA 2.0)

Pelze. Der betriebsamste Bahnhof ist Anchorage nicht. Von Mai bis September starten täglich nur drei Züge. Zwei gen Süden, einer gen Norden. Sie werden von mächtigen blau-gelb lackierten Stahlkolossen gezogen. Schon früh am Morgen zuckelt der Coastal Classic Train in vier Stunden bis in die kleine Hafenstadt Seward. In der Bahn hat Zugführer Vern Gillis das Sagen. „Die Alaska Railroad ist mein Zimmer mit Aussicht“, scherzt er. Die Strecke führt ein ganzes Stück am Seward Highway entlang, der die schneebedeckten Chugach Mountains vom Cook Inlet trennt. Der Engländer Captain James Cook segelte 1778 als erster Europäer in die Bucht, die einige Jahre später nach ihm benannt wurde. Kurzer Zwischenstopp im ehemaligen Goldminenstädtchen Girdwood.

Die Crow Creek Mine erinnert heute noch daran. Längst lebt der Ort vom weißen Gold. Er entwickelte sich zu Alaskas Hauptwintersportresort. Seward verdankt seinen Namen einem amerikanischen Außenminister. „Die ersten Siedler waren Russen, denn bis 1867 gehörte Alaska noch zum Zarenreich. Im 18. Jahrhundert entdeckten russische Pelztierjäger das Gebiet. Mit der Zeit ging die Zahl der Felltiere zurück“, erklärt Vern: „Das weit entfernte Territorium war für Russland immer schwieriger zu halten. Zudem musste die Staatskasse nach dem verlorenen Krimkrieg aufgefüllt werden. Also einigten sich Zar Alexander II. und US-Außenminister William Seward per Vertrag, dass Russland den Eisblock Alaska für 7,2  Millionen Dollar an Amerika verscherbelt.“ Viele Bodenschätze wie Gold, Silber, Kohle und Erdöl wurden erst Jahrzehnte später entdeckt.

Die Bahn, die die längste Route befährt, verlässt Anchorage Richtung Norden. Es ist der Denali Star Train. Lokführer Charles Jones startet die schwere Diesellok mit der Nummer 4321. Seit 27 Jahren ist der Mann aus Chicago für die Alaska Railroad auf der Schiene. Mit maximal 50 km/h rattert der Denali Star am Eklutna entlang. „Er ist der Abfluss des türkisfarbenen gleichnamigen Sees“, erläutert Zugführer George Huling: „Der See liefert Trinkwasser und ist ein tolles Revier für Kanuten und Radler.“ Die Region um Matanuska, einst vom Kohleabbau geprägt, ist heute Weideland und der Gemüsegarten Alaskas. „Besonders beliebt bei Elchen sind Brokkoli, Erbsen und Rüben, weshalb alle Felder mit hohen Zäunen umgeben sind“, so Huling.

Der Denali ist Nordamerikas höchster Berg mit 6190 Metern.
Der Denali ist Nordamerikas höchster Berg mit 6190 Metern.Nic McPhee/flickr (CC BY-SA 2.0)

Huskies. Einige Meilen von Wassila, dem nächsten Haltepunkt, entfernt lebt Martin Buser seinen amerikanischen Traum am Big Lake. Vor 60  Jahren wurde er in Winterthur geboren. Als junger Mann wanderte er nach Alaska aus. Schon als Teenager faszinierten ihn Schlittenhunde. „Ich wollte darüber ein Jahr in Alaska lernen und blieb für immer“, erzählt er: „Ich wurde Schlittenhundesportler und begann Huskies zu züchten.“ 1980 bestritt er sein erstes Iditarod-Rennen, das seit 1973 jedes Jahr zwischen Anchorage und der einstigen Goldgräberstadt Nome an der Beringsee stattfindet. Viermal ging er als Sieger hervor. Es ist das mit zirka 1800  Kilometern längste Schlittenhunderennen der Welt. „Es soll an die Hundeschlittenstaffeln erinnern, die auf dem Iditarod-Pfad zwischen Seward und Nome Waren und Post transportierten“, berichtet Martin. Auch dem „Serum Run to Nome“, dem Rennen auf Leben und Tod von 1925, wird mit dem Lauf gedacht. Damals brach in der Goldgräberstadt Nome Diphtherie aus. Um eine Epidemie zu verhindern, wurde Impfstoff benötigt. Flugzeuge, die das Serum hätten transportieren können, waren nicht einsatzbereit. Also brachte die Alaska Railroad den lebensrettenden Stoff von Anchorage bis Nenana. Ab dort beförderten ihn 20 Musher mit ihren Hunden in fünfeinhalb Tagen weiter durch eisige Landschaft und retteten Hunderte Menschenleben.

Über 100 Kilometer schlängelt sich der Susitna, der sandige Fluss, neben der Bahnlinie. Spielt das Wetter mit, ist kurz vor Talkeetna bei Meilenstein 224 der Denali über die Wipfel der grünen Mischwälder hinweg zu erkennen, hatte Zugchef Huling verkündet. Doch „der Hohe“ (6190  Meter), was Denali auf Athapaskisch bedeutet, hüllt sich in eine Nebeldecke. Von Talkeetna starten Touristen zu Rundflügen über den Denali-Nationalpark oder gehen Gold waschen. Der blau-gelbe Lindwurm tuckert weiter – inzwischen am Chulitna entlang. Durch Schlamm und Granulat, das die Gletscher ins Wasser spülen, haben sich im Fluss Sandbänke gebildet, auf denen niedrige moosgrüne Büsche sich im Wind wiegen. Plötzlich drosselt der Lokführer die Geschwindigkeit. Der Denali Star überquert die längste und höchste Stahlbrücke der Trasse, die Hurricane Gulch Bridge, die seit 1921 die Schlucht überspannt.

90  Meter tiefer plätschert der Fluss wie ein Rinnsal zwischen schroffen Felswänden. Die meisten Fahrgäste steigen am Denali-Nationalpark-Bahnhof aus. Vor 100 Jahren wurde er noch als Mount-McKinley-Nationalpark eröffnet. Mit der Alaska Railroad kamen Besucherströme, um lichte Wälder, schneebedeckte Gipfel, Bären und Elche zu sehen. Wer ausreichend Zeit hat, bleibt einige Tage. Wer nur wenig Zeit hat, besteigt am nächsten Mittag den Denali Star, der aus Fairbanks kommt. Mit Gehupe trifft er nach achtstündiger Fahrt in Anchorage ein. Es schallt bis zum Ship Creek. Dort wird immer noch gefischt. Zwei erfolgreiche Angler schleppen ihre Lachse zu Dustins Hütte. Und der schärft schon das Filetiermesser. 

Auf einen Blick

Alaska Railroad: Sommerzüge Mai bis September. Aurora Winter Train wochenends und bestimmte Tage Anchorage–Fairbanks. Waggons mit Panoramascheiben. Diverse Zugklassen.

Coastal Classic Train: Anchorage–Girdwood–Seward (4 h); Denali Star Train: Anchorage–Wasilla–Talkeetna–Denali–Fairbanks (12 h),
alaskarailroad.com

Anchorage: Lachsfischen am Ship Creek,
thebaitshackak.com, Museum, anchoragemuseum.org Alaska Native Heritage Center, alaskanative.net, Alaska Aviation Museum am Lake Hood, alaskaairmuseum.org

Denali: Nationalpark, nps.gov

Girdwood: crowcreekmine.com

Big Lake: Huskies, Iditarod Trail: buserdog.com, iditarod.com

Info:anchorage.net, alaskausa.de

Compliance: Die Reise wurde von Visit Anchorage unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2019)

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