Hätte ich doch besser ... Was am Ende wirklich zählt

Haette doch besser Ende
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Im Buch "5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen" lässt eine australische Krankenschwester Menschen kurz vor ihrem Tod erzählen, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Am 18. September 2007 begann der amerikanische Informatikprofessor Randy Pausch eine Vorlesung so: „Ich habe ein technisches Problem. Während ich zum größten Teil in großartiger physischer Verfassung bin, habe ich zehn Tumore in meiner Leber und nur noch wenige Monate zu leben.“

Pausch wollte eine Botschaft hinterlassen mit dem Kern: Verwirklicht die Träume eurer Kindheit, wie ich es gemacht habe, helft anderen, die ihren zu verwirklichen! Das Video der Vorlesung wurde durchs Internet berühmt, das darauf basierende Buch unter dem Titel „The Last Lecture“ ein Bestseller. Nur der stets lustvoll provokante Essayist Christopher Hitchens nahm Anstoß: „Es sollte strafbar sein, so quälend und unlustig zu sein, wenn das Publikum moralisch geradezu gezwungen ist, begeistert zu sein.“

Das klingt zynisch, aber die Frage dahinter ist berechtigt: Hat das, was ein Sterbender sagt, schon deswegen Gewicht, weil es am Sterbebett gesagt wird? Sind Sterbende so viel weiser als wir? Wissen sie die Antwort auf die Frage, wie man leben soll?

Unbedingt, glaubt man Bronnie Ware. Jahrelang hat die australische Krankenschwester sterbende alte Menschen begleitet und dann ein Buch verfasst, das morgen, Montag, auf Deutsch erscheint: „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“. Am häufigsten, schreibt Ware, würden Sterbende darüber klagen, dass sie zu wenig Mut gehabt hätten, um zu leben, wie sie wirklich wollten, sich zu sehr nach den Erwartungen anderer gerichtet hätten. An zweiter Stelle kommt die Reue, zu viel gearbeitet zu haben. Zu wenig hätten sie ihre Freundschaften gepflegt, klagen die Patienten, zu wenig ihren Gefühlen Ausdruck verliehen, sich zu wenig Freude gegönnt.

„Hätte ich doch den Mut gehabt, mir treu zu bleiben“. Grace, erzählt Ware, war über 50 Jahre mit einem „Tyrannen“ verheiratet. Kurz nach seiner Einlieferung in ein Pflegeheim, als Grace sich endlich unabhängig fühlte, wurde sie sterbenskrank. „Warum habe ich ihm erlaubt, mir ständig Vorschriften zu machen? Warum war ich nicht stark genug?“, klagt sie im Buch. „Ich sterbe, ich sterbe! Wie konnte ich jahrelang darauf warten, frei und unabhängig zu sein?“ Grace ist wütend auf sich, weil sie nicht mutig genug war.

„Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.“ Ware hat keinen Sterbenden gefunden, der sich wünschte, mehr gearbeitet zu haben. Dafür unzählige, die das Gefühl hatten, am Leben vorbeigewerkt zu haben. Als Johns Kinder aus dem Haus waren, bat ihn seine Frau, in Pension zu gehen, damit sie endlich Zeit für sich hätten. Doch trotz der Einsamkeit seiner Frau arbeitete er 15 Jahre lang weiter, in der Sorge, das Geld könnte nicht reichen, und weil er den beruflichen Status genoss. Drei Monate vor seiner Pensionierung starb seine Frau. Er habe wohl Angst gehabt, sagt John, „Todesangst. Meine Rolle definierte mich irgendwie.“

„Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken.“ Vor allem Männer würden bereuen, dass sie jenen Menschen, die sie liebten, ihre Gefühle nicht gezeigt hätten, schreibt Bronnie Ware. So hätten sie etwa die Chance verpasst, ein warmes, liebevolles Verhältnis zu ihren Kindern aufzubauen. „Sie kennen mich nicht. Und ich hätte so gern, dass sie mich kennen“, sagt ein Patient.
„Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.“ Den Sterbenden fehlen nicht nette Bekannte, sondern die dauerhaften Lebensfreundschaften. Sie haben das Gefühl, sich aus Zeitmangel und Bequemlichkeit darum gebracht zu haben. Freunde, zeigen ihre Aussagen, sind Menschen, die eine lange Zeit des Weges mitgegangen sind, die Geschichte des anderen sehr gut kennen, von denen man sich verstanden und akzeptiert fühlt. „Man denkt, dass die Freunde immer da sein werden“, sagt Doris. „Aber das Leben geht weiter, und plötzlich stehen Sie da und haben keinen Menschen mehr auf der Welt, der Sie versteht oder etwas über Ihre Geschichte weiß.“

„Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.“ Rosemary etwa sagt, sie habe nach einer gescheiterten Ehe immer das Gefühl gehabt, kein Glück zu verdienen. Cath bereut, dass sie die Zufriedenheit mit ihrer Arbeit zu sehr vom Endergebnis abhängig gemacht habe, statt den gegenwärtigen Moment wichtig zu nehmen, und weiß jetzt: „Die Dankbarkeit für jeden Tag auf dem Weg zum Ergebnis ist der Schlüssel zum Glück.“

Im Großen und Ganzen decken sich Wares Schilderungen mit denen der deutschen Journalistin und Sterbebegleiterin Doris Tropper. In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Hätte ich doch ... Von den Sterbenden lernen, was im Leben wirklich zählt“ berichtet sie von sieben Begegnungen mit sterbenden Menschen (darunter auch einem Kind). Diese wünschen sich ebenfalls, nicht so viel Zeit mit ihrer Karriere „vergeudet“ zu haben, öfter den Alltagstrott durchbrochen zu haben, Träume verwirklicht, ihre Gefühle gezeigt oder unbefriedigende Beziehungen beendet zu haben.

Nach diesen Büchern haben wir Lebenden also keine Ausrede mehr. Wir können nicht mehr sagen, wir hätten es nicht gewusst. Nur: Warum brauchen wir eigentlich Sterbende, um uns diese Selbstverständlichkeiten zu sagen? Wissen wir nicht im Grunde sehr gut, worauf es wirklich ankommt, wenn wir nur ein bisschen innehalten? Muss die Frage nicht viel eher lauten, warum wir, obwohl wir es wissen, trotzdem immer wieder anders leben?

In einer Gesellschaft, die den Tod verdrängt und möglichst wenig mit kranken und alten Menschen zu tun haben will, haben Ratgeber, die das Leben vom Sterbebett aus deuten, natürlich etwas für sich. Sie kompensieren ein wenig das fehlende Gespräch mit jenen, die am Ende des Lebens stehen, ohne dass man sich die „Mühe“ machen müsste, am Krankenbett zu sitzen. Bei alten Menschen generell können sich die Werte stark verschieben, bei Sterbenden spitzt sich das noch weiter zu. Ihre Perspektive wirkt wie ein Sieb, in dem die im Rückblick groß wirkenden Dinge des Lebens hängen bleiben und der Rest durchrinnt. Und man neigt dazu, Sterbenden zuzuhören, man nimmt, was sie sagen, im wahrsten Sinn des Wortes todernst.


Der Sterbende als Sprachrohr. Das hat aber auch problematische Seiten. Erstens wird nicht jeder vor dem Sterben weise. Zweitens kann auch die Überzeugung von Sterbenden, dass sie anders sinnvoller oder glücklicher gelebt hätten, Illusion sein – Patientin Grace etwa weiß nicht, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie sich von ihrem Tyrannenmann getrennt hätte. Vor allem aber können Buchautoren die Autorität der Sterbenden auch missbrauchen, um ihren eigenen Botschaften Gewicht zu verleihen.

Das Problem kennt man seit den Büchern der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross. Sie versuchte mithilfe von Gesprächen mit Sterbenden zu beweisen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. In „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ dagegen kommen nicht einmal religiöse Sterbende vor. Sie hätten wohl auch andere Dinge bereut. Und zufälligerweise entsprechen diese Botschaften vom Sterbebett genau der ebenfalls ausführlich geschilderten Lebensphilosophie der Autorin.

Lasst euch nichts einreden! Zu guter Letzt widerspricht dieses fünfgängige Fertiggericht für Sinnhungrige auch noch der wichtigsten Botschaft, die Bronnie Ware zufolge Sterbende an uns haben: Lebt, wie ihr wirklich leben wollt, statt euch nach anderen zu richten! Daran krankt auch das ganze neue „Was Sterbende euch zu sagen haben“-Genre: Es bedient wieder einmal das alte Bedürfnis, sich sagen zu lassen, wie man leben soll. Dabei könnten wir das sehr gut selbst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2013)

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