Alternde Stars und Social Media: Das Recht auf Sichtbarkeit

Pop-Ikone. Die National Portrait Gallery widmet Michael Jackson eine Ausstellung.
Pop-Ikone. Die National Portrait Gallery widmet Michael Jackson eine Ausstellung.(c) KAWS
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Madonna wird 60. Michael Jackson und Prince wären gleich alt. Dürfen Stars in der Instagram-Ära würdevoll altern, und wie viele Follower hätte wohl der „King of Pop“?

Der Wunsch „break a leg“ brachte Marlene Dietrich vor ihrem letzten Auftritt in Sidney 1975 kein Glück: Sie stürzte von der Bühne, zog sich dabei einen offenen Oberschenkelknochenbruch zu und später ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Wie ihre Tochter Maria Riva in einer wenig schmeichelhaften Biografie berichtet, verwahrloste die Dietrich in den Jahren bis zu ihrem Tod völlig und verhängte, wenig verwunderlich, ein absolutes Bilderverbot.

Die schöne Marlene war immerhin 74 Jahre alt, als sie aus der Öffentlichkeit verschwand. Greta Garbo hingegen beschloss schon mit 36, dass es an der Zeit sei für ihr „temporary retirement“. Bis zu ihrem Tod sollten weitere 49 Jahre vergehen: ausreichend Zeit, um mit nobler Zurückhaltung zu verfolgen, wie der Mythos Garbo immer größer wurde, während man sie selbst kaum mehr zu Gesicht bekam.

In den Zwangsruhestand als Pepsi-Werbegesicht wurde wiederum Joan Crawford mit 68 Jahren geschickt, und als wenig später unvorteilhafte Bilder von ihr veröffentlicht wurden, beschloss auch diese Diva mit ruhmreicher Vergangenheit, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen: „Mein Leben, wie ich es zu leben geliebt hatte, war weitestgehend vorüber, weil mein Leben als Joan Crawford vorüber war“, schrieb sie später in ihrer Autobiografie. Auf die öffentliche Persona zu verzichten schien damals für Frauen wie Dietrich, Garbo und Crawford wohl die einzige Möglichkeit, ihre Legende intakt zu halten: In Würde zu altern, das schien damals in erster Linie gleichbedeutend zu sein mit weitgehender Unsichtbarkeit.

Plakativ. Madonna hat keine Berührungsängste mit Fans in ­sozialen Medien.
Plakativ. Madonna hat keine Berührungsängste mit Fans in ­sozialen Medien.(c) Kevin Mazur/Getty Images for Brooklyn Museum

„I’m back“. Die Zeiten, in denen Schauspielerinnen über 40 kaum mehr Rollenangebote bekommen, sind zwar gottlob vorüber. Man sollte aber nicht dem Irrglauben anhängen, dass TV-Produktionen wie „Grace and Frankie“ mit Jane Fonda (geboren 1937) und Lily Tomlin (geboren 1939) nun an der Tagesordnung stehen. Zugleich ist es eine Tatsache, dass Celebritys heute über Möglichkeiten verfügen, sich selbsttätig in Erinnerung zu rufen. Auch ältere Berühmtheiten, die nicht als „Digital Natives“ gelten, können ihren Auftritt in sozialen Medien bewusst einsetzen, wenn Produzenten, Castingdirektoren oder etablierte Medien sich gerade wenig für sie interessieren. Immerhin 23.000 Twitter-Nutzer klickten zuletzt etwa auf den Like-Button, als Cher ihre Community nach einer kleinen Pause in dem Mikronachrichtendienst wissen ließ: „Hi . . . I’m back.“ Dieselbe Fangemeinde erwartet nun sehnsüchtig Updates zu einem offenbar für September geplanten Albumrelease mit Chers Coverversionen von Abba-Songs.

Noch beliebter als Twitter ist unter Celebritys mit mehr oder minder ausgeprägter narzisstischer Ader naturgemäß Insta­gram: Pop-Superstar Madonna etwa hat die Fotosharing-App für sich als die perfekte Selbstdarstellungsbühne auserkoren und postet unermüdlich Impressionen aus ihrem – nun in Lissabon angesiedelten – Familienleben. Während jüngere Sänger, Schauspieler oder gar die für kein besonderes Talent jenseits ihrer Social-Media-Reichweite bekannten Influencer nur perfektes Bildmaterial teilen, hat Madonna offenbar keinen Social-Media-Manager engagiert, der auf die durchgehende Qualität ihrer Fotos und Videos achten würde. Daraus ergibt sich eine interessante Mischung aus Verwackeltem, mitternächtlich Aufgenommenem und mitunter allzu Vertraulichem aus dem Familienleben.

Von Herzchen umschwirrt. Wie bei Cher sammelt die Fangemeinde auch in Madonnas Fall Hinweise auf einen bevorstehenden Album-Release. Die Publicity-Maschinerie ist jedenfalls schon angelaufen, denn die Sängerin dürfte, wie ebenfalls Instagram zu entnehmen ist, in einer der nächsten „Vogue Italia“-Ausgaben prominent in Erscheinung treten. Ihren am 16. August anstehenden 60. Geburtstag wird Madonna aller Vo­­raussicht nach weder leise noch als rüstige Rentnerin feiern. Sie hat, als letzte Überlebende der großen US-Pop-Trias aus den Achtzigerjahren, mehr oder weniger würdevoll den Eintritt in die Social-Media-Ära geschafft und sich die Möglichkeit einer selbstbestimmten Pflege ihres öffentlichen Bildes eröffnet.

Nicht mehr am Leben sind die beiden anderen 1958er-Jahrgänge, die fast zeitgleich mit Madonna die große Bühne der Populärmusik betreten haben. Prince, der am 7. Juni 60 geworden wäre, ist vor zwei Jahren an einer Überdosis Barbituraten gestorben. In sozialen Medien war der Sänger weniger aktiv als andere Stars; immerhin eröffnete er aber Ende 2015 einen Instagram-Account, der heute noch existiert und in dem nur gestellte, offizielle Bilder von ihm zu sehen sind.

Multitalent. Prince verstarb 2016, seine letzte Residenz ist heute ein Museum.
Multitalent. Prince verstarb 2016, seine letzte Residenz ist heute ein Museum.(c) The LIFE Picture Collection/Getty Images

Dass der Multiinstrumentalist sich darin gefallen würde, in schlaflosen Nächten Videos von sich mit um sein Haupthaar schwirrenden Herzchen zu posten, ist zu bezweifeln. Sein Hang zur kunstvollen Inszenierung war legendär, und er manifestierte sich auch in seiner Residenz Paisley Park. Diese ist heute als Museum zugänglich und wird interessanterweise von derselben Gesellschaft verwaltet wie Elvis Presleys berühmtes Anwesen in Memphis, Graceland. In einem unlängst im „New Yorker“ erschienenen Text wird beschrieben, wie die museale und selbstbeweihräuchernde Anmutung keineswegs erst nachträglich geschaffen wurde, sondern bereits von Prince zu Lebzeiten so angelegt worden war. Wer in einem Museum wohnt, kann wohl auf vergänglichen Social-Media-Ruhm verzichten.

Mindestens 100 Millionen. Der dritte Superstar, der diesen Sommer, nämlich am 29. August, seinen 60. Geburtstag feiern würde, ist Michael Jackson. Als er 2009 verstarb, steckten soziale Medien noch in den Kinderschuhen, weshalb seine Fans nun in Onlineforen über Fragen wie „Wie viele Instagram-Follower würde Michael Jackson heute haben?“ diskutieren müssen. (Man kommt überein, dass er definitiv die psychologisch wichtige 100-Millionen-Grenze geknackt hätte.) Ob Michael Jackson unter dem Druck, sich ständig im Rampenlicht zu halten, in Zeiten von Instagram noch mehr leiden würde als in der Paparazzi-Ära, lässt sich wohl kaum abschließend erörtern.

Einen anderen Weg, ihm Reverenz zu erweisen, geht derzeit die National Portrait Gallery in London. Anlässlich des 60. Geburtstags widmet sie Michael Jackson die Ausstellung „On the Wall“, in der untersucht wird, wie der „King of Pop“ prominente Vertreter der Gegenwartskunst beeinflusst hat. Andy Warhols Por­trät des Sängers entstand 1982 und ist das früheste Beispiel für die ikonenhafte Verarbeitung des berühmten Konterfeis, insgesamt versammelt die National Portrait Gallery Arbeiten von 40 Künstlern.

Und auch wenn es unendlich schade ist, dass Michael Jackson seine stets Grenzen auslotende Arbeit nicht weiterführen kann: Eine große Kunstausstellung in einem der berühmtesten Museen der Welt ist allemal eine schönere Würdigung als ein von lustlosen Nachlassverwaltern befüllter, nach und nach verwaisender Insta­gram-Feed.

Tipp

„On the wall. Michael Jackson.“ Bis 21.   10., National Portrait Gallery, npg.org.uk

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