Nicolas G. Hayek: Ein Phänomen wird achtzig

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Der heutige Präsident und Delegierte des Verwaltungsrates der Swatch Group hat die Schweizer Uhrenindustrie aus der tiefen Misere wieder an die Sonne geführt. Sein Erfolg beruht auf strategischem Geschick, intuitivem
Geschäftssinn und dem Mut, anders zu sein als die Konkurrenten.

Tritt man in sein Büro in einem diskreten Geschäftshaus aus den 1960er-Jahren in Biel, ist Nicolas G. Hayek stets konzentriert am Arbeiten. Während andere Männer seines Alters vielleicht noch Boule-Kugeln bewegen, reißt er auch mit 80 Jahren neue Projekte an und stampft Jungunternehmen aus dem Boden. Neuester Coup ist seine Energiefirma: „Belenos, so hieß der Sonnengott der Kelten, soll die lebensnotwendige Revolution im Energieverbrauch beschleunigen“, erklärt Hayek.

Er schreitet zu einem Miniaturmodell und erklärt, woran Belenos arbeitet: „Hier wird mit der Energie von Solarzellen über den Elektrolyseprozess Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespaltet.“ Der Wasserstoff wird in eine kleine Brennstoffzelle geleitet, die damit Energie erzeugt. Eine Art kleines Kraftwerk für das Heim? „Wir sind dabei, ein kleines Gerät zu entwickeln, damit jeder zu vernünftigen Kosten selber Wasserstoff produzieren kann.“ Hayek ist in seinem Element und freut sich wie ein kleines Kind an der Vision, die sich vor seinem geistigen Auge eröffnet. Er sei ein Sechsjähriger mit über 70 Jahren Lebenserfahrung, sagt er von sich.

Das hat was: Die Euphorie, die er für seine Träume und Ideen entwickeln kann, ist die Ressource, die ihn jung hält. Der Firmenlenker, der einst an der Universität Lyon in Frankreich Mathematik, Physik und Chemie studierte, weiß, wie man Ideen zum Fliegen bringt: Soeben hat er den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, und den Hollywood-Star George Clooney für den Verwaltungsrat seines Projekts gewonnen. Mit viel Mut zum Risiko treibt er das Vorhaben voran. „Ich bin immer bereit, für eine wahrhaftig große Tat ein Drittel oder die Hälfte meines Vermögens einzusetzen, wenn das einen massiven volkswirtschaftlichen Vorteil bringen kann.

So war ich auch damals bereit, 50 bis 70 Millionen Schweizer Franken zu riskieren“, sagte Hayek in einem Gespräch mit Friedemann Bartu, das als Buch publiziert wurde. Der Vollblut-Unternehmer spricht dabei auf das Jahr 1985 an, als die Banken ihm einen bedeutenden Anteil an der defizitären SMH, der Vorläuferin der Swatch Group, verkauften. Aus den 70 Millionen CHF von damals sind inzwischen 16,1 Milliarden geworden – so viel ist die Swatch Group heute an der Börse wert. „Aber darauf habe ich gar nicht spekuliert, das war nicht mein Bestreben“, sagt Hayek.

Die Unternehmerkarriere wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Als Sohn eines amerikanischen Zahnarztes mit ungarischen Wurzeln und einer Libanesin aus einer Beiruter Anwaltsfamilie, ist er vor ungefähr 60 Jahren in die Schweiz gereist – und geblieben.

Karrierestart mit Hürden. Nach ersten Anstellungen in der Industrie und bei einer Beratungsfirma macht er sich in Zürich als Wirtschaftsberater selbstständig. Doch der Start verläuft holprig. „In den ersten Monaten erhielt ich keinen einzigen Auftrag. Ich kann mich gut erinnern, wie am 1. August 1957 in der Stadt der Nationalfeiertag gefeiert wurde. Die Leute tanzten, ich saß in meinem Büro und weinte. Ich sagte zu mir: Was bist du doch für ein Idiot!“

Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten floriert sein Geschäft, Hayek macht sich einen Namen als Sanierer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Er schafft den Aufstieg weder mit einem MBA-Abschluss („Wenn Sie ein Kamel nach Harvard schicken, wird daraus kein Henry Ford“) noch mit Beziehungen im engmaschigen Schweizer Filz, aber mit unternehmerischem Mut, Willen und analytischen Fähigkeiten. Man hat oft die Nase über seinen exzentrischen Charakter gerümpft, seine manchmal polternde Art kritisiert oder seinen Hang zu groben Vereinfachungen.

Aber es waren just diese Qualitäten, die ihn vom Mainstream abhoben – und ihn zu anderen Schlüssen führten. Das half Hayek zum Beispiel 1984, als er den Kern der Schweizer Uhrenindustrie übernahm. Wirtschaft, Banken und Finanzanalysten hatten die Schweizer Uhrenindustrie längst abgeschrieben. Hayek erkannte jedoch das Potenzial, das hier schlummerte. Geschickt führte er als Berater die beiden damaligen, finanziell vor dem Ende stehenden, Konzerne SSIH (Omega, Tissot) und Asuag (Longines, Rado sowie Uhrwerkhersteller ETA) zusammen, restrukturierte die Gruppe, konzentrierte die Fertigung auf wenige Standorte, schränkte die Modellvielfalt ein – und sanierte so den Konzern. Die Plastikuhr Swatch, die mit einem Minimum von Bauteilen auskam, die bei ETA noch vor der Übernahme von Hayek erfunden wird, ist am Markt zuerst ein Flop. Hayek erkennt ihre Bedeutung und vermarktet sie mit neuen Ideen. „Uhren und Autos sind emotionale Massenkonsumgüter“, dozierte er 1993 an der Harvard University. „Wir sollten das nie vergessen. Eine Uhr wird Tag und manchmal nachts getragen. Sie gehört jedem persönlich und ist der Ausdruck ihrer Persönlichkeit.“

Kunst und Kommerz.  Weil die Japaner mit den Quarz-Uhren ebenso genaue Zeitmesser herstellten wie die Schweizer, musste Hayek eine neue Botschaft suchen. Er koppelte Kunst und Kommerz, um mit der Swatch die Emotionen der Konsumenten besser zu treffen. Sie griffen beherzt zu: 350 Millionen Stück sind von der Swatch bisher verkauft worden. Doch das meiste Geld verdient Hayek längst auf einem anderen Gebiet: den mechanischen Preziosen von Omega, Breguet oder Blancpain.

Die Uhr ist von einem Gegenstand der Funktion zu einem der Distinktion geworden, die Status, Stil und Prestige ihres Trägers anzeigt. Hayek hat als schlauer Stratege die Logik der Uhrenbranche besser verstanden als viele seiner Konkurrenten. Ohne den Uhrwerkherstellers ETA, der zu seinem Konzern gehört, läuft in der Schweiz fast keine Uhr. Und während Konkurrenten Hunderte von Millionen Franken für die Übernahme von Marken zahlten, kaufte er 1999 für einen zweistelligen Millionenbetrag die angestaubte Nobelmarke Breguet – und die dazugehörige Uhrwerkherstellerin Nouvelle Lémania, die als eine der wenigen Firmen andere Marken mit ihren Kalibern belieferte. Daraufhin wurde er in der Uhrenbranche als Monopolist hart kritisiert. Hayek konnte aber nur so dominierend werden, weil seine Konkurrenten jahrelang mehr in Marketing als in die industrielle Fertigung investierten.

Family Business.
Auch wenn er die operative Konzernleitung schon vor Jahren seinem Sohn Nick anvertraut hat – um die Marken Swatch und Breguet kümmert sich der Senior bis heute selber. „Breguet hat seit unserer Übernahme den Umsatz verzwanzigfacht“, erklärt Hayek nicht ganz ohne Stolz. Fachleute schätzen, dass Breguet heute jährlich Verkäufe von 500 bis 600 Millionen CHF erzielt. Hayek hat seine Marken gut positioniert: Breguet gegen Patek Philippe, Longines gegen TAG Heuer – und mit Omega greift er Rolex an, die immer noch wichtigste Uhrenmarke weltweit. Doch Omega holt stetig auf: „Wir sind nicht weit von einem Umsatz von knapp zwei Milliarden CHF entfernt“, sagt Hayek.

Zudem baut er Omega zu einem umfassenden Luxusanbieter aus: Inzwischen gibt es Lederwaren wie Portemonnaies und Taschen – und „nächstes Jahr wird es wahrscheinlich auch ein Parfum von Omega geben“.  Der jüngste Streich, künftig sämtliche Uhren der US-Schmuckmarke Tiffany zu produzieren, verstärkt ebenfalls das Luxusprofil der Swatch Group. Trotz des Erfolgs hat sich Hayek eine gewisse Bodenständigkeit bewahrt. Er verkauft die teuersten Uhren, ist aber selber so sparsam, dass er zu Hause den Übernamen „Dagobert Duck“ trägt. An seinen Schreibtisch mit der ziemlich abgewetzten Pultplatte würde sich kein Bank-Prokurist setzen.

Er hat weder einen Privatjet noch wohnt er an der teuren Goldküste am Zürichsee. Es zieht ihn weiter weg: Als Luxus leistet sich Hayek eine Villa am Cap d’ Antibes in Südfrankreich. Dass die Swatch Group in guten Händen bleibt, dafür hat Hayek vorgesorgt. Sein Aktionärs-Pool besitzt rund 40 Prozent der Aktien. Im Unternehmen, das heute sechs Milliarden CHF Umsatz und rund eine Milliarde Gewinn erzielt, arbeitet nicht nur sein Sohn Nick (Präsident der Konzernleitung) mit, sondern auch seine Tochter Nayla (als Mitglied des Verwaltungsrates und zuständig für die Swatch Group Indien und die Marken Tiffany bzw. Balmain) sowie sein Neffe Marc Alexander (Mitglied der Konzernleitung und für die Manufaktur Blancpain, den Rohwerkhersteller Frédéric Piguet, die Deutsche Zifferblatt Manufaktur, die Swatch Group Panama und die Swatch Group Mittlerer Osten verantwortlich). Warum ist Hayek überzeugt, dass sie besser geeignet sind als externe Manager? „Im Unterschied zu Managern wissen sie: Irgendwann werden sie Großaktionäre der Firma sein. Wenn Geld in der Firma ausgegeben wird, wissen sie, das Geld kommt aus ihrer eigenen Tasche. Das erzeugt ganz andere Verhaltensweisen.“

Vorerst fährt der Präsident und Delegierte des Verwaltungsrates der Swatch Group aber noch jeden Tag von seinem Haus am Hallwilersee ins rund 100 km entfernte Büro in Biel. Er steuert seinen Mercedes selbst. Am liebsten hört Hayek dabei Werke von Mozart und denkt über die nächsten Kreationen nach. „Ein Unternehmer ist auch ein Künstler! Er muss die Fantasie seiner Kindheit, seiner sechs Jahre, behalten.“ 

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