Starke Fasern: Das Comeback der Brennnessel

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Eine Fahrzeugkarosserie aus Brennnesselfasern? Smarte Textilien erobern nun auch die Automobilindustrie. Dabei gewinnen nachwachsende Rohstoffe an Bedeutung. Das bringt die Brennnessel wieder auf den Plan.

Wer an Brennnesseln denkt, verbindet damit unangenehmes Brennen auf der Haut, ihre Heilwirkung als Tee oder die Verwendung in der Küche. Dass man aus den Fasern der Großen Brennnessel, lateinisch Urtica dioica, robuste Kleidung herstellen kann, ist nur wenigen bekannt.
Gerade in Notzeiten wie im Zweiten Weltkrieg griff man – unter anderem aus Mangel an Alternativen – auf das sogenannte Brennnesseltuch zurück. Das früher auch als „Leinen der armen Leute“ bekannte Material konnte in Heimarbeit selbst erzeugt werden. Was den Bekleidungsbereich betrifft, hatte die Brennnessel gegenüber der Baumwolle und synthetischen Fasern jedoch das Nachsehen und geriet nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit.
Weder Züchtung noch andere ambitionierte Versuche in den 1990ern, das Brennnesseltuch jenseits der Ökoszene populär zu machen, brachten den Durchbruch. Brennnesselfasern besitzen jedoch Eigenschaften, die ihnen nun in der Automobilindustrie eine Renaissance bescheren könnten. Denn dort sind zunehmend Faserverbundwerkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen gefragt.

Öko-Verordnung als Anstoß


Zudem sind europäische Automobilhersteller laut einer neuen EU-Richtlinie zu Altfahrzeugen ab Anfang 2015 angehalten, die Wiederverwendungs- und Verwertungsrate von Fahrzeugen auf 95 Prozent des durchschnittlichen Fahrzeuggewichts zu erhöhen. Je mehr Fahrzeugteile also aus organischen Substanzen hergestellt werden können, desto besser.
„Das Beeindruckende an Brennnesselfasern ist, dass sie über ein höheres Elastizitätsmodul als Glasfaser verfügen. Das macht sie für uns als Rohstoff für Faserverbundwerkstoffe besonders interessant“, sagt Günter Grabher. Er ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Forschungsinstituts V-trion mit Sitz in Hohenems, das seit Kurzem Mitglied der Austrian Cooperative Research (ACR) ist.
Das zur Grabher Group gehörende Unternehmen ist spezialisiert auf die Entwicklung von Faserverbundwerkstoffen und Sensortechnologie („smart textiles“). Gegründet wurde es vor drei Jahren als Reaktion auf die Abwanderung großer Textilbetriebe aus Vorarlberg. Wichtigster Partner bei allen Forschungsprojekten ist das Institut für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innsbruck.

Autokarosserie aus Brennnessel


Für die beteiligten Forscher besteht die Herausforderung aktuell darin, tragende Strukturteile wie die Fahrzeugkarosserie aus Brennnesselfasern zu entwickeln. „Aus Vorstudien kennen wir bereits deren hervorragende Werkstoffeigenschaften. Außerdem ist die Pflanze anspruchslos und wächst überall“, sagt Grabher. In einem geplanten Forschungsprojekt, bei dem rund ein Dutzend Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette an Bord sind, soll dieses Wissen für die Produktentwicklung genutzt werden. Das Forschungsprojekt wurde bei der Ausschreibung „Produktion der Zukunft“ des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie eingereicht.
Schon jetzt zeigen sich einige Landwirte daran interessiert, den nachwachsenden Rohstoff anzubauen. „Für unsere Zwecke reicht ein Hektar anfangs völlig aus“, so Grabher. Der Einstieg in die Automobilindustrie über solche Faserverbundwerkstoffe wäre für die heimische Textilindustrie ein neues Feld mit großem Potenzial.

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