Mit seinen offenen Augen sah schon der junge Forscher die Ursprünge unserer Gefühle in Tieren.
Ich hatte das große Glück hinzukommen, als das Nashorn zum ersten Mal im Jahr ins Freigehege gelassen wurde und außer sich vor Vergnügen sprang (nicht sehr hoch). Der Orang-Utan war auch in großer Perfektion.“ Darwin war im Zoo, noch vor der Reise mit der „Beagle“, seine Augen waren offen: Für ihn hatten auch Tiere Emotionen, und der Orang-Utan, das Weibchen Jenny, benahm sich gar „wie ein ungezogenes Kind“, das sich erst auf Zureden des Wärters beruhigte, „sie verstand sicher jedes Wort“. Auch andere bemerkten die Ähnlichkeit, Queen Victoria empfand den Orang als „schmerzlich und widerwärtig menschlich“. Darwin hingegen fühlte sich hingezogen, emotional und intellektuell.
Für manche Interpreten war diese Empathie – und nicht das Beobachten der Natur auf den Galapagos – der Quell der Evolutionstheorie. Das hat viel für sich: Für Darwin hatte jedes Tier etwas Menschliches – selbst beim Regenwurm suchte er „mental qualities“, fand allerdings „little to be said on this head“ –, und umgekehrt: „Mein erstes Kind wurde am 27. Dezember 1839 geboren, und ich begann sofort, Aufzeichnungen von seinen Gefühlsausdrücken zu machen, weil ich davon überzeugt war, dass selbst die komplexesten und feinsten Schattierungen des Ausdrucks einen graduellen und natürlichen Ursprung haben mussten.“
Deshalb experimentierte er, zu Hause wie im Zoo: „Wenn junge Schimpansen gekitzelt werden – in den Achselhöhlen sind sie dafür sehr empfindlich, so wie unsere Kinder –, wird ein kichernder oder lachender Laut geäußert.“ Damit war das von Aristoteles herrührende Vorurteil aus der Welt, nur der Mensch könne lachen. (Darwin fand eine neue Grenze: Nur der Mensch kann Tränen lachen.) So ging es auf allen Gebieten: Nicht nur in den Körperbauplänen sah er graduelle Übergänge, auch bei den Gefühlen, beim Intellekt, selbst bei der Moral.
Vergessener Teil des Werks
Aber damit blieb er allein, und bald nach seinem Tod geriet dieser Teil des Werks in Vergessenheit: Das Studium der Schimpansen kam fast völlig zum Erliegen, erst Jane Goodall entdeckte sie in den 60er-Jahren wieder; und Tieren Gefühle zuzugestehen ist heute noch weithin tabu – unter Evolutionsbiologen, für die jedes Verhalten einen Überlebens- bzw. Reproduktionszweck haben muss –, da springt kein Nashorn vor Vergnügen, nicht einmal nicht sehr hoch!
Mensch im Tier, Tier im Menschen – das heißt natürlich nicht, dass wir nicht einzigartig sind. Aber das ist das Nashorn auch, und der Regenwurm; Helena Cronin, eine darwinistische Philosophin, formulierte es so: „Es ist nichts Einzigartiges, einzigartig zu sein.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2009)